Essen. In den Verhandlungspoker um die Zukunft des Regionalbahnbetreibers Abellio kommt offenbar Bewegung. Abellio bessert Angebot nach.

In den Verhandlungspoker um die Zukunft des zweitgrößten NRW-Regionalbahnbetreibers Abellio kommt offenbar Bewegung. Abellio kündigte am Freitagabend an, den NRW-Verkehrsverbünden ein verbessertes "Angebot zur Fortführung der Verkehre" vorlegen zu wollen. Dieses umfasse umfangreiche Verlustübernahmen und Barauszahlungen in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrages.

Das Unternehmen erklärte sich bereit, die Verkehre in den Netzen S-Bahn Rhein-Ruhr und Rhein Ruhr-Express (RRX) bis Dezember 2023 fortzuführen. Dies wären zehn bzw. elf Jahre weniger als vertraglich festgelegt. Zudem solle mit dem finanziellen Beitrag der Betrieb im Ruhr-Sieg-Netz, im Niederrhein-Netz und auf der S7 bis zum Ende der Verkehrsvertragslaufzeit 2028 bzw. 2034 gewährleistet werden.

Paket soll bis Mitternacht vorgelegt werden

Das Paket solle am heutigen Freitag "fristgerecht bis Mitternacht" an die Geschäftsführer von Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR), Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) und Zweckverband Nahverkehr Rheinland (NVR) übermittelt werden, teilte das Unternehmen mit. Die Verkehrsverbünde hatten dem von Insolvenz bedrohten Unternehmen am Mittwoch eine Frist bis zum heutigen Freitag zur Nachbesserung eines Kompensationsangebotes für erwartbare Vertragsschäden gesetzt.

"Tropfen auf den heißen Stein“

Abellio will eigentlich aus besonders verlustreichen NRW-Linien vorzeitig aussteigen und hatte zunächst angeboten, dafür eine Kompensation in Millionenhöhe zu zahlen. Laut VRR wären durch das ursprüngliche Angebot gerade einmal 13 Prozent des finanziellen Schadens abgedeckt, der den Verkehrsverbünden durch den Abellio-Ausstieg entstehen würde. Bei den Verkehrsverbünden hieß es, das sei bestenfalls „ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Abellio hat angeblich bislang kein neues Angebot vorgelegt

Abellio habe bislang kein neues Angebot vorgelegt, hieß es noch bis Freitagnachmittag aus Kreisen der Verbünde. Offenbar aber hat sich die Verhandlungsposition der Deutschland-Tochter der niederländischen Staatsbahn NS verschlechtert. „Für alle Abellio-Linien liegen uns inzwischen Übernahmeangebote von anderen Bahnunternehmen vor“, sagte ein Beteiligter. Für manche Strecken seien sogar mehr als zwei Angebote auf dem Tisch. Dadurch sei gewährleistet, dass es im Falle eines kurzfristigen Ausstieges von Abellio schon zum Februar zu einem geregelten Übergang des Bahnbetriebs kommen werde.

Nach Informationen dieser Zeitung wollen unter anderem die DB Regio und National Express Abellio-Linien übernehmen. Das stelle zudem sicher, dass der Wettbewerb in der Bahnbranche weiter funktioniere. Zuletzt hatte auch die französische Staatsbahn-Tochter Keolis ihren Rückzug aus NRW angekündigt.

SPD: Keine Einigung ist keine Option

Die Abellio-Debatte hat unterdessen die Landespolitik auf den Plan gerufen. Die neue NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes (CDU) hatte die Probleme um das Bahnunternehmen in dieser Woche zum Thema im Verkehrsausschuss des Landes gemacht. Nun äußerte sich auch die SPD. „Keine Einigung ist keine Option“, sagte Carsten Löcker, Verkehrspolitischer Sprecher der oppositionellen SPD-Landtagsfraktion, am Freitag dieser Redaktion. Die Verkehrsministerin müsse alles dafür tun, dass das Mobilitätsangebot in Nordrhein-Westfalen aufrechterhalten bleibe, so Löcker. Dazu gehöre auch eine Anschlussregelung für die rund 1000 Abellio-Beschäftigten in NRW. Löcker: „Eine veranlasste Abwanderung dieser Arbeitskräfte würde den Schienenverkehr in NRW vielerorts umgehend lahmlegen.“

Der gewerkschaftsnahe Verein Mobyfair fordert angesichts der Abellio-Misere ein Umdenken bei der Auftragsvergabe im regionalen Schienenverkehr. „Beide, Bahnunternehmen und Auftraggeber, müssen mehr Wert auf die Qualität der Angebote legen“, sagte Mobyfair-Vorstand Dirk Schlömer dieser Redaktion. An eine Zukunft für Abellio in NRW glaubt Schlömer indes nicht: „Der niederländische Steuerzahler wird kaum bereit sein, für durch Fehlkalkulationen des Managements entstandene Verluste einer Auslandstochter der niederländischen Staatsbahn aufzukommen.“

Abellio NRW fährt seit Jahren Verluste ein

Abellio NRW fährt seit Jahren Verluste ein, dem Vernehmen nach insgesamt rund 400 Millionen Euro. Die Bahngesellschaft begründete das stets mit stark gestiegenen Personalkosten und vermehrten Strafzahlungen für Verspätungen durch immer mehr Baustellen. Die NRW-Strecken seien nicht mehr rentabel. Den Vorwurf, Hauptgrund für die desolate Finanzlage seien eigene Dumpingpreise bei den Ausschreibungen der Strecken, weist Abellio zurück. Derzeit steckt Abellio in einem sogenannten Schutzschirmverfahren. Mit VRR, NWL und NVR einigte man sich unlängst auf eine Fortführungsvereinbarung, die den Zugbetrieb bis Ende Januar sicherstellt. Abellio betreibt in NRW unter anderem die RRX-Linien 1 und 11, die S-Bahnen 2, 3 und 9 sowie die Linien RB 32 und 40.

Land erhöht ab 2022 die Pauschale für die Verbünde

Über Verluste, ausgelöst durch unerwartet hohe Tarifsteigerungen beim Personal, Behinderungen durch vermehrte Baustellen im NRW-Gleisnetz und Corona-Folgen, klagen auch andere Bahnunternehmen. Noch in seiner Funktion als damaliger Verkehrsminister hatte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Sommer daher signalisiert, das Land werde den Verkehrsverbünden zum Ausgleich unter die Arme greifen.

Der Landeszuschuss für den regionalen NRW-Schienenverkehr von derzeit 1,12 Milliarden Euro wurde daraufhin erhöht. Ab 2022 fließen jährlich elf Jahre lang jeweils 70 Millionen Euro mehr an die Verkehrsverbünde. 45 Prozent der Summe entfallen auf den VRR. Der Zuschuss deckt aber längst nicht alle Kosten ab, die den Bahnfirmen zusätzlich entstanden sind.