Essen. Die Verbraucherschützer glauben, dass die Gebühren deutlich niedriger wären, wenn die Städte ihre Verzinsungspolitik ändern würden.
Im Kampf gegen finanzielle Übergriffigkeiten des Staates weiß der Steuerzahlerbund NRW (BdSt) inzwischen viele Bürger hinter sich. Über 460.000 Unterschriften sammelten die Verbraucherschützer ein, als es vor zwei Jahren um die Abschaffung der ungeliebten Straßenbaubeiträge für Anlieger ging. Zwar knickte die schwarz-gelbe Landesregierung nicht vollständig vor dem organisierten Massenprotest erboster Grundstückseigner ein. Aber das zuständige Landesbauministerium überarbeitete angesichts der größten Volksinitiative in der NRW-Geschichte das Kommunalabgabengesetz und sicherte in Sachen Straßenbauabgaben mehr Transparenz, eine Abmilderung von Härtefällen und erstmals Landesgeld zur Entlastung der betroffenen Bürger zu.
Wer wie viel bezahlt, hängt vom Wohnort ab
Beflügelt von diesem Teilerfolg knöpft sich der Steuerzahlerbund in diesem Jahr ein anderes strittiges Thema vor, das im Gegensatz zu den Straßenbaukosten nicht nur Grundstückeigentümer betrifft, sondern nahezu jeden: Abwassergebühren. Seit Jahren sorgen die von Kommune zu Kommune höchst unterschiedlichen Abgabensätze und die für Laien kaum durchschaubare Berechnungsmethodik der Abwasserkosten für Aufregung. Wer wie viel an jährlichen Gebühren für die Entsorgung von Schmutz- und Niederschlagswasser zahlen muss, das hängt in NRW vor allem vom Wohnort ab.
Unterschied bis zu Tausend Euro im Jahr
Der Steuerzahlerbund hat das zuletzt 2020 für einen Vier-Personen-Musterhaushalt beispielhaft errechnet. Demnach schwankt die Abgabenhöhe in NRW zwischen 246 Euro im münsterländischen Reken und 1246 Euro in Waldbröl im Bergischen Land maximal um immerhin einen glatten Tausender. Auch innerhalb des Ruhrgebiets klaffen die Zahlen auseinander. Essen verlangt vom Musterhaushalt jährlich 859 Euro, die Nachbarstadt Bochum dagegen nur 641 Euro.
Kanalnetz und Kläranlagen
Sicher: Zum Teil erklären sich die Unterschiede durch die örtliche Topographie und den Zustand der technischen Anlagen. „Eine Kommune im Hochsauerland braucht naturgemäß mehr Pumpen im Kanalnetz als eine Gemeinde im flachen Münsterland“, erklärt BdSt-Experte Markus Berkenkopf. Auch die Bebauungsdichte und das jeweilige Alter von Kanalnetzen und Kläranlagen spielen bei der Zusammensetzung der Gebühren eine Rolle. Großstädte erheben meist günstigere Gebühren als Kleinstädte im ländlichen Raum.
Zum Stein des Anstoßes geworden sind aus Sicht der Verbraucherschützer jedoch längst die so genannten fiktiven Kosten und besonders deren kalkulatorische Verzinsung, die die Städte in die Berechnung der Abwassergebühren einfließen lassen dürfen. Gemeint damit sind teure Investitionsobjekte wie Kläranlagen, Kanäle, Pumpen und technische Geräte, die für die Abwasserhaltung einst angeschafft wurden und über Jahrzehnte abgeschrieben werden. Auch die Kalkulation des Wiederbeschaffungswertes dieser Anlagen wird als Kostenfaktor auf den Gebührenzahler umgelegt.
Zinsen bis fast 6 Prozent
Dieses „tote“ Kapital lassen sich die meisten NRW-Kommunen geradezu fürstlich verzinsen. Einen Zinssatz von bis zu 5,92 Prozent dürfen sie nach geltendem Recht für die Verzinsung des in Abwasseranlagen gebundenen Kapitals in Rechnung stellen. Nach Beobachtung des Steuerzahlerbundes reizen viele Kommunen an Rhein und Ruhr diesen rechtlichen Rahmen bis zum Anschlag aus – aus Sicht der Verbraucherschützer ein Unding angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase.
Viele Kommunen, so der Vorwurf, versuchten durch den überhöhten Zinssatz bei der Kalkulation der Abwassergebühr Mehreinnahmen zu erwirtschaften, um damit die städtischen Haushalte zu sanieren. Der Gebührenzahler werde so zu einer Art verdeckter „Melkkuh“ für die Kommunen. Der Städte- und Gemeindebund NRW widersprach dieser Darstellung inzwischen allerdings entschieden.
Urteil könnte weitreichende Folgen haben
Um Klarheit zu schaffen, unterstützt der BdSt derzeit einen Musterprozess vor dem Oberverwaltungsgericht Münster. Gleichzeitig ruft der Verband alle Gebührenzahler in NRW auf, Widerspruch gegen ihre Abwassergebührenbescheide 2021 einzulegen. Die Richter am höchsten NRW-Verwaltungsgericht sollen für einen vier Jahre alten Grundbesitzabgabenbescheid aus Oer-Erkenschwick klären, in welcher Höhe ein kalkulatorischer Zinssatz auf das Eigenkapital angewendet werden darf und ob Abschreibungen nach Wiederbeschaffungszeitwerten zulässig sind.
Ein Urteil im Sinne der Kläger hätte weitreichende Folgen: Für die Stadt Wesel hat der BdSt ausgerechnet, dass Abwasser für die Gebührenzahler 20 Prozent „billiger“ würde, wenn die kalkulatorische Verzinsung von derzeit 5,87 auf 3 Prozent gesenkt würde. BdSt-Experte Markus Berkenkopf: „Wir sind nicht gegen Gebühren, aber sie müssen angemessen und fair sein.“