Düsseldorf. Mit Kindern, die nur auf dem Papier existieren, werden teils horrende Summen erschlichen. Wie das Land jetzt gegensteuern will.

Gleich zehn schulpflichtige Kinder sollten in einer Duisburger Wohnung leben. Die Kontrolleure trafen bei der Meldeadresse zwar 25 Personen auf den 80 Quadratmetern an, nicht aber die dort vermuteten Schüler. Die seien gerade in Oberhausen, hieß es. Ob und wann sie zurückkehrten – ungewiss.

Sören Haack, Leiter der Familienkasse NRW West, verfügt über einige Erfahrung mit Sozialbetrug. Der Versuch, sich mit gefälschten Schulbescheinigungen Kindergeldleistungen zu erschleichen, gehört offenbar zu den gängigen Mustern. Im Verdacht stehen insbesondere Armutszuwanderer aus Rumänien und Bulgarien. Als EU-Bürger haben sie in Deutschland Bleiberecht und Anspruch auf den hiesigen Kindergeldsatz, sofern der Nachwuchs auch tatsächlich hier lebt und zur Schule geht.

Gibt es eine Wanderbewegung durch die EU-Sozialsysteme?

Experten vermuten schon länger, dass es eine von Banden organisierte Wanderungsbewegung durch die Sozialsysteme innerhalb der EU gibt. Für die Behörden war es bislang sehr aufwendig zu ermitteln, ob eine eingereichte Schulbescheinigung echt ist und das gemeldete Kind tatsächlich in Deutschland lebt.

NRW erprobt nun bis zum Herbst in drei Modellkommunen, ob mit neuen digitalisieren Schulbescheinigungen der Kindergeldbetrug eingedämmt werden kann. In Gelsenkirchen, Düren und Horn-Bad Meinberg soll beispielhaft geschaut werden, wie sich verhindert lässt, dass die Sozialleistung „ergaunert“ werden, wie es Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) am Montag ausdrückte.

Schulsekretariate geben die Daten in eine neue Software ein

Die Schulsekretariate geben dabei die Schüler-Daten in eine neue Software ein, so dass die Familienkassen über einen QR-Code verschlüsselte Informationen über die Echtheit der Bescheinigung erhalten. Wenn sich das Verfahren bewährt, soll es landesweit Anwendung finden und könnte womöglich auch auf anderen behördlichen Dokumentenaustausch ausgeweitet werden.

In NRW sind aktuell rund 65.000 Schüler aus Rumänen und Bulgarien gemeldet, wovon die allermeisten eine reguläre Ausbildung anstreben dürften. Allein in Gelsenkirchen kommen laut Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) zehn Prozent der schulpflichtigen Kinder aus Südosteuropa. Sie lobt deshalb das Modellprojekt als „wesentlichen Schritt in die richtige Richtung“.

Wie hoch der landesweite Schaden durch Sozialbetrug ist, wurde bislang nicht exakt erhoben. Dass es sich um ganz erhebliche Summen handeln dürfte, zeigte im vergangenen Jahr lediglich das Projekt „Missimo“ zu Leistungsmissbrauch in Gelsenkirchen und Krefeld. Allein in Krefeld wären dem Staat 1,7 Millionen Euro verloren gegangen, wenn man für Dutzende nur auf dem Papier existierende Schüler bis zum 18. Lebensjahr Kindergeld ausgezahlt hätte, rechnete Sören Haack von der Familienkasse vor.