Düsseldorf. Der neue Regierungschef schiebt den Kinderwagen und kommt als moderner, mitfühlender Konservativer daher. Viel Bewährungszeit bleibt ihm nicht.

Die Zeitenwende im Ministerpräsidenten-Amt kündigt sich schon eine Stunde vor dem ersten Wahlgang an. Hendrik Wüst steht am Mittwochmittag im nachtblauen Slimfit-Anzug auf dem Fußweg vor dem Düsseldorfer Landtag, einem beliebten Touristen-Trampelpfad, und nimmt seine Frau Katharina in Empfang. Er küsst sie und übernimmt den Kinderwagen, in dem die sieben Monate alte Tochter Philippa liegt. Gemeinsam geht die kleine Familie Richtung Parlament.

Der vordergründig private Moment wird nicht ganz zufällig von vielen Kameras festgehalten. So entsteht eine Bilderserie wie ein kleiner Foto-Roman: Landespapa in Love. Wenn Armin Laschet nicht zuletzt über sein Unvermögen gestürzt ist, klare Botschaften zu setzen und vorteilhafte Bilder von sich zu entwerfen, dann zeigt der 46-jährige Wüst schon an Tag eins, dass er es anders machen will. Seine Botschaft wird so dick aufgetragen, dass sie jeder versteht: Hier kommt ein moderner, mitfühlender Konservativer.

"Sie ist meine tägliche Glücksquelle"

Später, in seiner ersten kleinen Ansprache als soeben gewählter Ministerpräsident dankt er sogar demonstrativ seiner Tochter, die sich auf dem Schoß der Mutter oben in der Landtagsempore wohl fragen mag, was all die dunkel gekleideten Menschen um sie herum da machen. „Sie ist eines von rund 170.000 Kindern, die in diesem Jahr in Nordrhein-Westfalen geboren werden und hat meinen Blick auf diese Welt noch einmal total verändert“, sagt Wüst. Und weiter: „Sie ist meine tägliche Glücksquelle und größte Motivation, unser Land jeden Tag noch etwas besser machen zu wollen.“

Laschet wären solche Sätze vermutlich nicht ironiefrei über die Lippen gekommen. Aber er spielt an diesem Tag eh nur noch eine Nebenrolle. Laschet hält „ein paar Wort des Abschieds“, wie es üblich sei, wenn Ministerpräsidenten „in eine andere Funktion wechseln“, sagt er. Der Wechsel in eine andere Funktion ist in seinem Fall der Sturz vom gefühlten Kanzler ins Niemandsland der Bundestagshinterbänke binnen weniger Wochen.

Laschet wahrt im bitteren Abschied Haltung

Doch Laschet wahrt Haltung, preist NRW als soziales Gewissen der Republik, als Schmelztiegel der Kulturen und Land des Strukturwandels. Seine letzten Worte in Düsseldorf spricht er mit brüchiger Stimme: „Es war mir eine Freude, es war mir eine Ehre, Glück auf und Gottes Segen für unser Nordrhein-Westfalen.“ Knapp viereinhalb Jahre in der Staatskanzlei sind Geschichte. Die Fraktionen von CDU und FDP applaudieren stehend, bei SPD und Grünen hält sich der Beifall knapp.

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Von Matthias Korfmann, Tobias Blasius und Stefan Meinhardt

Zumindest der Machtübergang ist Laschet in Düsseldorf noch gelungen. Das steht an diesem besonderen Tag um 14.09 Uhr fest, als Landtagspräsident André Kuper (CDU) das Ergebnis der Ministerpräsidenten-Wahl verkündet. Die erforderliche absolute Mehrheit von 100 Stimmen steht im ersten Wahlgang. Mehr noch: Drei Oppositionsabgeordnete müssen mit den 100 Parlamentariern von CDU und FDP gestimmt haben.

Die Erleichterung nach der Ergebnisbekanntgabe

Die Koalition johlt, springt geschlossen auf, einige Abgeordnete klatschen sich ab. Die Erleichterung: unübersehbar. CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen hatte zwar demonstrative Zuversicht verbreitet, dass die knappe schwarz-gelbe Mehrheit stehen werde. Für 16 Uhr war bereits ein Empfang zu Ehren Wüsts angesetzt. Doch die Einsamkeit der Stimmkabine ist unkalkulierbar. Die desaströse Lage der CDU im Bund, das gute Arbeitsklima in der Koalition und die geringe Lust auf vorgezogene Neuwahlen scheinen am Ende disziplinierend gewirkt zu haben.

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Wüst ist jedenfalls ohne Schrammen durchgekommen und hat nun knapp sieben Monate Zeit, um bis zur Landtagswahl am 15. Mai 2022 einen Amtsbonus aufzubauen. Kurz nach Kupers Ergebnisverlesung zeigt er Gesten der Demut: Wüst legt die Handflächen aneinander und verbeugt sich zu allen Seiten. Er klopft sich immer wieder auf die linke Brusthälfte, dorthin, wo Fußballprofis gern das Vereinsemblem küssen.

Wüst ist der Respekt vor dem Amt anzumerken. Er ist schon seit 16 Jahren Abgeordneter und hat in der Berufspolitik viele Höhen und Tiefen erlebt. Von seiner politischen DNA her ist er konservativer, wirtschaftsliberaler, wettkampfhärter und entscheidungsfreudiger als der freundlich-moderierende Laschet. Aber als Ministerpräsident beschreitet er jetzt den schmalen Grat zwischen Führung, Fügung und Gefühl. Nur wenn sich die politische Großwetterlage für die CDU bessert, Wüst einen eigenen Stil findet und das Land programmatisch klar zwischen Klimaschutz, Wirtschaftsförderung und gesellschaftlichem Zusammenhalt positioniert, hat er die Chance auf Laufzeitverlängerung. Sein Anspruch ist groß: Er stehe für eine Politik, „die an die nächste Generation denkt und nicht nur an die nächste Wahl“.

Rau, Clement, Kraft: Die NRW-Ministerpräsidenten seit 1946

Dr. Rudolf Amelunxen (parteilos, ab 1947 Zentrumspartei) || * 30. Juni 1888 in Köln, ✝ 21. April 1969 || Jurist || Amtszeit: 24. Juli 1946 bis 22. April 1947
Dr. Rudolf Amelunxen (parteilos, ab 1947 Zentrumspartei) || * 30. Juni 1888 in Köln, ✝ 21. April 1969 || Jurist || Amtszeit: 24. Juli 1946 bis 22. April 1947 © picture alliance / dpa | dpa-Film
Karl Arnold (CDU) || * 21. März 1901 in Herrlishöfen, ✝ 29. Juni 1958 || Schuhmachergeselle und Gewerkschaftsgründer || Amtszeit: 17. Juni 1947 bis 20. Februar 1956
Karl Arnold (CDU) || * 21. März 1901 in Herrlishöfen, ✝ 29. Juni 1958 || Schuhmachergeselle und Gewerkschaftsgründer || Amtszeit: 17. Juni 1947 bis 20. Februar 1956 © picture alliance / dpa | dpa-Film
Fritz Steinhoff (SPD) || * 23. November 1897 in Wickede, ✝ 22. Oktober 1969 || Bergmann || Amtszeit: 20. Februar 1956 bis 21. Juli 1958
Fritz Steinhoff (SPD) || * 23. November 1897 in Wickede, ✝ 22. Oktober 1969 || Bergmann || Amtszeit: 20. Februar 1956 bis 21. Juli 1958 © picture alliance / dpa | dpa-Film
Dr. Franz Meyers (CDU) || * 31. Juli 1908 in Mönchengladbach, ✝ 27. Januar 2002 || Rechtsanwalt || Amtszeit: 21. Juli 1958 bis 08. Dezember 1966
Dr. Franz Meyers (CDU) || * 31. Juli 1908 in Mönchengladbach, ✝ 27. Januar 2002 || Rechtsanwalt || Amtszeit: 21. Juli 1958 bis 08. Dezember 1966 © picture alliance / dpa | dpa-Film
Heinz Kühn (SPD) || * 18. Februar 1912 in Köln, ✝ 12. März 1992 || Journalist || Amtszeit: 8. Dezember 1966 bis 20. September 1978
Heinz Kühn (SPD) || * 18. Februar 1912 in Köln, ✝ 12. März 1992 || Journalist || Amtszeit: 8. Dezember 1966 bis 20. September 1978 © picture alliance / dpa | dpa-Film
Johannes Rau (SPD) || * 16. Januar 1931 in Wuppertal, ✝ 27. Januar 2006 || Verlagsbuchhändler || Amtszeit: 20. September 1978 bis 27. Mai 1998
Johannes Rau (SPD) || * 16. Januar 1931 in Wuppertal, ✝ 27. Januar 2006 || Verlagsbuchhändler || Amtszeit: 20. September 1978 bis 27. Mai 1998 © picture alliance / dpa | dpa-Film
Wolfgang Clement (SPD) || * 7. Juli 1940 in Bochum, ✝ 27. September 2020 || Jurist und Journalist || Amtszeit: 27. Mai 1998 bis 21. Oktober 2002
Wolfgang Clement (SPD) || * 7. Juli 1940 in Bochum, ✝ 27. September 2020 || Jurist und Journalist || Amtszeit: 27. Mai 1998 bis 21. Oktober 2002 © picture alliance / dpa | dpa-Film
Peer Steinbrück (SPD) || * 10. Januar 1947 in Hamburg || Volkswirtschaftler || Amtszeit: 6. November 2002 bis 22. Juni 2005
Peer Steinbrück (SPD) || * 10. Januar 1947 in Hamburg || Volkswirtschaftler || Amtszeit: 6. November 2002 bis 22. Juni 2005 © picture alliance / dpa | dpa-Film
Dr. Jürgen Rüttgers (CDU) || * 26. Juni 1951 in Köln || Jurist || Amtszeit: 22. Juni 2005 bis 14. Juli 2010
Dr. Jürgen Rüttgers (CDU) || * 26. Juni 1951 in Köln || Jurist || Amtszeit: 22. Juni 2005 bis 14. Juli 2010 © picture alliance / dpa | dpa-Film
Hannelore Kraft (SPD) || * 12. Juni 1961 in Mülheim an der Ruhr || Ökonomin || Amtszeit: 14. Juli 2010 bis 27. Juni 2017
Hannelore Kraft (SPD) || * 12. Juni 1961 in Mülheim an der Ruhr || Ökonomin || Amtszeit: 14. Juli 2010 bis 27. Juni 2017 © picture alliance / dpa | dpa-Film
Armin Laschet (CDU) || * 18. Februar 1961 in Aachen || Journalist || Amtszeit: 27. Juni 2017 bis 25. Oktober 2021
Armin Laschet (CDU) || * 18. Februar 1961 in Aachen || Journalist || Amtszeit: 27. Juni 2017 bis 25. Oktober 2021 © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Hendrik Wüst (CDU) || * 19. Juli 1975 in Rhede || Jurist || Amtszeit: seit 27. Oktober 2021
Hendrik Wüst (CDU) || * 19. Juli 1975 in Rhede || Jurist || Amtszeit: seit 27. Oktober 2021
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