Essen/Erfurt. Ausländische Pflegekräfte in Deutschland sollen in Zukunft auch den gesetzlichen Mindestlohn erhalten. Wie die Reaktionen aus NRW darauf sind.
Ausländische Pflege- und Haushaltshilfen, die nach Deutschland vermittelt wurden und Seniorinnen und Senioren in ihren Wohnungen betreuen, haben Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn. Das entschied das Bundesarbeitsgericht am Donnerstag in einem Grundsatzurteil.
Der Mindestlohn gelte auch für Bereitschaftszeiten, in denen die Pflegekräfte Betreuung auf Abruf leisteten, hieß es in der Urteilsbegründung weiter. Experten erwarten dramatische Folgen: Rund-um-die-Uhr-Pflege werde für die allermeisten unbezahlbar, sagte Verena Bentele, Präsidenten des Sozialverbands VdK, der WAZ.
Für den Präzedenzfall hatte die Klage einer Frau aus Bulgarien gesorgt, die nach eigenen Angaben eine über 90-Jährige in deren Wohnung 24 Stunden täglich betreut hatte. Ihr Vertrag mit ihrem bulgarischen Arbeitgeber sah eine Wochenarbeitszeit von 30 Stunden vor.
Experten in NRW erwarten nach Mindestlohn-Urteil große Probleme
Auch Gewerkschaften und Interessensvertretungen aus NRW erwarten nach dem Urteil große Probleme für die häusliche Pflege. Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz kann die Entscheidung im Grundsatz nachvollziehen, warnt aber zugleich. „Das Urteil löst einen Tsunami aus für alle, die daheim auf die Unterstützung ausländischer Pflegekräfte angewiesen sind.“ Mindestens 100.000 ausländische Helfer seien offiziell in deutschen Haushalten beschäftigt.
Auch Anke Willers-Kaul (Freie ambulante Krankenpflege NRW) erwartet für viele Familien massive Schwierigkeiten. „Für viele wird diese Variante der 24-Stunden-Betreuung nicht mehr zu bezahlen sein.“ Zwar sei es richtig, dass alle gleichen Lohn bekämen. Dennoch sei eine Versorgungsreform nun zwingend. Die vorhandenen Strukturen mit ambulanten Pflegediensten müssten so aufgestellt werden, „dass jeder die Unterstützung bekommt, die er sich leisten kann“. Eine Option könne die Deckelung der Zuzahlung sein bei gleichzeitiger Übernahme der erforderlichen Kosten durch die Pflegekasse.
Andrea Kapp vom Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad) hat eine ähnliche Meinung und nimmt die Politik in die Pflicht. „Die jüngst im Zuge der Pflegereform beschlossene Anhebung der ambulanten Pflege-Sachleistungsbeträge um lediglich fünf Prozent ist in unseren Augen ein weiterer Beweis dafür, dass die Politik den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt hat.“ Der dringend notwendige Ausbau der ambulanten Pflege sei damit nicht zu finanzieren. Das Urteil wertet sie generell aber positiv. „Das sorgt für eine angemessene Bezahlung der vermittelten Pflegekräfte und setzt den teils ausbeuterischen Arbeitsbedingungen im sogenannten „grauen Pflegemarkt“ Grenzen.“
Pflegegewerkschaft befürchtet Anstieg der Schwarzarbeit
Heide Schneider von der Pflegegewerkschaft Bochumer Bund befürchtet einen Anstieg der Schwarzarbeit: „Die Leute werden aus Verzweiflung schauen, wie sie an eine günstige 24-Stunden-Kraft kommen. Das geht dann leider auch über illegale Wege.“
In dieser Hinsicht bemängelt Sandra Postel, Vorsitzende des Errichtungsausschuss Pflegekammer NRW, das Transparenzproblem bei der Vermittlung ausländischer Betreuungskräfte. „Es ist ein Markt entstanden, auf dem sich viele unseriöse Vermittler tummeln und die Betreuerinnen oft unter Mindestlohn und in Schwarzarbeit beschäftigen.“
Zugleich seien Betreuerinnen, die zumeist aus Osteuropa kommen, für die Pflege der Senioren unverzichtbar. Deshalb muss laut Postel der „gestörte Ablauf im Gesamtsystem“ behoben werden, was eine veränderte Pflegefinanzierung beinhalte. „In Deutschland fließt im Vergleich zu vielen anderen EU-Ländern mit nur einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes ein viel zu kleiner Teil in die Pflege“, so Postel. (mit dpa)