Essen. Bildungsforum Ruhr diskutiert über Herausforderungen für die Region: Mehr Geld für Schulen und Lehrerstellen reicht nicht für Erfolg
Die soziale Kluft bei den Bildungschancen junger Menschen im Ruhrgebiet könnte sich durch die Corona-Pandemie nochmals vergrößern. „Wir sind die Region, die aufgrund der sozioökonomischen Struktur am stärksten von den Corona-Folgen betroffen sein wird. Jetzt ist entschlossenes Handeln wichtig“, sagte Oliver Döhrmann, Geschäftsführer der Initiative Ruhr-Futur, zum Auftakt des Bildungsforums Ruhr 2021.
Bei dem Online-Forum diskutierten Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis auf Einladung des Regionalverbands Ruhr (RVR) über die Herausforderungen der Region auf der Grundlage der zuvor im Bildungsbericht vorgestellten Daten. Und diese geben allen Anlass zur Sorge, wie der Bochumer Sozialwissenschaftler Jörg-Peter Schräpler ausführte.
Steigende Schülerzahlen
Ein Beleg für die unterschiedlichen Bildungschancen im Ruhrgebiet seien die je nach Wohnort extrem unterschiedlichen Übergangsquoten an die Gymnasien. So wechselten etwa im wohlhabenden Essener Süden knapp 90 Prozent der Grundschulkinder auf ein Gymnasium, im Norden hingegen teils nur knapp 20 Prozent. Ähnlich sei die Lage in Bochum, Dortmund oder Gelsenkirchen.
Im Vergleich mit anderen Ballungsräumen in Deutschland falle das Ruhrgebiet zurück. So setzt beispielsweise das Bevölkerungswachstum das Schulsystem massiv unter Druck. Demnach werde die Schülerzahl im Revier bis ins kommende Jahrzehnt durch steigende Geburtenzahlen und Zuwanderung deutlich stärker wachsen als in anderen Regionen. Zugleich aber sei die Betreuungssituation schlechter, zahlreiche Lehrerstellen blieben unbesetzt, ergab der jüngste Bildungsbericht Ruhr.
Schlusslicht im Vergleich der Regionen
„Das Ruhrgebiet muss aufpassen, bei der Bildung nicht den Anschluss zu verlieren“, schrieb Schräpler der Bildungspolitik ins Aufgabenbuch. Auch bei anderen Kriterien wie der Einkommensentwicklung, der Zahl der Alleinerziehenden sowie der Familien und Kinder, die Sozialhilfe beziehen oder der Quote der Hochschulabsolventen schneide das Ruhrgebiet im Vergleich der Regionen schlecht ab. Schulen und Kitas in sozial benachteiligten Vierteln benötigten daher besondere Unterstützung, lautete eine der Schlussfolgerungen.
Dies aber allein reiche nicht aus, erklärte Prof. Aladin El-Mafaalani, Sozialwissenschaftler an der Uni Osnabrück. Massive Investitionen in Bildung, Personal und Projekte in einem benachteiligten Stadtteil bringen zwar messbare Erfolge. Für das gesamte Viertel könne dies aber unter dem Strich sogar negative Effekte haben, wie eine Langzeitstudie gezeigt habe.
Die Erfolgreichen ziehen fort
„Die erfolgreichen Schüler und Familien ziehen aus dem Stadtteil weg, wer nicht erfolgreich ist, bleibt. Zugleich ziehen soziale benachteiligte Menschen wegen sinkender Mieten zu“, erklärte El-Mafaalani. Das bedeute, dass Bildungsinvestitionen allein einen Stadtteil nicht voranbringen, „man muss zugleich in das gesamte Umfeld investieren“.
Doch nicht nur die soziale Lage oder das Stadtviertel seien entscheidend für die Aufstiegschancen junger Menschen. Die Wuppertaler Bildungsökonomin Prof. Kerstin Schneider appellierte auch an die Eigenverantwortung der Bürger. Es reiche nicht, sozial benachteiligten Familien ein Bildungsangebot zu machen. „Wir müssen diese Menschen noch stärker dazu bringen, solche Angebote auch wahrzunehmen.“