Essen. Durch gezielte Wasserproben könne man schnell ein bundesweites Corona-Frühwarnsystem aufbauen, so Experten. Offen ist, wer es bezahlt.

Wasserverbände und Abwasserunternehmen halten ein bundesweites Corona-Frühwarnsystem durch gezielte Abwasser-Analyse in Kläranlagen für technisch und logistisch umsetzbar. „Die ersten Ergebnisse unserer Modellprojekte sind sehr vielversprechend. Sie zeigen, dass wir durch die Tests präzise Aussagen über die Verbreitung des Virus im Einzugsgebiet der jeweiligen Kläranlagen machen können“, sagte der Chef von Emschergenossenschaft und Lippeverband, Uli Paetzel, dieser Redaktion.

In fünf Kläranlagen im Ruhrgebiet werden Proben entnommen

Die beiden großen Wasserverbände des Reviers untersuchen seit Mai 2020 an fünf ausgewählten Kläranlagen in Dortmund-Deusen, Dülmen, Dinslaken und Bottrop das ungeklärte Abwasser auf Spuren des Corona-Virus. Für die wissenschaftliche Expertise der Modellprojekte sorgen Forscher der RWTH Aachen, der TU Darmstadt und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. In den Instituten werden die Wasserproben ausgewertet.

Virus selbst lässt sich im Wasser nicht nachweisen

Das Virus selbst lässt sich in den Proben dabei nicht einmal nachweisen. Denn der Erreger ist laut einer UFZ-Untersuchung aus dem letzten Jahr im Abwasser gar nicht lebensfähig, eine Infektionsgefahr über den Abwasserpfad besteht demnach nicht. Dank modernster Testmethoden können die Forscher aus dem Wasser aber DNA-Fragmente des Corona-Virus herausfiltern. Über den Weg, den das Abwasser genommen hat, könnten dann Infektionen im Einzugsgebiet bereits vor dem Ausbruch einer Infektionswelle erkannt werden.

Belastbare Vorhersagen über die Entwicklung der Pandemie

Zwar sind die Testreihen noch nicht beendet. Doch Uli Paetzel verbreitet Zuversicht. Würde man die Abwassertests flächendeckend über das ganze Bundesgebiet ausrollen, lasse das belastbare Vorhersagen über die Entwicklung der Pandemie zu, glaubt der Emschergenossenschaftschef. Nach Angaben des Dachverbandes der deutschen Wasserwirtschaft DWA, dessen Präsident Paetzel ist, würde die tägliche Beprobung des Abwassers an 800 bis 900 der großen Kläranlagen in Deutschland ausreichen, um das Infektionsgeschehen von 80 Prozent der Bevölkerung zu erfassen. Paetzel: „Die Wasserwirtschaft steht bereit. Wir würden das machen.“

Zuvor müsse allerdings geklärt werden, wer die Kosten einer bundesweiten Abwasser-Teststrategie trage und ob die Finanzierung etwa über einen Aufschlag auf die Abwassergebühren in Frage komme.

Dass die Wasserverbände eine Schlüsselrolle in der Bekämpfung der Pandemie einnehmen können, glauben Experten schon länger. Die Idee dahinter: Corona-Infizierte scheiden Partikel des Virus über ihre Verdauung aus – und zwar auch dann, wenn sie keinerlei Symptome haben oder sich die Krankheit noch in einem frühen Stadium befindet. Auf anderen Feldern werden Abwasserproben schon für derlei Spurensuche genutzt, etwa um den Drogenkonsum in einer Region einschätzen zu können oder um anhand von Medikamentenrückständen Erkenntnisse über den Verbrauch von Arzneien zu gewinnen.

Rückschlüsse auf die Dunkelziffer von Infizierten

Emschergenossenschaftschef Paetzel geht davon aus, dass die aus dem Abwasser gewonnenen Corona-Werte den Pandemieverlauf fünf bis sechs Tage früher darstellen können als das Meldesystem der Gesundheitsämter und des Robert-Koch-Instituts. Zudem könne man zuverlässig Rückschlüsse auf eine etwaige Dunkelziffer von Infizierten ziehen und regionale Entwicklungen besser eingrenzen.
Helfen kann das Abwasser-Monitoring offenbar auch beim Aufspüren von Virus-Varianten. Laut DWA-Bericht wurden über die Sequenzierung der im Abwasser gefundenen Fragmente von SARS-CoV-2 bereits Mutationen entdeckt, bevor sie in der medizinischen Diagnostik erkannt werden konnten.

Auch die EU drängt

Das Thema beschäftigt derzeit auch die Politik. Am Wochenende hatte die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert, im Kampf gegen die Pandemie die systematische Suche nach Spuren des Corona-Virus im Abwasser in den Blick zu nehmen. „Die Überwachung von Abwasser kann eine kostengünstige, schnelle und verlässliche Quelle für Informationen sein über die Verbreitung des Virus und seinen Varianten in der Bevölkerung“, so EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius. Die deutsche Wasserwirtschaft sieht sich bereits auf einem guten Weg. Forschungsprojekte zum Nachweis von Corona-Infektionen über den Abwasserpfad laufen bereits seit dem Frühjahr des letzten Jahres, hieß es beim Verband DWA.