Düsseldorf. Ralf Stoffels ist der neue Präsident der IHK Nordrhein-Westfalens. Hier spricht er über die Lehren aus Corona und Lieferengpässen.

Eigentlich hatte Ralf Stoffels, der neue Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) NRW, erfreuliche Umfragedaten aus der Unternehmerschaft mit zum Interview gebracht. Doch was sind die aufgehellten Konjunkturaussichten aus dem Sommer noch wert, wenn plötzlich Hochwasser, Lieferengpässe und Corona zuschlagen? Tobias Blasius sprach mit ihm.

Herr Stoffels, Sie übernehmen die IHK NRW als Präsident in einer sonderbaren Gemütsverfassung der Wirtschaft an Rhein und Ruhr. Ist die Krise nun überwunden oder nicht?

Die Stimmung in den Betrieben schwankt so stark wie lange nicht. Noch im Spätsommer gab es in den 16 Industrie- und Handelskammern des Landes eher wachsende Zufriedenheit wegen einer sich deutlich aufhellenden Auftragslage nach dem Höhepunkt der Pandemie. Nun gibt es neben der erneuten Zuspitzung der Corona-Lage plötzlich das Problem der weltweiten Lieferengpässe.

Mit welchen Auswirkungen?

Bestimmte Rohstoffe oder Zwischenprodukte sind gar nicht mehr oder nur mit dramatischen Verzögerungen und Preisaufschlägen zu bekommen. Mein Unternehmen verarbeitet zum Beispiel Silikonkautschuk, die Basis Silizium ist im Preis explodiert. Andere Unternehmen, die eigentlich überschaubare Rohstoff-Abhängigkeiten haben, warten plötzlich Monate auf Elektronikkomponenten für ihre Anlagen.

Sollte nicht eine Lehre der Corona-Krise sein, dass wieder mehr Produktionen nach Deutschland zurückgeholt werden?

Die weltweite Vernetzung der Wirtschaft und die damit einhergehenden Abhängigkeiten werden für viele jetzt erst offensichtlich. Die globale Arbeitsteilung werden wir aber kaum zurückdrehen können und wollen. Bei Massenprodukten bleibt der Preis bestimmend, bei anderen Produkten sind wir auf Rohstoffe angewiesen. Die Marktchance der deutschen Wirtschaft sehe ich vor allem in der Innovation, in der Spezialisierung und Individualisierung von Produkten.

Die vierte Corona-Welle rollt. Was halten Sie von einer Impflicht für bestimmte Berufsgruppen?

Ich persönlich bin der Auffassung, dass wir in den zur Bekämpfung der Pandemie wichtigen Bereichen wie dem medizinisch-pflegerischen Bereich die Impfquote weiter erhöhen müssen, um die Schwächsten beispielsweise in den Senioreneinrichtungen zu schützen. Bei allem Respekt vor der Freiheit, sich nicht impfen zu lassen: Es gibt Berufe, die eine ganz besondere Verantwortung für die Gesundheit der Mitmenschen mit sich bringen.

Wie lange sollen Unternehmen noch kostenlose Tests anbieten?

Grundsätzlich sehe ich eine ungebrochen große Bereitschaft, Testmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, weil sie Sicherheit ins Unternehmen bringen. Es gibt aber je nach Betriebsgröße unterschiedliche Probleme. Für kleinere Unternehmen ist die Bereitstellung von Test-Kits eine finanzielle und logistische Herausforderung. Die vielen größeren Mittelständler in Nordrhein-Westfalen stehen dagegen eher vor der Aufgabe, dass freiwillige Testangebote von einer größtenteils geimpften Belegschaft auch weiterhin genutzt werden.

Hat Corona das Homeoffice für immer etabliert?

Ich finde, man sollte den Trend zur Heimarbeit weder idealisieren noch verteufeln. Statt einer neuen Verpflichtung sollten wir uns am Alltag in den Unternehmen orientieren. Neue Mitarbeiter müssen sich erst mit der Betriebskultur vertraut machen, und das geht am besten immer noch in Präsenz. Die Kreativität und Effektivität von Videokonferenzen haben mich auch noch nicht restlos überzeugt. Im Produktionsbereich ist Heimarbeit ohnehin kaum umsetzbar, weil ich die Maschinen schlecht nach Hause verlagern kann. Aber ich erlebe in vielen Unternehmen kluge Kompromisse und mehr Flexibilität zur sinnvollen Arbeitsorganisation.

Welche Spuren hinterlässt Corona auf dem NRW-Ausbildungsmarkt?

Der Kampf um Auszubildende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die durch Corona noch einmal erschwert wurde. Ohne Ausbildungsmessen und Praktika war es noch schwieriger, junge Leute von den tollen Perspektiven der dualen Ausbildung zu überzeugen. Das müssen wir aber, denn es sind vor allem Fachkräfte mit Berufsabschluss, die der Wirtschaft in Zukunft fehlen werden. Doppelt schwierig ist die Lage für Branchen, die besonders unter der Pandemie gelitten haben und neben zwei dezimierten Ausbildungsjahrgängen auch noch Belegschaft an andere Branchen verloren haben.