Düsseldorf. Der DGB setzt im Kampf gegen die Pandemie in NRW vor allem auf 2G im Freizeitbereich und warnt vor zu großem Druck auf Beschäftigte.

Anja Weber (60) leitet seit 2017 den Deutschen Gewerkschaftsbund in NRW und möchte sich Anfang Dezember bei der Bezirkskonferenz erneut zur DGB-Landesvorsitzenden wählen lassen. Im Gespräch mit Matthias Korfmann warnt sie davor, in der Pandemie den Druck auf Arbeitnehmer zu stark zu erhöhen.

Frau Weber, sind Sie für 3G am Arbeitsplatz?

Weber: Wie sperren uns nicht gegen 3G am Arbeitsplatz, legen aber großen Wert darauf, dass man zunächst im öffentlichen Raum alle Möglichkeiten nutzt, um die Impfquote zu verbessern, zum Beispiel mit 2G im Freizeitbereich. Das wird die Impfquote massiv erhöhen, das sehen wir in Sachsen und Österreich. Es ist aber ein Riesen-Unterschied, ob jemand eine Pizza essen möchte und nicht ins Restaurant darf, oder ob er seinen Lebensunterhalt verdienen muss und nicht mehr in den Betrieb darf. 3G am Arbeitsplatz ist sinnvoll , wenn dabei wichtige Voraussetzungen erfüllt werden: Der Arbeitgeber muss die Tests zur Verfügung stellen und bezahlen. Es wäre unerhört, die Impfquote zu erhöhen, indem man die Menschen am Arbeitsplatz zahlen lässt. Und Arbeitnehmervertreter müssen mitbestimmen können, wer die Tests durchführt, wo das gemacht wird, was mit den Daten passiert und wie das Testen mit der Arbeitszeit verrechnet wird.

Was geschieht, wenn sich jemand im Betrieb nicht testen lässt?

Weber: Dann müsste er mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen. Die dürfen aber nur das allerletzte Mittel sein. Vorher müssen Alternativen geprüft werden, zum Beispiel Homeoffice oder ein Einzel-Arbeitsplatz.

Was spricht gegen eine Impfpflicht für Beschäftigte?

Weber: Wir lehnen eine Impfpflicht generell ab, denn sie ist ein sehr weitreichender Eingriff. Die Arbeit ist eine Existenzfrage, also müssen wir andere Wege gehen.

Sollten Arbeitgeber abfragen dürfen, welche Beschäftigten geimpft sind?

Weber: In einem anständig geführten Betrieb ist das in der Regel sowieso bekannt. Denn dort haben die Menschen Vertrauen zueinander. Wir appellieren auch an die Beschäftigten, ihren Impfstatus offen zu legen. Aber eine Verpflichtung lehnen wir ab. Wir wollen nicht, dass Ungeimpfte im Betrieb so massiv unter Druck gesetzt werden und solche Konflikte am Arbeitsplatz ausgetragen werden.

Brauchen wir angesichts der 4. Corona-Welle klarere Regeln für Homeoffice?

Weber: Wir brauchen da dringend einen Ordnungsrahmen, zum Beispiel das Recht auf Nichterreichbarkeit, Vergütung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit und das Recht auf einen gesunden Heim-Arbeitsplatz. Die Physiotherapeuten haben viel zu tun mit Homeoffice-Beschäftigten.

Sie haben Daten des Statistischen Bundesamtes zur Tarifbindung ausgewertet und was dabei festgestellt?

Weber: Wenn alle Beschäftigten in NRW tarifgebunden arbeiten würden, hieße das im Jahr 2,1 Milliarden Euro mehr an Beiträgen für die Sozialversicherung, eine Milliarde Euro mehr an Einkommenssteuer für Bund, Land und Kommunen und 3,1 Milliarden Euro höheres Nettogehalt. Man verschenkt Milliarden Euro und schädigt damit nicht nur die Staatskasse, sondern auch die Arbeitnehmer und sogar die Demokratie, weil die Menschen mit tarifgebundener Arbeit zufriedener wären. Tarifflucht ist teuer.

Wo hoch ist die Tarifbindung noch?

Weber: Die aktuellsten Zahlen stammen von 2019. Damals lag die Tarifbindung in NRW bei 57 und im Bund bei 52 Prozent, Tendenz sinkend. Zehn Jahre vorher lag die Quote in NRW noch bei 66 Prozent. Die Unternehmen müssen sich die Frage nach ihrer sozialen Verantwortung gefallen lassen.

Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

Weber: Tarifbindung und Mitbestimmung gehören oben auf die Agenda. Unternehmen, die Tarifverträge anwenden, sollten stärker unterstützt werden. Das erreicht man zum Beispiel durch ein Tariftreuegesetz, mit dem öffentliche Aufträge nur an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden. Der falsche Weg ist es, mit dem Arbeitszeitgesetz zu experimentieren. Da wird zum Beispiel geplant, Arbeitszeit-Schutzregeln mit dem Druckmittel Tarifvertrag zu schwächen. Das träfe insbesondere Beschäftigte in der Gastronomie. Betriebsräte und Gewerkschaften kämen in eine schwierige Lage, wenn sie vor die Wahl gestellt würden: Entweder sie schleifen den Arbeitsschutz oder es gibt keinen Tarifvertrag. Das trifft die Schwächsten und macht mich zornig.