Oberhausen. Ab 2026 sollen Grundschulkinder Anspruch auf Ganztagsbetreuung haben. In Oberhausen ist das längst umgesetzt – trotz angespannter Finanzlage.
Mia und Nurhan haben einen gleich im Griff. Im rasanten Wortwechsel erzählen die beiden Siebenjährigen an der Oberhausener Ruhrschule von ihrem Bastelarbeiten, zeigen aus Wattebäuschen geklebte Gespenster („Soll das fröhlich oder traurig sein?“), und da, gleich an der Leseecke, geht es die Treppe hinauf zum Verkleiden und Kochen in der Spielküche. „Ich habe dir einen Salat gemacht und hier ein Eis“, sagt Nurhan oben angekommen. „Der Salat ist aber gesünder.“ Auch wieder wahr.
An der Ruhrschule im Oberhausener Süden ist der Unterricht lange vorbei und dennoch lärmt es von allen Seiten. Rund 200 der knapp 290 Grundschulkinder besuchen hier im Oberhausener Süden Angebote des offenen Ganztags (OGS). Ab 2026 soll jedem Grundschulkind in Deutschland der Zugang zu solch einer Nachmittagsbetreuung offen stehen. Die große Koalition hat den Rechtsanspruch als ihr letztes großes Vorhaben durchgesetzt. Es profitieren Kinder, die ab Sommer 2026 eingeschult werden. Damit hätte das alljährliche Zittern um einen Betreuungsplatz für viele Eltern ein Ende.
Knapp die Hälfte der Grundschulkinder in NRW sind in einer OGS-Betreuung
Ausgerechnet in einer klammen Revier-Stadt ist das längst der Fall: In Oberhausen gibt es für jedes Kind, das will, auch einen OGS-Platz. Anmeldungen werden nicht abgewiesen – 2003 hat sich die Kommunalpolitik in der damals noch SPD-geführten Stadt darauf verständigt. Mit 155 Kindern und drei Schulen hat die Stadt begonnen.
Im aktuellen Schuljahr sind mehr als 72 Prozent der Oberhausener Grundschulkinder in der Nachmittagsbetreuung - das ist weit über dem landesweiten Durchschnitt von knapp der Hälfte.
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In Oberhausen sei man sich über die Parteigrenzen beim Ganztag einig, sagt Ute Jordan-Ecker, Leiterin des städtischen Bereichs Schule. „Es gibt es einen breiten politischen Konsens darüber, jedem Kind einen Ganztagsplatz zu ermöglichen.“ Familie und Beruf sollen für die Eltern miteinander vereinbar sein, Kinder aus sozial schwierigeren Verhältnissen Zugang zu Angeboten bekommen, die sie anders seltener erreichen würden. „Anfangs ging es rein um die Betreuung, die Qualitätsdiskussion ist erst seit acht oder zehn Jahren mit steigenden Schülerzahlen aufgekommen, sagt Jordan-Ecker. Für den Ganztag zahlt die Stadt freiwillig drauf: 2020 hat die Kommune über zwei Millionen Euro aus eigener Tasche gezahlt, weil Elternbeiträge und Landeszuschüsse die laufenden Kosten nicht decken.
Platzmangel an den Schulen: Bund gibt Milliarden für Ausbau
An der Ruhrschule wird klar: Damit die „OGS für alle“ klappt, sind Kompromisse nötig. Obwohl die katholische Gemeinschaftsgrundschule in das frühere Gebäude einer Hauptschule gezogen ist, ist der Platzmangel groß. „Wir kommen an die Grenzen“, sagt Schulsozialarbeiter Daniel Grimm.
Jeder Jahrgang hat einen OGS-Raum, entzerrt wird über Außengelände und Sportangebote, damit nicht 50 Kinder eng zusammenhocken müssen. Es gibt eine Mensa. Doch es fehlten Rückzugsecken, sagt der 31-jährige Mitarbeiter der lokalen AWO, die seit drei Jahren den Ganztag an der Ruhrschule organisiert.
Der Bund beteiligt sich mit bis zu 3,5 Milliarden Euro an den Investitionskosten, um Baumaßnahmen an den Schulen umzusetzen und steigt ab 2026 bei den Betriebskosten ein. Finanzhilfen des Bundes sollen auch für die Erhaltung bereits bestehender Betreuungsplätze und nicht nur für die Schaffung neuer Plätze gewährt werden.
Der Bedarf ist groß. In Oberhausen gibt eine lange Liste mit notwendigen Umbauten, die nach und nach abgearbeitet wird. Allein in diesem Jahr fließen 2,4 Millionen Euro in die dortige OGS-Ausstattung. Eine Priorität in der Stadt: Mittagessen. Es gebe Schulstandorte, an denen alle Kinder mittags essen, sagt Jordan-Ecker - in bis zu fünf Schichten. Fördergelder des Landes fließen in große Küchen, deren Kräfte wiederum mit wissenschaftlicher Hilfe zertifiziert werden.
Mit Rechtsanspruch kommen auch Qualitätsvorgaben
Die OGS-Betreuung in NRW fußt bislang auf einem Erlass – eine Gesetzesgrundlage mit festen Standards zu Räumen, Personalschlüssel oder Qualitätsrichtlinien fehlt. Mit dem Rechtsanspruch wird das anders, wie Trägerverbände hoffen. Gerade die Raum- und Personalnöte stellen die Träger derzeit vor große Schwierigkeiten. Es gebe Städte, die den Druck auf die Träger erhöhen, mehr Plätze zu schaffen, obwohl die Finanzierung nicht auskömmlich sei, heißt es von Akteuren auf Landesebene.
In Oberhausen müssen die OGS-Leitungen pädagogische Fachkräfte sein, übrige Beschäftigten müssen sich 150 Stunden lang fortbilden lassen. Die Wartelisten sind lang, weitere personelle Vorgaben gibt es nicht. Inhaltlich gibt die Stadt den OGS-Trägern einen Rahmen vor - alles weitere vereinbaren OGS-Träger und Schulen miteinander. An der Ruhrschule heißt das: Es gibt gemeinsame Konferenzen, Unterricht und Ganztag werden oft thematisch miteinander verzahnt.
„Wir sind Schule“, sagt Gisela Larisch, die bei der Oberhausener Awo für den Bereich Ganztag zuständig ist. Auch wenn die Raumnot groß ist, erinnert sie an die Bedarfe der Kinder: „Wir haben hier Kinder, die nie Zugang zu einem Instrument hatten.“ Etwa 50 der Ganztagskinder kommen aus Familien im Leistungsbezug.
Fachkräftemangel bereitet Sorgen
Auch wenn die Stadt bereits überdurchschnittlich viele OGS-Plätze anbietet hat – entspannt schauen die Verantwortlichen nicht auf den ab 2026 gelten Rechtsanspruch. Gerade erwartete Vorgaben zu Personal machen ihr Bauchschmerzen, gesteht Jordan-Ecker von der Oberhausener Stadtverwaltung. „Wir haben schon jetzt einen gewaltigen Fachkräftemangel im pädagogischen Bereich. Das wird sich verschärfen, wenn ab 2026 alle Städte nach mehr OGS-Personal suchen.“
Der Rechtsanspruch sei dennoch folgerichtig und nur die logische Konsequenz des anhaltenden Kita-Ausbaus. Wünschenswert aus Sicht der Praktiker: Nicht vereinheitlicht werden dürfe die inhaltliche Ausrichtung einer OGS Träger und Schule offenstehen. „Jedes Schule hat ihr Programm. Das sollte so erhalten bleiben.“