Essen. Viele blicken mit Sorge auf die vermehrten Corona-Fälle. Intensivstationen melden derweil einen Tiefstand - Entwarnung gibt es nicht.

Derzeit, fasst der Kölner Mediziner Christian Karagiannidis die Corona-Lage auf den deutschen Intensivstationen zusammen, könnte man die Patienten fast mit Namen benennen. Karagiannidis ist der wissenschaftliche Leiter des „Divi“-Intensivregisters, das die Anzahl der Covid-19-Erkrankten auf den Intensivstationen dokumentiert. 343 Infizierte sind das am Donnerstag in Deutschland gewesen. In NRW waren es 67 - ein Jahrestiefstand.

Zum aller größten Teil stamme die Infektion der derzeit Behandelten aber aus der dritten Corona-Welle, stellt Karagiannidis klar. Die Betroffenen würden bereits seit Wochen und Monaten behandelt. „Erst seit einer Woche sehen wir vereinzelte Neuaufnahmen mit frischen Infektionen“, sagt der Mediziner, der auch die Intensivstation der Lungenklinik Köln-Merheim leitet. „Im Moment sehen wir so gut wie keine Auswirkungen der steigenden Inzidenz.“

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Und das ist zumindest ein ungewohnter Eindruck: Über Monate waren die Kliniken und ihre intensivmedizinischen Fachkräfte infolge der Pandemie massiv belastet. In der Spitze haben sie in NRW um das Leben von über 1160 Covid-Kranken auf den Intensivstationen gekämpft. Während derzeit viele Menschen mit Sorge auf die erneut steigende Zahl der Neuinfektionen blicken, bleibt die Lage in den Krankenhäusern auch im Ruhrgebiet aber vorerst ruhig.

Kliniken berichten von derzeit nur vereinzelten Corona-Fälle

Das Uniklinikum Essen etwa, eines der größten Corona-Zentren in Deutschland, berichtete am Mittwoch von derzeit zwölf Covid-19-Patientinnen und Patienten, von denen sechs intensivmedizinisch behandelt worden sind. Das sei deutlich unter den Höchstständen der zweiten Welle, unterstrich das Klinikum: In der Spitze haben die hochspezialisierten Fachkräfte der Universitätsmedizin 143 Covid-Patienten und Patientinnen insgesamt sowie bis zu 50 Erkrankte auf den Intensivstationen behandelt.

In den Sana Kliniken Duisburg, die im Jahr rund 26.000 Menschen stationär aufnehmen, werden aktuell nur noch „vereinzelt Covid-Patienten behandelt“ - in ganz Duisburg gibt es laut Divi-Register derzeit keinen einzigen Corona-Fall auf den Intensivstationen. In Bochum sind es zwei - ein Patient im Alter von 50 bis 60 Jahren wird derzeit am Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil intensivmedizinisch behandelt, wie eine Sprecherin bestätigte.

Keine Entwarnung: „Impfquote nochmals deutlich steigern“

Entwarnung geben will man deshalb keineswegs: Es sei davon auszugehen, dass zunehmend Corona-Fälle, vor allem in der jüngeren Generation, in den kommenden Wochen und Monaten auftreten könnten, sodass auch wieder vermehrt Covid-19-Patienten stationär behandelt werden müssen, sagte die Bergmannsheil-Sprecherin. Kommt es zu einer steigenden Fallzahl, greift dort ein gestufter Kriseneskalationsplan, um Personal- und Bettenkapazitäten zu schaffen.

Von einer ähnlich belastenden Situation wie in der zweiten oder dritten Welle gehen Fachleute zunächst aber nicht aus, da gerade Ältere und Vorerkrankte, die ein besonders hohes Risiko für eine schweren Krankheitsverlauf infolge einer Coronainfektion haben, als weitestgehend durchgeimpft gelten. Für Karagiannidis reicht das nicht. Er verweist auf Modellrechnungen und mahnt eindringlich: Wenn die Impfquote nicht massiv steigt, wäre beispielsweise eine Inzidenz von 300 schon ausreichend, „damit wir auf den Intensivstationen wieder viele, vielleicht sogar sehr viele Patienten sehen“. Weitere Impfungen seien nötig.

NRW passt Corona-Regeln an: Keine Höchststufe mehr

Das Land NRW hat auf die aktuelle Entwicklung in den Kliniken reagiert und die Coronaschutzverordnung als Regelwerk für die Pandemie wegen der „geringe Zahl schwerer Krankheitsverläufe und Krankenhauseinweisungen“ angepasst: Ab Freitag werden vorerst keine Städte und Kreise der bislang höchsten Inzidenzstufe 3 zugeordnet. Besonders strikte Regeln wie die Grenze von Mitgliedern aus zwei Haushalten für Treffen im öffentlichen Raum oder der Testpflicht für die Außengastronomie treten demnach zunächst nicht wieder in Kraft. Diese Regelung soll bis zum 19. August gelten. Bei „erheblichen lokalen Infektionsgeschehen“ sind Sonderregelungen möglich.

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ivi-Sprecher Karagiannidis hält den Blick nur auf eine Inzidenz ebenfalls für nicht ausreichend. Inzidenzen blieben zwar wichtig, weil sie darstellten, wie sich das Virus in der Bevölkerung verteilt, das dürfen wir nie außer Acht lassen. „Da aber viele Ältere inzwischen den vollen Impfschutz haben, bedeutet eine Inzidenz von 100 heute nicht mehr das gleiche wie im Sommer 2020.“

Krankenhauseinweisungen und die Intensivbelegung durch Covid-Erkrankte müssten in die Betrachtung mit einfließen. „Wenn die Inzidenzen hoch gehen, aber die Intensivbelegung niedrig bleibt, weil wir alle vulnerablen Gruppen geimpft haben, braucht es auch nicht wieder schärfere Corona-Maßnahmen“, sagt der Mediziner.

>>> Divi-Sprecher sieht Personalprobleme infolge der Pandemie

Auf den Stationen hat Trotz der aktuellen Lage - eine Verschnaufpause gibt es nach Einschätzung von Divi-Sprecher Christian Karagiannidis auf den Intensivstationen nicht. Bundesweit rund die Hälfte der Kliniken sähen aktuell Probleme bei der Neuaufnahme von intensivmedizinisch zu behandelnden Patienten und Patientinnen - dabei gilt der Sommer als ruhigste Zeit des Jahres. Ein Grund: Es fehlt Personal. Viele Beschäftigte machten sich nach den Erfahrungen und der Belastung der vergangenen Monate Gedanken, ob die Intensivmedizin weiterhin das richtige für sie sei, weiß Karagiannidis zu berichten. „Diese Auswirkung der Pandemie wird absolut unterschätzt.“ Nötig sei, die Arbeitslast zu reduzieren. Beispielhaft blickt Karagiannidis nach England. Dort betreue eine Pflegekraft einen Beatmungspatienten auf der Intensivstation - in Deutschland seien es tagsüber mindestens zwei und in der Nacht sogar drei.

In Bergmannsheil will man aktiv werden: Das Pflegeteam im Intensivbereich solle weiter verstärkt und weitere Intensivpflegekräfte eingestellt werden, heißt es aus Bochum.