Essen. Der neue NRW-Ministerpräsident ist für viele ein Unbekannter. Will Hendrik Wüst die Landtagswahl gewinnen, muss er nicht nur populärer werden.

„Hendrik wer?“ Die Frage dürften sich viele Menschen in Nordrhein-Westfalen gestellt haben, als sie die Nachricht von der Wahl Hendrik Wüsts zum neuen Ministerpräsidenten erreichte. Dies ist eine der Herausforderungen, die der 46-jährige Münsterländer jetzt schnellstens angehen muss: „Bekannt werden“ steht ganz oben auf der Erledigen-Liste des Mannes, der in weiten Teilen des Landes mehr oder weniger unbekannt ist.

Wüst übernimmt das Amt seines Vorgängers Armin Laschet in einer Lage, die für ihn und seine Partei kaum schlechter sein könnte. Wüst hat noch keinen Amtsbonus, leidet zudem unter dem desaströsen Erscheinungsbild der Union im Bund und muss zusehen, wie auch in NRW das Ansehen der CDU weiter bröckelt. Außerdem wird die aktuelle Regierungsarbeit im Land kritischer bewertet, als es CDU und FDP wahrhaben wollen. Vor allem der Schlingerkurs in der Corona-Politik, hier insbesondere in den Schulen, hat der Koalition geschadet.

Hendrik Wüst ist bereits neuer Vorsitzender der NRW-CDU. Am Mittwoch wurde er zum neuen NRW-Ministerpräsidenten gewählt.
Hendrik Wüst ist bereits neuer Vorsitzender der NRW-CDU. Am Mittwoch wurde er zum neuen NRW-Ministerpräsidenten gewählt. © SASCHA SCHUERMANN / AFP

Der Wind in Nordrhein-Westfalen hat sich gedreht

Und was die konkurrierende SPD angeht, so setzt sich der Bundestrend in NRW ebenfalls fort: Er zeigt für die Sozialdemokraten nach oben. Das dürfte weniger an Oppositionsführer Thomas Kutschaty liegen, der ähnlich wie Wüst noch an seinem Profil arbeitet, sondern ist dem allgemeinen CDU-Überdruss geschuldet. Im Stammland der SPD, vor allem aber im Ruhrgebiet, muss schon einiges passieren, wenn die Mehrheit der Menschen „ihre“ Partei nicht in der Regierungsverantwortung sehen will.

Dies war vor gut vier Jahren der Fall, denn Rot-Grün mit Hannelore Kraft an der Spitze hatte abgewirtschaftet, der Weg für CDU/FDP und Armin Laschet war frei – wenn auch denkbar knapp mit nur einer Stimme Mehrheit im Landtag. Aktuell hat sich der Wind wieder gedreht.

Die NRW-CDU darf alles - nur nicht streiten

Einziger Pluspunkt für Wüst in der derzeitigen Lage: Nach dem Desaster bei der Bundestagswahl, das Laschet als Kanzlerkandidat zu verantworten hat, das aber auch dem permanenten Streit zwischen CDU und CSU zuzuschreiben ist, darf die NRW-CDU fast alles - nur nicht streiten. Einigkeit ist also oberste Parteipflicht, will man die kleine Chance auf einen Wahlerfolg im Mai 2022 nutzen.

Wüst kommt das entgegen, viel mehr gibt es für ihn derzeit aber nicht auf der Habenseite zu verbuchen. Seine Themen dürften feststehen, ohne dass nennenswerte neue Impulse zu erwarten wären: Corona ist noch nicht überstanden, hat in Politik und Öffentlichkeit aber an Bedeutung verloren. Klimapolitik und Nachhaltigkeit, derzeit ganz oben auf der Agenda, gehören bekanntlich nicht zum Markenkern von CDU und FDP.

Sollte Wüst die Landtagswahlen 2022 verlieren, wäre er der Ministerpräsident mit der kürzesten Amtszeit

Der rasante Wandel in der Wirtschaft bedeutet eine Chance, verunsichert aber auch viele Menschen. Die Gratwanderung zwischen ökologischem Handeln und Sicherung von Industriearbeitsplätzen ist gerade in NRW von zentraler Bedeutung, kann aber nur in Maßen von hier aus beeinflusst werden. Viel hängt von den zentralen Weichenstellungen der künftigen Bundesregierung in Berlin ab. Auch in der Schulpolitik hat Wüst nicht den ersten Zugriff. Die Verantwortung liegt bei Ministerin Gebauer und damit bei der FDP.

Insofern wird mit Spannung zu beobachten sein, wie sich der neue Ministerpräsident bis zu den Wahlen zu profilieren versucht. Sollte er verlieren, würde er als Ministerpräsident mit der kürzesten Amtszeit in die Landesgeschichte eingehen – diese düstere Aussicht dürfte Wüst und seine Partei zusätzlich antreiben.