Essen. Das Bevölkerungswachstum setzt das Schulsystem unter Druck. Experten sehen in der Entwicklung aber auch Chancen für die Region.

Die Schulen im Ruhrgebiet stehen angesichts stark steigender Kinderzahlen und eines überdurchschnittlichen Lehrermangels vor großen Herausforderungen. Zu diesem Ergebnis kommt der zweiten Bildungsbericht Ruhr, den der Regionalverband Ruhr (RVR) am Donnerstag vorgestellt hat. Das Bevölkerungswachstum gerade in den künftig schulpflichtigen Jahrgängen sei andererseits auch eine Chance für das Revier, sich noch stärker zur Bildungsregion zu entwickeln, heißt es in dem über 200 Seiten starken Papier.

Gestiegene Geburtenzahlen und Zuwanderung

https://www.waz.de/politik/landespolitik/corona-schulexperten-fordern-mehr-pragmatismus-id231037998.htmlLaut dem von einem hochkarätigen Expertenteam erarbeiteten Befund wird die Schülerzahl im Ruhrgebiet bis ins kommende Jahrzehnt hinein deutlich stärker wachsen als in anderen Regionen Nordrhein-Westfalens. Hintergrund sind gestiegene Geburtenzahlen und die Zuwanderung. Mit überdurchschnittlichen Zuwächsen sei dabei über alle Schulformen zu rechnen, am deutlichsten aber in der Sekundarstufe 1. Die weiterführenden Schulen, die bis zur zehnten Klasse führen, müssen bis 2033 demnach mit fast einem Viertel mehr Schülern als heute rechnen. Bis zum Schuljahr 2026/27 nimmt auch die Zahl der Grundschüler (plus rund 20 Prozent) deutlich zu. In der Sekundarstufe 2 liegt der Zuwachs bei 21 Prozent bis 2033. Laut der Modellrechnung nimmt die Schülerzahler erst nach dem Jahr 2033 langsam wieder ab.

Anteil unbesetzter Stellen für Lehrkräfte im Ruhrgebiet höher

Die wachsende Schülerzahl trifft dabei auf eine unzureichende Betreuungssituation. Bei mehr als der Hälfte der Klassen in Real- und Gesamtschulen liegt die Klassenstärke schon jetzt über dem Richtwert. Zudem ist der Anteil unbesetzter Stellen für Lehrkräfte im Ruhrgebiet höher als im übrigen NRW. Besonders eklatant sei der Mangel an jungen Lehrern, betonte die Bochumer Erziehungswissenschaftlerin Prof. Gabrielle Bellenberg als Mitautorin des Berichts. Eine Herausforderung sei auch der überdurchschnittlich hohe Anteil an Einschulungskindern mit Defiziten besonders im Sprachbereich.

Immer mehr Schüler pendeln

https://www.waz.de/politik/landespolitik/nrw-regierung-versichert-nehmen-keiner-schule-etwas-weg-id230286250.htmlEine weitere Erkenntnis: Immer mehr Kinder und Jugendliche verlassen für den Schulunterricht ihre Heimatstadt. Bereits heute pendeln rund 125.000 Ruhrgebietsschüler regelmäßig über kommunale Grenzen hinweg zu ihren Schulen. Kommunenübergreifende Zusammenarbeit im Bildungsbereich etwa bei der Planung künftiger Schulstandorte werde damit immer wichtiger, betonte Prof. Jörg-Peter Schräpler, Professor für Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum.

Gebauer: Bericht ist Meilenstein

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) bezeichnete den Bildungsbericht Ruhr als „Meilenstein“ und „sichtbares Zeichen der einer gewachsenen Kultur der Vernetzung“ im Ruhrgebiet. Bildung sei für das Revier der „Schlüssel zum Erfolg“.

https://www.waz.de/politik/landespolitik/scharfe-kritik-an-englisch-ab-klasse-3-id230869274.htmlDer grüne Bildungspolitiker und Essener Bundestagsabgeordnete Kai Gehring fordert angesichts der Zahlen mehr Investitionen in die Schulen des Reviers. „Bildungsarmut ist kein unvermeidliches Naturereignis, sondern Ergebnis von Unterfinanzierung und fehlendem politischen Mut, für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen“, sagte Gehring der WAZ. Die Kommunen des Ruhrgebiets sollten die Schulentwicklung gemeinsam vorantreiben und in Bund und Land auf eine „klare Prioritätensetzung pro Bildung dringen", so Gehring.

Erster Bildungsbericht erschien 2012

Verantwortlich für den Bildungsbericht ist neben dem RVR die Ruhr Futur GmbH, hinter der die Essener Mercator Stiftung steht. Der erste Bildungsbericht speziell fürs Ruhrgebiet erschien vor acht Jahren.