Essen. In den Kitas fehlen Arbeitskräfte. NRW will Hilfskräfte über einen neuen Weg fortbilden - innerhalb eines Jahres gibt es doppelt so viele Plätze.

Mit Mitte 40 noch einmal von vorne anfangen? Eine neue Ausbildung beginnen, noch einmal die Schulbank drücken? Sandy Jansen hatte so ihre Zweifel, ob das klappt. Am Ende sei es ihr 16-jähriger Sohn gewesen, der die richtigen Worte gefunden habe: „Mama, du schaffst das und wenn du Hilfe in der Schule brauchst, dann helfe ich dir.“

Jansen lacht auf eine ansteckende Art, als sie davon erzählt. „Gerade fühlt es sich an, als hätte ich den Sechser im Lotto gewonnen.“

Bezahlte Ausbildung richtet sich an Menschen mitten im Leben

Die Essenerin gehört zu den Frauen und Männern, die über das sogenannte Alltagshelfer-Programm der schwarz-gelben Landesregierung in den Corona-geplagten Kitas überall in NRW zum Einsatz kommen und nun von einer bundesweit einmaligen Ausbildung profitieren sollen: Zwei Jahre lang können sie sich zu Kinderpflegerinnen und Kinderpflegern fortbilden lassen – praxisbegleitend. Anders als bei der bisherigen rein schulischen Kinderpflege-Ausbildung sind sie bei einem Kita-Träger angestellt und werden damit auch bezahlt. Ihr Abschluss am Berufskolleg macht sie zu pädagogischen Ergänzungskräften, die Erzieherinnen und Erzieher unterstützen.

Ein Modell, dass sich an Menschen wie Sandy Jansen richtet - Menschen, die bereits mitten im Leben stehen, oft eigene Kinder haben und sich nicht zwei Jahren lang ohne Bezahlung fortbilden lassen können.

Jansen hat zuletzt in der Gastronomie gearbeitet. Mit der Pandemie brach das weg. In der evangelischen Kita ihres zweiten Kindes hat die Essenerin 2020 den Aushang gesehen, dass Hilfskräfte gesucht würden. Jansen sprach vor und wurde sofort genommen. Am Anfang sei es rein um Hygieneanforderungen gegangen, sagt sie. „Dann war ich ganz schnell mittendrin. Ich bin Teil des Teams, auch jetzt schon.“ Ihre Kita-Leiterin habe sie auf die Chance einer Ausbildung angesprochen. Im Sommer geht es los.

Zahl der Schulplätze im Vergleich zu 2021 verdoppelt

Die praxisintegrierte Kinderpflege-Ausbildung gibt es nur in NRW. Als das Familienministerium sie 2021 als Qualifizierungsmaßnahme für die rund 5000 Alltagshelfer im Land ankündigte, waren Berufskollegs wie Kita-Träger überrumpelt. Lediglich 17 Kollegs konnten Lehrpläne und zusätzliche Schulplätze für die vom Fachkräftemangel gezeichnete Branche aus dem Boden stampfen. In zahlreichen Städten übertraf die Nachfrage das Angebot - in ganz Dortmund etwa gab es nicht einen einzigen Schulplatz.

In diesem Sommer dürften die Kapazitäten mehr als verdoppelt werden. Das NRW-Familienministerium rechnet mit mindestens 950 Schulplätzen an 37 Berufskollegs. Die Plätze stehen dem offen, der einen Arbeitsvertrag und Hauptschulabschluss vorweisen kann - wie viele Alltagshelfer profitieren, ist nicht bekannt.

Das Duisburger Sophie-Scholl-Berufskolleg gehörte zu den wenigen Kollegs, die seit 2021 die neue Ausbildung anbieten. 26 Plätze gibt es und eine Schülerschaft mit ungewohnten Bedingungen, wie Koordinatorin Patricia Breiten berichtet: Menschen, die zwar fachlich auf einem sehr hohen Niveau arbeiteten, aber Sorge vor den Lernanforderungen und der Vereinbarkeit von Ausbildung und Familie hatten.

Nach dem ersten halben Jahr seien die Erfahrungen positiv - und das Kolleg bietet ab Sommer 34 weitere Plätze an. Es könnten sogar mehr sein, doch gerade große kommunale Trägern hätten den neue Ausbildungsweg noch nicht etabliert, beobachtet Breiten.

Ärger um Finanzierung: EU-Mittel laufen 2023 aus

Für Kritik sorgt die Finanzierung: Das Land hat EU-Mittel für das insgesamt rund 55 Millionen Euro schwere Qualifizierungsprogramm angezapft, die aber im Frühjahr 2023 auslaufen. Wer seine Ausbildung in diesem Sommer beginnt, müsse aber bis 2024 einen sicheren Schulplatz haben, fordert Verdi-Gewerkschaftssekretärin Marlene Seckler. „Die Kollegs brauchen jetzt die Sicherheit. Auch das zweite Ausbildungsjahr muss garantiert werden.“

Das Familienministerium will das offenbar aus Landesmitteln ermöglichen. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion schrieb das Ministerium unlängst, das Land wolle wie vorgesehen alle begonnenen Qualifizierungen auch bis zum Ende des Kindergartenjahres 2023/2024 finanzieren - es verwies aber auf notwendige Verabschiedungen der Landeshaushalte 2023 und 2024. Ob die praxisintegrierte Kinderpflege-Ausbildung danach fortgeführt wird, ist offen.

Jörg Walther würde sich das wünschen. Walther ist einer von zwei Geschäftsführern des Evangelischen Kindertagesstättenverbands Essen. 13 Alltagshelferinnen arbeiten an den 20 Einrichtungen des Verbands, neun von ihnen wollen im August in die Ausbildung gehen - eine von ihnen ist Sandy Jansen. „Der Arbeitskräftebedarf in den Kitas ist so enorm, ohne Quereinsteiger kommen wir da noch vorwärts“, ist sich Walther sicher. Und wirbt zugleich für eine Fortführung des Alltagshelfer-Programms: „Das ist ein Türöffner, das Programm sollte unbedingt verlängert werden.“ Stand jetzt läuft es am 31. Juli aus.