Essen. Studie: Nachfrage nach Studienkrediten ist sprunghaft gestiegen. Kritik an hohen Zinsen. Experten fordern stattdessen eine Reform des Bafög.

Immer mehr Studierende geraten in der Corona-Krise in eine soziale Notlage und sind auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Nach einer aktuellen Auswertung des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) stieg die Zahl der Studienkredite im vergangenen Jahr sprunghaft an. Die Zahl der Neukredite kletterte demnach um mehr als 60 Prozent auf 53.000. Insgesamt beziehen derzeit rund 90.000 Studierende in Deutschland Gelder aus einem Studienkredit oder Bildungsfonds. Monatlich werden rund 48 Millionen Euro an Studierende ausgeschüttet.

Einen Grund für den wachsenden Unterstützungsbedarf sehen Experten in den weggefallenen Nebenjobs. Als in der Pandemie die Gastronomie schließen musste und keine Messen mehr stattfinden konnten, brachen Tausenden Studierende von einem Tag auf den anderen die Einkünfte weg. Viele erhielten zudem keine Unterstützung der Eltern mehr.

Zinslose Corona-Hilfe zu bürokratisch

Die Überbrückungshilfe des Bundes - ein zinsloser Zuschuss als Soforthilfe für Studierende - sollte diese Lücke schließen, doch erwies sich das System als zu bürokratisch und finanziell zu knapp ausgestattet. Abhängig vom Kontostand wurden 100 bis maximal 500 Euro im Monat bewilligt, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Seit Ende Juni 2020 haben 48.000 Studierende in Nordrhein-Westfalen diese „Corona-Nothilfe“ bekommen, das sind etwa acht Prozent der Studierenden in NRW.

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Die Arbeitsgemeinschaft der Studierendenwerke in NRW (Arge Stw) zieht eine gemischte Bilanz der Zuschüsse. „Nach über einem Jahr Überbrückungshilfe stellen wir fest: Auch wenn in den letzten zwölf Monaten fast 48.000 Studierende in NRW bezuschusst wurden, sind die Systemfehler dieser von der Bundesregierung entwickelten Nothilfe unübersehbar“, sagte Arge-Sprecher Jörg J. Schmitz.

Immer mehr greifen zu teuren Studienkrediten

Die Studierenden kämpften mit einer finanziellen Notlage, könnten aber oftmals die pandemiebedingten Ursachen ihrer finanziellen Probleme nicht nachweisen – was eine Voraussetzung für die Bewilligung sei. „Die Kriterien für diese Nothilfe waren von Anfang an suboptimal und entsprechen mittlerweile nicht mehr der Lebenswirklichkeit der Studierenden“, so Schmitz. Viele Studierende lebten „von der Hand in den Mund“ und litten zudem unter der Dauerbelastung durch das Fernstudium.

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Wer diesen Nothilfe-Zuschuss nicht bekommt, greift daher oftmals zu einem Studienkredit, so das CHE. Dabei verzeichnen die Kfw-Studienkredite der staatlichen Förderbank den größten Zulauf. Der Marktführer verbuchte mehr als drei Viertel der insgesamt 53.000 neuen Verträge für sich. Als Gründe nennt die Studie geänderte Vertragsbedingungen. So konnte der KfW-Studienkredit bis Ende 2021 zinsfrei genutzt werden. Zudem konnten wegen der Corona-Krise erstmals Studierende aus dem Ausland befristet den Kredit in Anspruch nehmen. Dies nutzten nach CHE-Angaben 16.000 Studentinnen und Studenten ohne deutschen Pass – ein Anteil von 30 Prozent bei den Neuanträgen.

Kritik an hohem Zinsniveau

Viele Fachleute sehen die Entwicklung jedoch kritisch. Die KfW-Studienkredite seien im Grunde ganz normale Bankkredite, für die nach Ablauf der zinsfreien Phase vier Prozent Zinsen fällig werden. Damit lägen die KfW-Kredite deutlich über dem üblichen Marktniveau, kritisiert die GEW. Kritik äußern auch die CHE-Autoren in ihrem Report.

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„Der KfW-Studienkredit sollte bei der Corona-Nothilfe als staatliche Alternative für alle fungieren, die weder Bafög-berechtigt sind noch von der – ziemlich bürokratischen – Überbrückungshilfe erfasst werden“, sagt CHE-Experte Ulrich Müller. Jetzt müsse man feststellen: „Der KfW-Studienkredit hat sich als Scheinriese entpuppt“, so Müller. Der Leiter der politischen Analysen beim CHE spricht von „Einmaleffekten“, die nur einen Teil der Betroffenen erreichten.

Forderung nach Reform des Bafög

Statt der kurzfristigen und teuren Kredite fordert Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutsche Studentenwerks (DSW), eine umfassende und strukturelle Reform des Bafög. Nötig seien flexiblere Bedingungen, höhere Freibeträge und Fördersätze, denn die aktuellen Summen deckten die Ausgaben nicht. So liege derzeit etwa die Wohnpauschale bei 325 Euro im Monat, was angesichts des Mietniveaus in vielen Uni-Städten schlicht unrealistisch sei.

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Unterstützung erhält auf der Heyde dabei von CHE-Experte Müller: „Das Bafög verliert immer mehr an Relevanz.“ Es erreiche den Großteil der Studierenden nicht mehr. „Das Bafög hat damit seine Funktion, einen chancengerechten Zugang zu hochschulischen Bildungsangeboten zu ermöglichen, weitgehend verloren.“ Ein Studium dürfe nicht allein von einem Nebenjob oder der Unterstützung der Eltern abhängig sein. In der Zeit der Pandemie stelle sich daher die Frage der Chancengerechtigkeit mit neuer Dringlichkeit.

Eine Frage der Chancengerechtigkeit

Die Studienfinanzierung müsse vom Kopf auf die Füße gestellt werden, fordert Müller. Mit Bafög, Bildungs- und Studienkrediten, Stipendien und Nothilfen sei die staatliche Studienfinanzierung „völlig fragmentiert und zersplittert“. An die Stelle einer Vielzahl von Bausteinen müsse ein flexibles und transparentes System treten, das alle Elemente zusammenführt. Nötig sei ein Modell, das unterschiedliche Lebenslagen, Bildungsbiografien, Studienwege und auch Notlagen auffangen könne.

>>>> 38,5 Millionen Euro für Studierende in NRW

Insgesamt schütteten die Studierendenwerke in NRW 38,5 Millionen Euro an Überbrückungshilfen aus. Im Schnitt wurden pro Antrag 445 Euro bezahlt. 45 Prozent der Antragsteller hatten ihren Job verloren, 30 Prozent erhielten keine familiäre Unterstützung mehr.

Zugleich verzeichnen die Bafög-Ämter der Studierendenwerke in NRW zehn Prozent mehr Erstanträge.