Essen. Die ansteckende Virus-Variante B.1.617 wurde auch in Deutschland nachgewiesen. Immunologen fordern mehr Tempo beim Impfen, auch bei Jugendlichen.

Zum ersten Mal seit langer Zeit liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland wieder unter 100. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Freitag einen Wert von 96,5. Das hatte es zuletzt am 20. März gegeben. Und auch in NRW zeigt die Kurve steil nach unten. Das Land liegt mit 103 Ansteckungen pro 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen nur knapp über der wichtigen Schwelle – vor kaum drei Wochen betrug die Inzidenz in NRW noch 192. Ist die dritte Welle nun gebrochen? Dafür wachsen die Anzeichen, doch zugleich bereitet die Ausbreitung der indischen Virus-Variante B.1.617 in Europa und Deutschland Experten wachsende Sorgen.

„Inzwischen ist die Variante in mindestens 40 Ländern nachgewiesen“, sagt Prof. Joachim Schultze, Immunologe am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn. Auch in Deutschland sei sie inzwischen angekommen, ebenso in Großbritannien, den Niederlanden, in der Schweiz und in Belgien. „Für alle diese Länder gilt, dass die prozentualen Anteile teilweise stark steigende Tendenz aufzeigen“, sagte Schultz dem Science Media Center in Köln. Dies lasse darauf schließen, dass sich diese Variante leichter verbreite und andere Mutanten ähnlich wie in Indien verdrängen könne.

Starker Anstieg in den vergangenen Wochen

Laut dem neuen Bericht des RKI beträgt die Rate der indischen Mutation B.1.617 an allen Virus-Varianten in Deutschland rund zwei Prozent. Damit sei der Anteil bereits höher als der Mutanten, die zunächst in Südafrika oder Brasilien nachgewiesen worden waren. „In den vergangen drei Wochen kam es zu einem starken Anstieg, der ähnlich steil wie im Vereinigten Königreich erscheint“, so Schultz. Den parallelen Anstieg in mehreren Ländern verfolgen Epidemiologen mit großer Sorge. Mit mehr als 95 Prozent ist aber laut RKI auch in Nordrhein-Westfalen die britische Variante B.1.1.7 derzeit weiterhin vorherrschend.

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Gerade Mutanten, denen das Immunsystem bei Geimpften und Genesenen weniger entgegensetzen kann, sorgen für Ängste vor Rückfällen beim Kampf gegen die Pandemie. International beobachten Wissenschaftler mehrere Varianten mit besorgniserregenden Eigenschaften. Die indische Mutante wurde erst kürzlich zu einer solchen „Variant of Concern“ (VOC) hochgestuft.

Großbritannien reagiert mit Massentests

Nach Angaben der britischen Gesundheitsbehörden habe sich die Zahl der nachgewiesenen Fälle der Variante B.1.617 binnen einer Woche auf 1300 Fälle verdoppelt. Mit gezielten Massentests in betroffenen Regionen will nun die britische Regierung die Ausbreitung des Virus verhindern.

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Auch die Impfung jüngerer Menschen, die eigentlich noch nicht an der Reihe sind sowie ein Vorziehen der zweiten Dosis für andere Altersgruppen wird in London erwogen. Allerdings gebe es noch keine Gewissheit, ob sich die Mutante der Wirkung von Impfstoffen entzieht oder schwerere Krankheitsverläufe verursacht.

Ob die indische Variante in Deutschland einen „Siegeszug“ antreten und zur dominierenden Mutante werden könne, lasse sich derzeit nicht abschätzen. Der Virologe Christian Drosten sieht eine veränderte Lage im Vergleich zur ersten und zweiten Welle: „Wir können dagegen animpfen. Wir sind nicht mehr so wehrlos wie letztes Jahr um diese Zeit.“

Impfungen auch für Jugendliche gefordert

Voraussetzung dafür aber ist, dass die bisher zugelassenen Impfstoffe auch gegen die neue Mutante wirken. Prof. Schultz ist nach derzeitigem Erkenntnisstand davon überzeugt: „Bisherige wissenschaftliche Berichte deuten darauf hin, dass vollständig geimpfte Personen auch gegen die Variante B.1.617 einen ausreichenden Impfschutz ausbilden.“ Weitere Studien dazu seien allerdings nötig.

Um eine neue Infektionswelle zu vermeiden, müssten die Impfungen noch weiter beschleunigt werden, fordert er. „Alle noch bestehenden bürokratischen Hürden sollten schnellstmöglich fallen. Dies gilt insbesondere auch für die Impfung der zwölf- bis 15-Jährigen.“ (mit dpa)