Essen. Das Bafög verliert immer mehr an Relevanz. Alle Parteien sehen den Reformbedarf, gehen aber mit ganz unterschiedlichen Plänen in den Wahlkampf.

Im siebten Jahr in Folge sinkt die Zahl der Bafög-Empfänger in NRW. Nach Berechnungen des Statistischen Landesamtes IT.NRW war die Zahl der Leistungsempfänger 2020 um 5,6 Prozent niedriger als im Jahr zuvor. Demnach erhielten in NRW 112.247 von insgesamt rund 770.000 Studierenden die staatliche Bildungsförderung. Das bedeute ein Minus von 5400 Personen oder 4,6 Prozent.

Der Rückgang bei den geförderten Schülerinnen und Schülern fiel demnach mit einem Minus von 8,4 Prozent auf nunmehr knapp 40.000 noch deutlicher aus. Hingegen stieg der monatliche Förderbetrag im Jahr 2020 auf 544 Euro im Monat, ein Zuwachs um 11,6 Prozent. Insgesamt gab der Staat in NRW rund 668 Millionen Euro für Bafög-Leistungen aus.

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Dass die Studienfinanzierung nicht krisenfest ist, zeigte die Corona-Pandemie mit aller Deutlichkeit. Viele Studierende verschulden sich mit teuren Studienkrediten, weil klassische Studentenjobs weggebrochen sind oder müssen die finanzielle Überbrückungshilfe der Studentenwerke in Anspruch nehmen. Zugleich sinkt auch bundesweit die Zahl der Bafög-Bezieher weiter. 2020 ging die Zahl der Empfänger der staatlichen Ausbildungsförderung in Deutschland um rund 41.000 auf knapp 640.000 Schüler und Studierende zurück.

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Nur noch rund elf Prozent der knapp drei Millionen Studierenden profitieren demnach von der Förderung. Zum Vergleich: 2012 gab es noch insgesamt 973.000 Leistungsempfänger – bei rund 2,5 Millionen Studierenden. Seitdem sinkt die Zahl Jahr für Jahr. „Die von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek versprochene Trendumkehr ist ausgeblieben, ihre unzureichende und willkürliche Bafög-Politik geht auf Kosten der jungen Generationen“, kommentiert der Essener Bundestagsabgeordnete Kai Gehring die aktuellen Bafög-Zahlen für NRW.

Reformdruck auf die Politik wächst

Mit dem Rückgang wächst der Druck auf die Politik, die Ausbildungsförderung so schnell wie möglich zu reformieren. Experten und Studentenvertreter fordern seit Jahren eine umfassende Modernisierung des Bafög-Modells, um die Studienförderung an die sich veränderten Lebens- und Studienkonzepte anzupassen. Darin müsse auch ein „Notfall-Mechanismus“ enthalten sein, um Studierenden in Krisenzeiten unbürokratisch unter die Arme greifen zu können. Allerdings müssen sich Schüler und Studierende noch gedulden, denn erst im Laufe der nächsten Legislaturperiode wird eine neue Bundesregierung das Bafög-Tema anpacken.

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Zwar sehen alle Bundestagsfraktionen Handlungsbedarf, doch die Pläne, wie das Bafög künftig gestaltet werden soll, unterscheiden sich nach einer Auswertung des Deutschen Studentenwerks (DSW) deutlich.

Was die Bundestagsfraktionen planen

Demnach will die Uniondas Bafög im Rahmen der bestehenden Regelung verbessern und flexibilisieren, wie Bundesbildungsministerin Karliczek (CDU) jüngst ankündigte. Die bestehenden Altersgrenzen sollen angehoben werde und das Bafög auch für eine zweite Berufsausbildung geöffnet werden. Dadurch soll es offener für „individuelle Bildungsverläufe“ werden.

Die SPD plant einfachere Online-Anträge und höhere Einkommensgrenzen. Zudem will sie vom Darlehensmodell zum Vollzuschuss zurückkehren. Bisher müssen Studierende die Hälfte der in der Regelstudienzeit erhaltenen Fördersumme zurückzahlen, die Darlehensschuld ist dabei auf maximal 10.000 Euro gedeckelt. Das Schüler-Bafög wird bereits heute als Vollzuschuss gewährt.

Vollzuschuss oder Grundsicherung

Grüne, Linke und FDP gehen in ihren Vorstellungen weit darüber hinaus. Der FDP schwebt ein „elternunabhängiges Baukasten-Bafög“ vor: Studierende sollen monatlich 200 Euro erhalten, weitere 200 Euro bei ehrenamtlichem Engagement oder Nebentätigkeiten. Dazu soll ein anpassbares zinsfreies Darlehen die „finanzielle Flexibilität sichern“.

Die Linke will die Altersgrenzen abschaffen und ein „elternunabhängiges Bafög als Vollzuschuss“ einführen.

Die Grünen haben ein Konzept für eine Ablösung des bisherigen Bafög durch eine „elternunabhängige Grundsicherung für alle Studierenden und Auszubildenden“ ausgearbeitet. Das Modell basiert auf zwei Säulen: Einem „Garantie-Betrag“ von 290 Euro, den alle Studierenden unter 25 Jahren direkt ausgezahlt bekommen, erläuterte Kai Gehring dieser Redaktion. Im Gegenzug entfalle das Kindergeld für die Eltern.

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Die zweite Säule besteht aus einem „Bedarfszuschuss“, der abhängig vom Einkommen gezahlt werden soll. Studierende können mit maximal 1062 Euro Förderung rechnen. Der Zuschuss soll nicht zurückgezahlt werden müssen, um Verschuldungen vor dem Berufsstart zu vermeiden. „Die staatliche Studienfinanzierung in Deutschland muss endlich wieder ein Sprungbrett für soziale Gerechtigkeit werden“, sagte Gehring.

„Das Bafög verliert seine Funktion“

Diesen Punkt unterstreicht auch das zur Bertelsmann-Stiftung gehörende und linken Bildungsideen eher unverdächtige Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). „Das Bafög verliert immer mehr an Relevanz“, es erreiche einen Großteil der Studierenden nicht mehr, urteilt CHE-Experte Ulrich Müller. „Das Bafög hat damit seine Funktion, einen chancengerechten Zugang zu hochschulischen Bildungsangeboten zu ermöglichen, weitgehend verloren“, urteilt Müller in einer Stellungnahme zu den sozialen Auswirkungen von Corona auf Studierende für die NRW-Landesregierung.

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Die aktuelle Notsituation unter vielen Studierenden sei auch eine Folge mangelnder Flexibilität der staatlichen Studienförderung. Mit Bafög, Bildungs- und Studienkrediten, Stipendien und Nothilfen sei das System derzeit „völlig fragmentiert und zersplittert“, so Müller.

Experte: Förderung an Lebenssituation anpassen

Nötig sei „ein zeitgemäßes, übergreifendes Gesamtmodell, das sich strikt an der Lebenssituation der Studierenden orientiert und zur Studienaufnahme motiviert“. Ein Studium dürfe nicht allein von einem Nebenjob oder der Unterstützung der Eltern abhängig sein. In Zeiten der Pandemie stelle sich jetzt die Frage der Chancengerechtigkeit mit neuer Dringlichkeit.

Ende der Nothilfe für Studierende

Da sich der studentische Arbeitsmarkt erholt habe, werde das Zuschussprogramm der Überbrückungshilfe planmäßig ab Oktober beendet, teilte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek am Mittwoch mit. Mehr als 100.000 Studierende hätten in der Pandemie einen Zuschuss von 100 bis 500 Euro im Monat erhalten. Zuletzt sei die Zahl der Anträge an das Deutsche Studentenwerk (DSW) deutlich zurückgegangen.

DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde sagte: „Wir hoffen, dass diese positive Entwicklung auch im Wintersemester 2020/2021 anhält und kein weiterer Lockdown mehr nötig wird.“ Studierende in „pandemiebedingten Notlagen“ könnten die Hilfe noch bis 30. September beim regional zuständigen Studentenwerk online beantragen.