Essen. In NRW soll 2022 erstmals eine Pflegekammer als Interessensvertretung der Pflegenden gewählt werden. Anderswo gilt die Idee als gescheitert.

Der Applaus vom Balkon für Pflegekräfte in der Pandemie ist vielfach zitiert, und doch will auch Sandra Postel noch einmal daran erinnern: „Wir erwarten infolge der Corona-Pandemie einen massiven Anstieg bei den Berufsaussteigern, weil sich die Bedingungen für die Pflege nach diesem Applaus eben nicht maßgeblich verbessert haben“, sagt die examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin. „Arbeitgeber und Politiker werden unsere Situation nicht richten. Wir müssen uns selbst organisieren, sonst wird unser Beruf heruntergewirtschaftet.“

Postel baut im Schatten der Pandemie seit September 2020 die Pflegekammer des Landes NRW auf. Über eine verpflichtende Mitgliedschaft für die rund 200.000 Pflegekräfte in NRW soll die Kammer erstmals den Anspruch erheben können, alle Fachkräfte im Land zu vertreten und deren Berufsstand weiterzuentwickeln. Im März 2022 sind die Wahlen zur Kammerversammlung geplant.

Pflegekräfte müssen sich für die Kammer registrieren

Dieser Tage erhalten die Beschäftigten Post, dass sie sich für die Kammer registrieren müssen. Die Adressen dazu müssen die Arbeitgeber mitteilen.

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Bislang liefe alles nach Plan, sagt Postel, die dem sogenannten Errichtungsausschusses der Kammer vorsitzt. „Wir haben die ersten 12.500 Arbeitgeber angeschrieben und schon Datensätze zu rund 175.000 Mitarbeitern erhalten“, sagt Postel. Die Betroffenen müssen ihre Daten nun kontrollieren, wohl im Dezember soll das Wählerverzeichnis stehen. Jeder, der sich registriert, kann sich zur Wahl aufstellen lassen. Die Kammer richtet sich zunächst nur an dreijährige ausgebildete, examinierte Fachkräfte.

Die erste der neu gegründeten Pflegekammern gilt bereits als gescheitert

Die erste deutsche Pflegekammer wurde 2016 in Rheinland-Pfalz gegründet, in Niedersachsen und Schleswig-Holstein folgten weitere. In NRW hat der Landtag 2020 die entsprechende Gesetzesnovelle auf den Weg gebracht. Die Kammern sollen wie die Berufsvertretungen für Ärzte und Ärztinnen, Apotheker und Apothekerinnen die berufsständischen Interessen der Pflege selbstständig regeln, ihre Stimme in politische Entscheidungen einbringen und etwa bei Pflegefehlern Gutachten verfassen.

In Schleswig-Holstein gilt dieses Idee als gescheitert: Die Kammer soll nach dem Wunsch ihrer Mitglieder noch in diesem Jahr aufgelöst werden.

Kammer in NRW soll Statistik aufbauen: Wann droht eine Rentenwelle?

Postel, die schon in Rheinland-Pfalz die Kammer aufgebaut hat, sieht darin kein schlechtes Omen für NRW. „Diese Erfahrung zeigt eher, dass wir noch deutlich zeigen müssen, dass wir mit einer Kammer politisch arbeiten können“, sagt sie. So soll eine Pflegestatistik aufgebaut werden, die erstmals ein detailliertes Bild über die Beschäftigten in der Pflege liefert. Wann sind Rentenwellen zu erwarten? Wo gibt es Versorgungslücken? „Aktuell wissen wir nicht, wie viele Fachkräfte wir in NRW haben.“

Kritik an einer Pflichtmitgliedschaft tritt Postel entgegen: „Unsere Aufgaben als Körperschaft des öffentlichen Rechts können wir nicht nur für einige wahrnehmen, wir müssen sie für alle Pflegefachkräfte erfüllen. Deshalb brauchen wir die Pflichtmitgliedschaft“, sagt sie.