Essen/Düsseldorf. Das Pokerspiel um die angeschlagene Bahnfirma Abellio spitzt sich zu. Schon ab Februar droht das Aus für alle Abellio-Linien in NRW.

Im Fall des vor der Insolvenz stehenden Regionalbahn-Betreibers Abellio spitzt sich die Lage zu. Spätestens an diesem Freitag wollen die drei NRW-Verkehrsverbünde endgültig entscheiden, ob die finanziell angeschlagene Tochter der niederländischen Staatsbahn im NRW-Regionalverkehr noch eine Zukunft hat oder nicht. Bis dahin geben die Verbünde dem Unternehmen Zeit, sein Kompensations-Angebot für die millionenschweren Folgekosten eines vorzeitigen Vertragsausstiegs nachzubessern. Kommt es bis Freitag zu keiner Einigung, droht schon ab Februar das Aus für alle Abellio-Linien in NRW.

Weitreichende Folgen für NRW-Regionalverkehr

Für den regionalen Schienenverkehr hätte das weitreichende Folgen. Erstmals in der Landesgeschichte würde ein großer Bahnbetreiber auf einen Schlag vom NRW-Markt verschwinden. Per Notvergabe müssten andere Bahnunternehmen kurzfristig einspringen und binnen weniger Monate das weit verzweigte Liniennetz von Abellio übernehmen.

Kein geräuschloser Übergang

Dem Vernehmen nach stehen dafür zwar unter anderem schon die DB Regio und National Express bereit. Dennoch: Dass die Adhoc-Übernahme geräuschlos über die Bühne geht, glaubt in der Branche kaum jemand. Es sei zu erwarten, dass Abellio-Mitarbeiter dem strauchelnden Unternehmen im laufenden Betrieb den Rücken kehrten und auf dem ohnehin leer gefegten Markt der Lokführer und Zugbetriebskräfte schnell einen neuen Job finden – im Zweifel außerhalb NRWs. Als sicher gilt zudem, dass die Abellio-Konkurrenz aus der Notsituation zulasten der Verkehrsverbünde Kapital schlagen würde.

Abellio droht das Aus im NRW-Regionalverkehr. Für den regionalen Schienenverkehr hätte das weitreichende Folgen.
Abellio droht das Aus im NRW-Regionalverkehr. Für den regionalen Schienenverkehr hätte das weitreichende Folgen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Abellio fährt in NRW jeden sechsten Zugkilometer

Das Abellio-Netz ist im regionalen NRW-Schienenverkehr von zentraler Bedeutung. Jeder sechste Zugkilometer wird von Abellio-Zügen gefahren, darunter die RRX-Linien 1 und 11, die S-Bahnen 2, 3 und 9 sowie die Linien RB 32 und 40. Im Ruhrgebiet ist Abellio besonders aktiv. 80 Prozent seiner NRW-Verkehrsleistungen erbringt das Unternehmen für den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR).

Dennoch fährt Abellio seit Jahren Verluste ein. Die Bahngesellschaft begründet das mit stark gestiegenen Personalkosten und vermehrten Strafzahlungen für Verspätungen infolge der vielen Baustellen. Die NRW-Strecken seien nicht mehr rentabel. Den Vorwurf, Hauptgrund für die desolate Finanzlage seien eigene Dumpingpreise bei den Ausschreibungen der Strecken, weist Abellio zurück.

Verkehrsministerin: Aufgabenträger dürfen nicht alle Kosten übernehmen

Aktuell steckt Abellio Deutschland im Schutzschirm-Hauptverfahren des Insolvenzrechts. In anderen Bundesländern konnte Abellio Lösungen mit den Aufgabenträgern aushandeln. Mit den NRW-Verkehrsverbünden VRR, NWL (Westfalen-Lippe) und NVR (Rheinland) einigte sich Abellio unlängst nur auf eine Fortführungsvereinbarung, die den Zugbetrieb bis Ende Januar sicherstellt. Seitdem ringen die Verhandlungspartner um eine langfristige Lösung.
Doch die rückt in immer weitere Ferne. Bis zuletzt pokerte man ums Geld, um Vertragslaufzeiten und wettbewerbsrechtliche Fragen. Letztlich aber wohl auch ums Image. Keinesfalls wollen sich VRR & Co nachsagen lassen, von cleveren Abellio-Verhandlern über den Tisch gezogen worden zu sein. Andererseits wollen die Niederländer einen Gesichtsverlust im europäischen Bahngeschäft vermeiden.

Zuletzt hatte Abellio angeboten, aus den Verkehrsverträgen für den RRX und das S-Bahn-Netz Rhein-Ruhr schon 2023 und damit zehn bzw. elf Jahre vor Ende der Vertragslaufzeit auszusteigen. Das Ruhr-Sieg-Netz, das Niederrhein-Netz und die S 7 wollte Abellio dagegen vertragsgemäß weiterbetreiben.

Kompensationsangebot für Verkehrsverbünde ein „absolutes No-Go“

Als Kompensation dafür soll Abellio nach Angaben des gerichtlich bestellten Sachwalters Rainer Eckert einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag angeboten haben. Dieser Darstellung widersprach VRR-Chef Ronald Lünser am Mittwoch im Verkehrsausschuss des Landtages heftig. Abellio habe lediglich einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag angeboten. Damit wären, so der VRR-Chef, gerade einmal 13 Prozent des finanziellen Schadens abgewendet, der den Verbünden durch den Abellio-Rückzug entstehen würde. NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes (CDU) gab zudem zu bedenken, dass die Aufgabenträger nicht alle Kosten ausgleichen dürfen. Das gelte etwa für Personalkosten.

Für die Verkehrsverbünde kommt das Abellio-Angebot schon aus Selbstschutz nicht in Frage. Aus Verhandlungskreisen heißt es: Die Übernahmen von Verlusten privater Bahnbetreiber durch die öffentliche Hand in dieser Größenordnung sei „ein absolutes No-Go“.

Grüne fordern: Fahrgäste nicht im Regen stehen lassen

Das mögliche Aus des von Insolvenz bedrohten NRW-Regionalbahn-Betreibers Abellio ruft auch die Landespolitik auf den Plan. Arndt Klocke, stellvertretender Vorsitzender und verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, forderte die neue NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes (CDU) auf, dafür zu sorgen, dass weder die Fahrgäste noch die Kommunen Leidtragende einer möglichen Insolvenz des Tochterunternehmens der niederländischen Staatsbahn werden. „Die Landesregierung darf die Kommunen bei der Frage der zukünftigen Finanzierung der betroffenen Regional- und S-Bahn-Linien nicht im Regen stehen lassen“, sagte Klocke am Rande der Verkehrsausschuss-Sitzung am Mittwoch.