Essen. Die Universitäten im Ruhrgebiet lassen die Arbeit in ihrem Moskauer Verbindungsbüro ruhen. Austausch und Forschungsprojekte werden eingestellt.
Die Universitäten in NRW und im Ruhrgebiet ziehen Konsequenzen aus dem Angriffskrieg auf die Ukraine und kappen ihre wissenschaftlichen Beziehungen zu Russland. Die Universitäts-Allianz Ruhr (UA Ruhr), ein Zusammenschluss der Unis in Dortmund, Bochum und Duisburg-Essen, lässt daher ab sofort die Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen in ihrem gemeinsam betriebene Verbindungsbüro in Moskau ruhen. Ein Ansprechpartner bleibe indes für Beratungen vor Ort, heißt es.
„Wir sehen uns gezwungen, unsere Aktivitäten auf Eis zu legen. Sämtliche Veranstaltungen und Kooperationen werden vorerst eingestellt“, sagt Elena Resch, Leiterin des Büros in Moskau, dieser Redaktion. Auch das Kontaktbüro des NRW-Wissenschaftsministeriums für Hochschulkooperation und Forschung, das im selben Haus in Moskau ansässig ist wie das Büro der UA-Ruhr, wird nach Angaben des Ministeriums vorerst geschlossen.
Alle Hochschulen und Forschungseinrichtungen in NRW sind aufgerufen, bestehende Kooperationen und Beziehungen mit Russland „zu prüfen und bis auf Weiteres ruhen zu lassen“, teilte das NRW-Ministerium am Mittwoch mit. „Wir alle bedauern diesen Schritt sehr - er ist aber aktuell ohne wirkliche Alternative“, sagte Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen.
Entsetzen über den Angriff auf die Ukraine
Das Verbindungsbüro der UA Ruhr wurde 2009 als „Leuchtturm für die Internationalisierung der Hochschule in Nordrhein-Westfalen“ eröffnet, wie Wissenschaftsministerin Pfeiffer-Poensgen zum zehnjährigen Bestehen des Büros in Moskau betonte. Die Mitarbeiter bahnten zahlreiche wissenschaftliche Kooperationen zwischen Russland und dem Ruhrgebiet an und beförderten den Austausch von Wissenschaftlern und Studierenden. „Seither haben wir gemeinsam an den deutsch-russischen Beziehungen gearbeitet“, sagt Resch. Jetzt werde die Kooperation um Jahre zurückgeworfen.
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Die Hochschulen äußern sich entsetzt über den russischen Angriff auf die Ukraine. „Unsere Solidarität gilt der gesamten Bevölkerung. Wir begrüßen und unterstützen alle Maßnahmen, die helfen, das Leid zu lindern“, heißt es stellvertretend in einer Stellungnahme des Rektorats der Ruhr-Uni Bochum. Sämtliche Universitätsmitglieder werden aufgefordert, sich an Hilfsaktionen zu beteiligen.
Seit Jahren Verbindungen zu Russland
Seit Jahren unterhält die UA Ruhr in den Ingenieurwissenschaften, in der Mathematik sowie in den Geistes- und Kulturwissenschaften zahlreiche Kooperationen mit Hochschulen in Russland sowie der Ukraine. „Es gibt viele hochtalentierte Schülerinnen und Schüler, die über das Projekt Studienbrücke die Chance haben, im Ruhrgebiet zu studieren“, sagt Büroleiterin Resch. Das sei nun vorerst vorbei. Allein an der Ruhr-Uni studieren derzeit rund 300 junge Menschen aus Russland, sowie 120 aus der Ukraine.
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„Viele sind krank vor Sorge um ihre Angehörigen. Zudem fällt oftmals die finanzielle Unterstützung aus der Heimat weg, da Eltern auf der Flucht sind oder kein Einkommen mehr haben“, sagt Monika Sprung, Leiterin des International Office der Ruhr-Uni. Die Universität werde nun einen Nothilfefonds auflegen, „damit die jungen Leute weiterhin ihre Miete bezahlen und leben können“, erklärt sie. Auch einige russische Studierende würden in NRW stranden, da ihre Visa ablaufen, doch Rückflüge in die Heimat derzeit nicht möglich sind.
Ukraine wichtiges Partnerland für NRW
Bundesweit werden die akademischen Beziehungen zu Russland gestoppt. Die Allianz der großen deutschen Wissenschaftsorganisationen fordert sämtliche Forschungseinrichtungen und Hochschulen auf, „wissenschaftliche Kooperationen mit staatlichen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen in Russland mit sofortiger Wirkung einzufrieren“. Deutsche Forschungsgelder sollten Russland nicht mehr zugutekommen, neue Projekte nicht mehr begonnen werden.
Die Hochschulen in NRW schließen sich diesen Forderungen an. Mit einem Staat, der mitten in Europa einen Angriffskrieg gegen sein Nachbarland führt, könne es keine normalen Beziehungen geben, auch nicht in der Außenwissenschaftspolitik, teilt die Landesrektorenkonferenz (LRK) mit. Wie die vielfältigen Kooperationen mit der Ukraine in Zukunft gestaltet werden können, sei derzeit offen.
Russische Forscher kritisieren Putins Politik
„Ähnlich wie für Forschungsbeziehungen gilt auch für die Hochschulbildung, dass die Ukraine zu unseren wichtigsten Partnerländern gehört“, erklärt LRK-Vorsitzender Lambert T. Koch. Zuletzt studierten über 8200 ukrainische Studierende an deutschen Hochschulen. Allen Betroffenen werde Rat und Hilfe angeboten. Zugleich dürften aber auch russische Studierende, „die von den Ereignissen ebenso erschüttert sind wie wir, hierzulande keine ungerechtfertigten Repressalien erleiden müssen“, so Koch.
Zahlreiche russische Wissenschaftler sehen die Politik Putins offenbar äußerst kritisch, weiß Elena Resch über ihre Kontakte in Moskau. „Die akademische Gemeinschaft, mit der wir seit Jahrzehnten kooperieren, ist entsetzt und schockiert. Wir hören keine Stimme, die für Putin ist.“ Nach Angaben der LRK habe sich eine große Zahl namhafter russischer Wissenschaftler in einem offenen Brief von der Politik Putins distanziert und sich mit den Menschen in der Ukraine solidarisch erklärt. „Das ist in dieser Situation sehr mutig“, sagt Elena Resch, denn Proteste von Studierenden und aus dem akademischen Milieu würden strikt verfolgt. „Ein Aufstand der Intelligenz soll unterdrückt werden“, vermutet sie.
Austausch und Vielfalt bleiben wichtig
Ähnlich beurteilt Matthias Epple, Chemieprofessor an der Uni Duisburg-Essen, die Lage. Epple ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Ukrainischen Akademischen Gesellschaft und unterhält wissenschaftliche Kontakte sowohl nach Russland als auch in die Ukraine. „Ich habe mit russischen Kollegen per Mail Kontakt. Viele, die ich kenne, stehen auf der Seite der Ukraine und sind gegen den Krieg.“
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Er persönlich bedauert das Ende der Zusammenarbeit auf seinem Gebiet, „aber es ist derzeit schwer zu vermitteln, dass Deutschland für Austauschprogramme und gemeinsame Forschungsprojekte mit Russland Steuergeld ausgibt“. Dass russische Studierende nun nicht mehr nach Deutschland kommen können, beraube beiden Seiten vieler Chancen.
„Hier sehen sie, dass es im Westen eben nicht so ist, wie es die russische Propaganda darstellt. Hier können sie frei reden und forschen. Diese Studien-Stipendien waren und sind gut angelegtes Geld“, findet Epple. Austausch und Vielfalt seien für alle Beteiligten wichtig – nicht nur in der Wissenschaft.
>>>> Die Ruhr-Unis in Moskau
Das Verbindungsbüro der Ruhrgebiets-Universitäten in Moskau wurde im März 2009 vom damaligen NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) eröffnet. Es sitzt im selben Moskauer Haus wie das Vertretungsbüro des Kultur- und Wissenschaftsministeriums NRW.
Ziel ist es, die drei Partneruniversitäten der Universitäts-Allianz Ruhr auch in Russland und der Region Osteuropa-Zentralasien zu vertreten, das Ruhrgebiet als innovativen Forschungs- und Wissenschaftsstandort vor Ort bekannter und sichtbarer zu machen sowie den internationalen Austausch zwischen Ost und West zu fördern. Ein weiteres Büro betreibt die UA Ruhr in New York.