Essen. Die Reform der Grundsteuer wird in NRW zur Hängepartie. Dabei geht es um Milliarden. Städte, Wirtschaft und Bürger sind alarmiert.

Es betrifft die Geldbeutel aller, die eine Wohnung oder ein Haus gemietet haben oder besitzen, und für die Städte stehen Milliarden auf dem Spiel: Das Thema Grundsteuer geht mithin jeden etwas an. Doch bei der historischen Reform der wichtigsten Kommunalabgabe des Landes kommt NRW einfach nicht voran. Die Kommunen sind alarmiert, Wirtschafts- und Verbraucherverbände drängen zur Eile. Die Sorge: Schafft es die schwarz-gelbe Landesregierung nicht, das Reformpaket fristgemäß auf den Weg zu bringen, fällt die Grundsteuer Ende 2024 komplett weg.

Worum geht es?

Die Reform der Grundsteuer beschäftigt Gerichte, Gesetzgeber, Städte und Verbraucher schon seit Jahren. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2018 müssen die veralteten, teilweise noch auf die 30-Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückgehenden Bewertungsgrundlagen von Millionen Grundstücken angepasst werden. Nach langem Ringen hatte der Bund Ende 2019 deshalb ein neues Grundsteuer-Gesetz erlassen, den Ländern aber eigene Modelle zugestanden. Längst haben viele Bundesländer seitdem geklärt, ob sie diese Öffnungsklausel nutzen oder lieber dem Bundesmodell von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) folgen wollen. Nicht so NRW. Die schwarz-gelbe NRW-Regierung schiebt eine Entscheidung weiter vor sich her. „Ob - und falls ja - in welcher Form in Nordrhein-Westfalen von der Länderöffnungsklausel Gebrauch gemacht und von den Bundesregelungen zur Grundsteuer abgewichen werden soll, wird derzeit sorgfältig geprüft“, teilte das zuständige Finanzministerium in Düsseldorf jetzt auf Anfrage dieser Redaktion mit. Kurios: Eine bis in den Wortlaut hinein identische Auskunft der Behörde von Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) hatte diese Zeitung schon vor einem halben Jahr erhalten.

Wann läuft die Frist ab?

Die Reform muss laut Verfassungsgericht bis Ende 2024 umgesetzt sein. Geschieht das nicht, gilt die Grundsteuer in ihrer jetzigen Form als verfassungswidrig und dürfte ab 2025 nicht mehr von den Kommunen erhoben werden.

Um wieviel Geld geht es?

In den NRW-Städten stehen Steuereinnahmen in Höhe von insgesamt 3,8 Milliarden Euro auf dem Spiel. Allein im Haushalt der Stadt Essen würden bei einem Wegfall der Steuer 135 Millionen Euro fehlen, sagte Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) jüngst beim Redaktionsbesuch. Die Städte sind landesweit alarmiert. „Für die Kommunen wäre es der GAU, wenn die Reform nicht rechtzeitig fertig würde und die Einnahmen aus der Grundsteuer ersatzlos wegfielen“, warnt der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW, Christof Sommer im Gespräch mit dieser Redaktion. Das Land NRW wäre dann in der Pflicht, den Ausfall auszugleichen, so Sommer.

35 Millionen Grundstücke müssen neu bewertet werden

Warum drängt die Zeit?

Die Verfassungsrichter hatten dem Gesetzgeber die großzügige Übergangsfrist bis Ende 2024 nicht ohne Grund eingeräumt. Schließlich geht es um die Neubewertung von rund 35 Millionen Grundstücken in Deutschland. Dafür müssen Daten erhoben und Verwaltungsverfahren auf den Weg gebracht werden. Das braucht Zeit. Schon die Neufassung des Bundesgesetzes geriet zur Hängepartie. Auch der Landtag muss gehört werden. Vorsorglich hat die NRW-Finanzverwaltung bereits ihr Personal aufgestockt. „Die Kommunen sind in großer Sorge. Ihnen läuft die Zeit weg. Denn sie müssen die Grundsteuerreform am Ende umsetzen und brauchen Planungssicherheit“, sagt Helmut Dedy. Der Geschäftsführer des NRW-Städtetags führt nicht zum ersten Mal Klage wegen der Stillhaltepolitik des Landes. Doch jetzt, in der Corona-Pandemie, die ohnehin große Lücken in die städtischen Haushalte reißt, erhöht Dedy den Druck auf Düsseldorf. „Wir brauchen endlich eine Entscheidung darüber, welchen Weg NRW hier einschlagen will.“, fordert er. Andere Bundesländer wie etwa Bayern oder Baden-Württemberg seien viel weiter und hätten sich längst festgelegt.

Wie soll die Grundsteuer künftig ermittelt werden?

Nach dem Modell von Finanzminister Scholz soll für die künftige Berechnung neben dem Boden- auch der durchschnittliche Mietwert einer Immobilie ermittelt werden. Dagegen laufen Wirtschafts- und Verbraucherverbände in NRW Sturm. In einer gemeinsamen Erklärung fordern Handwerk, IHK, Unternehmerverband, Bund der Steuerzahler und Haus & Grund eine Lösung, die nur die Grundstücks- und Gebäudefläche berücksichtigt. Das Scholz-Modell lehnen die Verbände als zu kompliziert und unberechenbar ab. Eine Lösung, die sich nur an Gebäude- und Grundstücksflächen ausrichte, sei für Finanzverwaltung und Steuerpflichtige „deutlich weniger aufwendig und berge keine unkalkulierbare Belastungsdynamik“.

Im Ruhrgebiet sind die Grundsteuersätze besonders hoch

Was bedeutet die Reform für die Bürger?

Was auf Mieter, die die Grundsteuer anteilig über ihre Nebenkosten bezahlen, sowie Haus- und Wohnungseigentümer zukommt, ist noch völlig unklar. Sicher ist: Die Verteilung der Grundsteuerlast in Deutschland wird sich deutlich verschieben. Die Reform soll zwar aufkommensneutral sein. Das aber heißt nur, dass die Gesamtsumme von rund 14 Milliarden gleich bleibt, nicht aber das individuelle Aufkommen. Nach einer Modellrechnung der Hamburger Finanzbehörde könnte die Reform vor allem bei älteren Gebäuden und Einfamilienhäusern zu spürbaren Mehrbelastungen für Hausbesitzer und Mieter führen – besonders beim Wertemodell des Bundes. Teilweise verzehnfachten sich die Sätze. Brisant: Die Hamburger kamen zu dem Ergebnis, dass die große Bandbreite der Abweichungen durch Hebesatzanpassungen der Kommune bei gleichbleibendem Gesamtaufkommen nicht ausgeglichen werden kann.

Info:

Das Ruhrgebiet gilt in Sachen Grundbesitzabgaben als Hochsteuerregion. Aus reiner Finanznot und zum Ärger vieler Bürger haben einige Revierstädte die so genannten Grundsteuer-Hebesätze in den vergangenen Jahren drastisch angehoben. Duisburg (855 Punkte), Mülheim (890 Punkte) und Witten (910 Punkte) gehören in dieser Disziplin bundesweit zur Spitzengruppe. Düsseldorf hingegen kann es sich leisten, den Hebesatz seit Jahren unverändert bei 440 Punkten zu belassen.