Ruhrgebiet. Mehr als 30 Städte und Gemeinden in NRW haben den sogenannte Klimanotstand ausgerufen. Heute prüfen viele ihre Vorhaben auf Klimaverträglichkeit

Bochum hat es getan, Gladbeck sogar am selben Tag, Herne folgte und Mülheim erst vor rund einem Jahr: In ganz NRW hat die Kommunalpolitik in über 30 Städten und Gemeinden zwischen 2019 und 2020 den sogenannte „Klimanotstand“ ausgerufen und sich damit einer weltweiten Bewegung vieler Kommunen angeschlossen, die sich zur Dringlichkeit des Klimaschutzes bekannt haben.

Auch in mehreren Städten des Ruhrgebiet wurden solche Beschlüsse gefasst. Wie viel Symbolpolitik steckte dahinter? Was hat sich getan?

Gladbeck: Flachdächer werden nun begrünt

Das Thema Klimaschutz habe schon vor dem Klimanotstands-Beschluss eine große Rolle in der Stadt gespielt, sagt der Gladbecker Stadtbaurat Volker Kreuzer. „Trotzdem war es ein wichtiges Signal der Politik, das uns Rückenwind für Projekte gegeben hat. Wir sind in Sachen Klimaschutz weiter als vor zwei Jahren.“

Stadtbaurat Volker Kreuzer: „Weiter als vor zwei Jahren“.
Stadtbaurat Volker Kreuzer: „Weiter als vor zwei Jahren“. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Kreuzer nennt beispielhaft, dass Flachdächer von Neubauvorhaben in Gladbeck nun begrünt werden. Es werden Freiflächen für Photovoltaikanlagen entwickelt und die Frage, wie sich die Stadt an Folgen des Klimawandels anpassen kann, werde bei Vorhaben mitgedacht. „Am Ende interessiert natürlich, was bei all dem herauskommt, deshalb wollen wir eine städtische CO-Bilanz verstetigen“ – also klären, was Gladbeck an Treibhausgasen spart.

Klima-Checks für städtisches Handeln

In vielen Klimanotstands-Kommunen müssen städtische Vorhaben nun auf ihre Klimafolgen abgeklopft werden. Gelsenkirchen etwa hat einen solchen Fragebogen erarbeitet und für das erste Halbjahr 2020 festgestellt, dass sich nur acht Prozent ihrer Entscheidungen negativ aufs Klima ausgewirkt haben. In Herne sind ebenfalls Checklisten erarbeitet worden. Bottrop ist noch einen Schritt weiter gegangen und lässt städtische Vorhaben auch auf soziale und wirtschaftliche Aspekte hin prüfen. Damit nimmt die Stadt nach eigenem Bekunden eine Vorreiterrolle ein.

Bochum hat erst im Sommer dieses Jahres einen Klima-Check eingeführt, in dem Verwaltungsmitarbeitende nun Fragen zu Klimafolgen beantworten müssen. „Damit werden Nachhaltigkeit, Klimaschutz und -resilienz fest ins Verwaltungshandeln verankert“, sagt Sonja Eisenmann, Klima- und Nachhaltigkeitsbeauftragte der Stadt Bochum. Ihre Stelle und das vierköpfiges Team sind selbst eine Folge des Klimanotstandes.

Bochum: Neue Radwege, Baumrigolen und Bibliothek der Dinge

Zu den weiteren Auswirkungen des Ratsbeschlusses von 2019 zählt Eisenmann eine Reihe von Projekten: Der Fuhrpark von Stadt und Tochtergesellschaften werde nach und nach durch Elektrofahrzeuge ersetzt. Neue Radwege wurden ausgewiesen, alte besser beschriftet und ein erster durch Beton-Barrieren gegen Autos geschützt. Werden Straßen oder Gehwege saniert, erhalten Bäume im Rahmen von Rigolensystemen spezielle Versickerungs- und Verdunstungsflächen. Und in einer neuen „Bibliothek der Dinge“ kann man sich für rund 120 Euro im Jahr all jenes ausleihen, was man sich sonst teuer kaufen und nur selten benutzen würde.

Sonja Eisenmann ist die neue Klima- und Nachhaltigkeitsbeauftragte der Stadt Bochum.
Sonja Eisenmann ist die neue Klima- und Nachhaltigkeitsbeauftragte der Stadt Bochum. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Eisenmanns Team kommt auf über 300 Einzelmaßnahmen im Bereich Klima und Nachhaltigkeit, die es in Bochum aktuell gibt. „Wir haben nicht bei null angefangen“, räumt sie ein. So trügen städtische Gebäude in Bochum - mit Ausnahme des denkmalgeschützten Rathauses - bereits Solaranlagen. Alles eine Folge des Notstands? Eisenmann relativiert: „Wir wären nicht an dem Punkt, an dem wir jetzt stehen, wenn der öffentliche Druck nicht so groß geworden wäre.“

Umweltschützern geht es nicht schnell genug

Kritik gibt es trotzdem in einigen Städten: Das „Bochumer Klimaschutzbündnis“ kritisierte Ende 2020, es gehe nur „im Schneckentempo“ voran. Auch Radfahrer wünschen sich mehr Tempo. Helge Ehrhardt von „Scientists for Future“ in Bochum indes relativiert, es passiere schon etwas, aber noch zu wenig - und zu langsam. „Was Bochum an Maßnahmen beschlossen hat, war deutlich schärfer und mehr als wir in den Vorjahren erlebt haben“, sagt Ehrhardt. Positiv sei etwa das Förderprogramm für Dach- und Fassadenbegrünung. Fortschritte müssten aber nachvollziehbarer werden, zudem müsse mehr Tempo gemacht werden.

In Gelsenkirchen kritisierte Fridays for Future in diesem Sommer, dass die Dringlichkeit beim Klimaschutz noch nicht erkannt worden sei. Ähnlich äußert sich die Grünen-Ratsfraktion aus Herne: Nötig seien radikalere Schritte etwa im Verkehrswesen. Straßen zu Radwegen umwidmen, Spuren für Radfahrer abtrennen oder Parkgebühren erhöhen – solche schnellen Schritte müssten diskutiert werden. Die Stadt Herne informiert seit dem Klimanotstands-Ratsbeschluss jedes Jahr über Klimaschutzmaßnahmen. In den Aufzählungen sind Förderungen für Solardächer, Maßnahmen zur Waldaufforstung und Fahrzeuge mit alternativen Antrieben im städtischen Fuhrpark genannt. Aus Sicht der Grünen reicht das nicht. Auch die „Fridays-for-Future“-Ortsgruppe findet, dass sich zu wenig getan habe.

Umweltwissenschaftlerin Bierwirth: Wichtiges Signal und mehr als Symbolpolitik

Fachleute nehmen die Kommunen indes in Schutz. Anja Bierwirth vom Wuppertal Institut erklärt es an sich schon als Erfolg, dass so viele Städte den Klimanotstand ausgerufen haben. „Man darf nicht vergessen: Der Klimanotstand ist nicht mit Personalstellen oder Fördergeldern verbunden. Die Städte haben also erst einmal nichts davon, geben sich dafür aber Aufgaben“, sagte die Umweltwissenschaftlerin, die seit vielen Jahren an der Denkfabrik für Nachhaltigkeitsfragen zum Wandel der Städte forscht.

Deshalb sei das Ausrufen des Klimanotstandes auch mehr als Symbolpolitik. Es sei ein klares Signal: „Die Städte wollen etwas tun, aber sie brauchen auch Hilfe und Gelder von Land und Bund.“ Bierwirth erinnert daran: Klimaschutz ist keine Pflichtaufgabe der Kommunen. Genau das sollte er aber sein, so die Fachfrau. „Das würde für die Städte Gelder und Personal bedeuten.“

Der Gladbecker Stadtbaurat Volker Kreuzer meint, Klimaschutz sei bereits eine Pflichtaufgabe. „Es gibt inzwischen doch kaum noch Regelungen oder Gesetze, in denen wir nicht auch den Klimaschutz zu berücksichtigen haben.“ Um aber darüber hinaus Vorhaben umzusetzen, brauche es gerade für finanzschwache Kommunen aber verlässlich Gelder von Land und Bund.