Essen. Radfahren ist in der Corona-Krise zum Trend geworden. Mit dem Ausbau von Radinfrastruktur kommt NRW aber kaum hinterher, so der Radclub ADFC.
Die Corona-Pandemie hat einen regelrechten Fahrradboom mit sich gebracht – so ziehen Radverbände und Zweiradhändler ihre Bilanz für 2020. Der Zweirad-Industrie-Verband meldet Umsatzsteigerungen für die Fahrradwirtschaft – die laut der „Branchenstudie Fahrradwirtschaft in Deutschland“ der Westfälischen Hochschule mittlerweile bundesweit 280.000 Arbeitsplätze stellt.
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2020 wurde auch 157,7 Millionen mal der Radroutenplaner NRW aufgerufen, im Vorjahr waren es nur 100 Millionen Seitenaufrufe. Doch wurde das Coronajahr dazu genutzt, den Ausbau der Radinfrastruktur in NRW zu beschleunigen? Eher nein, sagt Thomas Semmelmann, Landesvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC).
Kommunalwahl in NRW 2020: Fahrrad als Wahlkampfthema
Laut Semmelmann hat der coronabedingte Fahrradboom gezeigt, „dass unsere Infrastruktur in vielen Bereichen nicht dafür ausgelegt ist“. Das Thema hat 2020 besonders bei den Kommunalwahlen in NRW eine Rolle gespielt. „Die Grünen haben das Thema in den Fokus genommen und in ihre Wahlprogramme geschrieben. Aber zwischen Sagen und Nachher-Umsetzen ist ja noch ein Schritt“, sagt der ADFC-Landesvorsitzende.
Ein „Trauerbeispiel“ beim Thema Radwege-Ausbau ist laut dem ADFC der Radschnellweg RS1, der im vergangenen Jahr ursprünglich fertiggestellt werden sollte. Statt eines 101 Kilometer langen Radwegs zwischen Duisburg und Hamm ist bisher nur ein Flickenteppich fertiggestellt. Während Straßen NRW bei der Planung mit größeren Kommunen kooperiert, wird der RS1 in kleinen Gemeinden durch Straßen NRW selbst geplant – was laut Semmelmann derzeit kaum voran geht. (-> Lesen Sie hier: Warum das Erfolgsprojekt Radschnellweg RS1 stockt)
Witten: Kein Platz für Pop-up-Radwege im Stadtgebiet
Laut ADFC hat 2020 keine der Ruhrgebietsstädte den Radverkehr stärker in den Fokus gerückt als in den Vorjahren.
In Witten nennt die Stadt drei Radweg-Projekte, die 2020 umgesetzt wurden. „Die allermeisten Maßnahmen für die Radinfrastruktur haben einen langen planerischen Vorlauf, können also nicht einfach spontan vorgezogen werden“, so ein Sprecher. Für kurzfristig umsetzbare „Pop-up-Radwege“ fehle im Stadtgebiet der Platz. „Deswegen wirken die Maßnahmen aus dem Jahr 2020 in Witten auf den ersten Blick womöglich etwas dürftig, gerade im Vergleich mit der gestiegenen Relevanz des Radverkehrs in dem Jahr“, so der Sprecher.
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Außerdem suche die Stadt sei derzeit eine oder einen neuen Radverkehrsbeauftragten sowie Ingenieurinnen und Ingenieuren für das Tiefbauamt. (-> Kommentar aus Witten zum Radverkehrskonzept: „Nicht einmal die Stelle eines Fahrradbeauftragten konnte bisher besetzt werden.“ Warum interessieren sich so wenige Bewerber für diesen klimafreundlichen und vielseitigen Job?)
Herne hat 2020 fünf Radweg-Förderanträge gestellt – ebenso viele in den Jahren 2015 bis 2019 insgesamt gestellt wurden. Die Pandemie habe die Planungs- und Entscheidungsprozesse „etwas verlangsamt“, so eine Stadtsprecherin.
Herne baut separate Radwege fast nur auf alten Gleisstrecken
Die Zahl gebauter oder geplanter Radwege 2020 nennt Herne nicht, eine solche Statistik würde nicht geführt. „Bedingt durch die gewachsene und enge Verkehrsinfrastruktur im gesamten Stadtgebiet, besteht in der Regel nicht die Möglichkeit Radverkehrsanlagen separat zu planen und zu realisieren“, so die Sprecherin. Radwege werden daher vorwiegend bei der Umgestaltung bereits vorhandener Straßen eingeplant. Einzeln geführte Radwege seien fast nur auf aufgegebenen Gleisstrecken möglich. (->Lesen Sie hier: Gelsenkirchen entfernt Schienen für Radschnellweg)
Dortmund hat 2020 zwei Förderanträge für Radverkehrsprojekte gestellt. Diese Zahl sei aber „nicht sehr aussagestark“, gibt die Stadtverwaltung an – zumal in einem Antrag auch mehrere Einzelprojekte zusammengefasst sein können. Das städtische Tiefbauamt habe 2020 beispielsweise den ersten Bauabschnitt des RS1 final fertig geplant. „Baustart soll hier im April 2021 sein.“, erklärt ein Stadtsprecher.
Dortmund: Pandemie beeinflusst Radwege-Planungen „spürbar“
Durch Corona-Infektionen bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seien „viele Ingenieurstunden verloren gegangen, Projekte haben sich demzufolge verzögert“. Ausgefallene Ortstermine erschwerten die Planungen. „Die Pandemie hat zum Teil auch die Prioritäten im Gesamtprogramm aller Maßnahmen verschoben – dies wirkt sich natürlich auch auf Maßnahmen für die Radverkehrsinfrastruktur aus“, so der Sprecher. (-> Lesen Sie hier: Radschnellweg Ruhr: Ab Frühjahr baut auch Dortmund)
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Wie viele Radweg-Projekte das Land NRW 2020 gefördert oder finanziert hat, will das Landesverkehrsministerium erst im Laufe des Frühjahrs bekannt geben. In der Bilanz von 2019 war diese Zahl im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Ende Februar will das Land einen Referentenentwurf für das erste „Fahrrad- und Mobilitätsgesetzes NRW“ vorlegen – ein Gesetz, das die Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ durchgesetzt hatte.
Radverkehrs-Gesetz für NRW: ADFC erwartet „Meilenstein“
Der ADFC-Landesverband erwartet von dem Gesetz nicht weniger als einen „Meilenstein und die Chance, den Radverkehr auch systematisch zu fördern, nicht nur nach Gutdünken, nach Kassenlage und wenn man gerade Lust dazu hat“, sagt Landesvorsitzender Semmelmann. Laut dem ADFC NRW solle das Gesetz nicht nur Kommunen eine schnellere Planung von Radwegen ermöglichen – sondern zugleich sicherstellen, dass mehr Radverkehrsplanerinnen und Planer ausgebildet werden. „Wenn man dahinter zurück bleibt, könnte der Schuss nach hinten losgehen“, so Semmelmann.
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„Wir stärken Nordrhein-Westfalen als das Fahrradland Nummer 1!“ heißt es auf der Internetseite des Verkehrsministeriums. Semmelmann sagt, er könne aktuell diesen Satz noch unterschreiben, aber NRW müsse sich anstrengen.
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