Düsseldorf. NRW-SPD-Chef Kutschaty will die Impfflicht “offen diskutieren“. Und NRW-Ministerpräsident Wüst mahnt eine Prüfung der Impfpflicht an.

In NRW werden angesichts der dramatischen Pandemieentwicklung die Rufe nach Einführung einer allgemeinen Impfpflicht lauter. „Die Infektionszahlen steigen, Intensivstationen laufen über, Operationen werden abgesagt, zugleich steht genügend Impfstoff zur Verfügung. Wie lange will sich die Politik die Situation noch ansehen?“, sagte der Bochumer Verfassungs- und Gesundheitsrechtler Prof. Stefan Huster dieser Redaktion.

Unverhältnismäßig sei eine Impfpflicht nach Husters Ansicht nicht. „Wir haben lange genug über die Notwendigkeit einer Corona-Impfung diskutiert, doch die Impfquote steigt kaum an. Gutes Zureden hilft nicht mehr.“

"Man kann die Leute ja schlecht mit der Polizei abholen"

Der Jurist betont aber, dass Impfpflicht nicht Impfzwang bedeute. Man könnte die Leute „ja schlecht mit der Polizei abholen“. Es müsse aber strikte Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte geben, sagte Huster, der als Vorsitzender einer Expertenkommission die Corona-Politik der Bundesregierung untersucht. Ungeimpfte sollten vorübergehend nur noch für lebensnotwendige Besorgungen am öffentlichen Leben teilnehmen dürfen.

Auch der Hausärzteverband Nordrhein hat sich für eine Impfpflicht ausgesprochen. „Das wäre nun am wirksamsten. Es wäre der beste Schutz“, sagte der Vorsitzende Oliver Funken dem „Kölner Stadt Anzeiger“.

NRW-SPD-Chef Kutschaty: "Heute schon an die 5. oder 6. Welle denken"

Aus der Politik kommen unterschiedliche Signale. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte gesagt, die Debatte um eine Impfpflicht sei heute eine andere als vor drei Monaten und damit angedeutet, dass NRW die Impfpflicht zumindest nicht ausschließt.

NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty sagte auf Nachfrage dieser Redaktion: „Eine allgemeine Impfpflicht kann natürlich nur ein letztes Mittel sein und muss in einem sorgfältigen Gesetzgebungsverfahren rechtssicher gemacht werden. Aber wenn ich den Empfehlungen zahlreicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Experten folge, dann sollten wir die Frage jetzt offen diskutieren.“ Man müsse schon jetzt an eine fünfte oder sechste Welle denken. „Nur das Impfen hilft uns aus der Krise“, so der Politiker.

Auch Ministerpräsident Wüst mahnt Prüfung an

Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) mahnt in der Debatte um eine allgemeine Corona-Impfpflicht eine gründliche Prüfung an. „Viele Geimpfte drängen darauf, nicht mehr eingeschränkt zu werden, weil eine Minderheit die Impfung verweigert. Bei den vielen Fragen, die eine Impfpflicht aufwirft, sollte sich der Ethikrat mit der Impfpflicht auseinandersetzen“, erklärte Wüst am Montag vor der Sitzung von Parteigremien.

Auch die Parteien sollten über die Impfpflicht beraten. „Die Union ist die Kraft, der die meisten Menschen in der Pandemie vertrauen. Dieser Verantwortung sollten wir uns besonders bewusst sein“, unterstrich Wüst, der auch CDU-Landeschef ist. Denn die Ampel wolle ja offensichtlich eine spürbare Veränderung in der Pandemiepolitik. „Vorsicht, Verantwortung und Entschlossenheit - nur so schützen wir Gesundheit und Leben der Menschen“, betonte er.

Noch weiter ging Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU): „Ich glaube inzwischen, dass wir relativ schnell über dieses Thema sprechen müssen“, sagte er im „Deutschlandfunk“. Die Impfpflicht sei aus seiner Sicht die Ultima Ration, also das letzte Mittel im Kampf gegen die Pandemie.

Von der Noch-Bundesregierung ist in dieser Frage nichts mehr zu erwarten

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CDU) hat für eine Impfpflicht plädiert. Auch der schleswig-holsteinische Regierungschef Daniel Günther (CDU) ist offen dafür. Von der Noch- Bundesregierung ist laut Regierungssprecher Steffen Seibert allerdings keine Initiative in diese Richtung mehr zu erwarten. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) lehnt eine Debatte über eine Impfpflicht zumindest jetzt ab.

Die Gesundheitsämter vieler Städte in NRW haben unterdessen wieder große Probleme bei der Nachverfolgung von Infektionsketten und wünschen sich die Hilfe der Bundeswehr. Der Städtetag NRW hält es für sinnvoll, „sich bei der Kontaktnachverfolgung vorrangig auf enge Familienangehörige zu konzentrieren.“ (mit dpa)