Düsseldorf. Corona ist für die Kliniken eine harte Prüfung: Eine der Lehren: “Die Menschen brauchen Krankenhäuser in der Nähe“, sagt Jochen Brink.

Die Coronakrise belastet die Kliniken in NRW schwer. Jochen Brink, Präsident der Krankenhausgesellschaft NRW (KGNW) sprach mit Matthias Korfmann über fehlendes Personal, „halbherzig“ aufgespannte Schutzschirme und die Hoffnung auf Impfungen.

Herr Brink, welche Lehre ist die Wichtigste nach einem Jahr Pandemie?

Brink: Unsere dichte Krankenhauslandschaft mit vielen kleinen, großen und spezialisierten Kliniken hat sich bewährt. 90 Prozent der Covid-19-Patienten wurden ortsnah versorgt. Kleinere Häuser profitieren dabei davon, dass sie digital die Covid-19-Expertise von Spezialisten aus Universitätskliniken hinzuziehen können.

Wie hoch ist die Auslastung der Intensivstationen?

Brink: Die Lage ist beherrschbar. Im Moment haben wir rund 5400 Intensivplätze mit Beatmungsmöglichkeit. Davon sind etwa 600 frei. Wir befürchten aber, dass uns die Virusmutanten Probleme bereiten. Deshalb müssen wir schnell Pläne entwickeln, damit sich die Kliniken im Fall der Fälle gegenseitig unterstützen können.

Wie ist die Stimmung unter Ärzten und Pflegern?

Brink: Trotz der Belastungen erstaunlich gut. Das ärztliche und pflegerische Personal auf den Intensivstationen ist aber einer enormen körperlichen und seelischen Belastung ausgesetzt. Wichtig für die Stimmung ist die Frage, ob ab dem 1. Februar wieder in den Kliniken geimpft wird. Fast alle warten darauf.

Wie groß ist die Impfbereitschaft?

Brink: Sehr hoch. Bis zu 90 Prozent der Ärzte und Pfleger, die mit Covid-19-Patienten arbeiten, wollen sich impfen lassen. Als das Impfen begann, gab es eine Aufbruchstimmung. Umso größer war die Enttäuschung, dass die Impfungen schon nach zwei Tagen unterbrochen wurden.

Wie viele wurden schon geimpft?

Brink: Etwa 40.000 von rund 100.000 Berechtigten, die in den sensiblen Bereichen arbeiten. Also mit Covid-19-Patienten, auf den Intensivstationen, in der Onkologie oder in der Notaufnahme.

Ist es in Ordnung, dass zuerst nur in Pflegeheimen geimpft wurde?

Brink: Das ist ethisch nachvollziehbar. Dort ist die Covid-19-Sterberate am höchsten. Außerdem hat das Impfen in den Heimen einen positiven Effekt für die Krankenhäuser, denn es senkt die Fallzahlen in den Intensivstationen.

Wie dünn ist die Personaldecke?

Brink: Sie wird immer dünner. Es hilft wenig, wenn 600 Beatmungsplätze frei sind, aber immer wieder die dafür erforderlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht verfügbar sind. Ab 1. Februar hat der Bund sogar zusätzlich Personaluntergrenzen für die Innere Medizin und Chirurgie angeordnet. Das heißt in der Chirurgie, dass tagsüber eine Pflegekraft für zehn Patienten zuständig ist, nachts eine für 20. Jetzt, in der schlimmen zweiten Welle der Pandemie, ist das aber nicht immer zu gewährleisten, wenn wir zugleich Ausfälle durch Corona-Infektionen kompensieren müssen. In der ersten Welle waren die Personaluntergrenzen aufgehoben worden. Der einzige Ausweg aus der Personalnot wäre dann noch, weniger Covid-19-Patienten zu behandeln. Das kann und darf nicht die Lösung sein.

Wie ausgelastet sind die Nicht-Covid-Stationen?

Brink: Wir haben insgesamt deutlich unter 70 Prozent der Patienten, die wir vor der Pandemie hatten. Viele Patienten wollen planbare Operationen verschieben, obwohl die Ansteckungsgefahr in Kliniken geringer als in anderen Bereichen ist. Wir fahren unsere Kapazitäten zudem runter, wenn wir etwa bedingt durch Quarantäne-Maßnahmen nicht genug Personal haben. Und die Abstandsregeln erfordern zum Beispiel, dass in einem Mehrbett-Zimmer weniger Patienten liegen können. Wir werden deshalb in diesem Jahr deutlich weniger Patienten versorgen können als vor Corona.

Es ist viel die Rede von Wertschätzung für die „Helden“ in den Kliniken…

Brink: … Dazu gehört essenziell, dass die Krankenhäuser deren Gehälter auch weiter bezahlen können. Leider sind viele Kliniken finanziell unter Druck. Weil die Zahl der Patienten sinkt, sinken die Einnahmen. Der erste Schutzschirm des Bundes mit den Ausgleichszahlungen für frei gehaltene Betten war gut. In der zweiten Corona-Welle ist die Hilfe jedoch plötzlich restriktiv, halbherzig und kleinteilig. Sie gilt nicht für alle Krankenhäuser, die Covid-19-Fälle behandeln. Und sie endet, wenn der Inzidenzwert vor Ort absinkt, obwohl die Behandlungen weiterlaufen. Das ist kein Schutzschirm mehr. Die Finanzplanung für 2021 ist so fast unmöglich.

Der Schutzschirm wird in diesen Tagen nachjustiert. Was fordern Sie?

Brink: Eine schnelle Liquiditätshilfe des Bundes für alle Krankenhäuser. Nach der Krise kann immer noch genau abgerechnet werden. Aktuell ist auch wichtig: weg mit zu viel Bürokratie. Dazu gehört, dass die Prüfquoten des Medizinischen Dienstes mindestens bis zum Sommer weiterhin reduziert bleiben.

Wie viele Kliniken in NRW sind in ihrer Existenz gefährdet?

Brink: Für NRW kann ich das nicht sagen. Aber in Deutschland hat 2019 fast jedes zweite Krankenhaus rote Zahlen geschrieben. Durch Corona dürfte ihre Zahl steigen. Ohne eine Liquiditätshilfe, die am Ende des Jahres spitz abgerechnet werden sollte, wächst deshalb die Insolvenzgefahr.

NRW plant eine große Krankenhausreform, bei der auch Schließungen drohen. Ist das angesichts der Coronakrise noch denkbar?

Brink: Wir betreten da absolutes Neuland, ganz Deutschland schaut darauf. Eine wichtige Erkenntnis aus der Krise ist, dass wir Reserven für Notsituationen brauchen und dass die Wege der Patienten zur Klinik kurz sein müssen. Das darf nicht auf der Strecke bleiben. Der angedachte Weg zu einer größeren Spezialisierung von Kliniken darf nicht dazu führen, dass ein kleines Krankenhaus, das für die Grundversorgung der Menschen wichtig ist, nicht überleben kann.

Im Ruhrgebiet gibt es besonders viele Kliniken. Sind die in Gefahr?

Brink: Da muss man vorsichtig sein. Das Ruhrgebiet ist eine Metropolregion. Andere Regionen dieser Art wie Hamburg und Bremen haben auch eine hohe Krankenhausdichte, weil viele Menschen aus dem Umland dort hinkommen. Wir müssen zunächst herausfinden, wo die Patienten in den Revier-Krankenhäusern herkommen: Aus dem Ruhrgebiet? Aus Sauer- und Münsterland, weil sie die gute Versorgung im Revier schätzen? Bevor das nicht ausgeleuchtet ist, kann man nicht behaupten, das Ruhrgebiet habe zu viele Krankenhäuser.

Wir müssen auch die Besonderheiten des Ruhrgebietes würdigen. Hier leben 30 Prozent der NRW-Bevölkerung auf 13 Prozent der Landesfläche. Manche Krankheiten dort hängen eng mit dem industriellen Erbe der Region zusammen. In Bayern gibt es solche Krankheitsbilder nicht in dem Ausmaß. Das muss jede Kürzungsphantasie relativieren. Und in den ländlichen Regionen wie dem Sauerland oder Südwestfalen muss eine wohnortnahe Versorgung der entscheidende Maßstab sein.

Also sollte alles so bleiben, wie es ist?

Brink: Nein. Aber die Verantwortlichen in den Kliniken des Reviers sollten die Chance haben, eigene Vorschläge zu machen. Es muss ja beispielsweise nicht sein, dass es in einer mittelgroßen Stadt vier Herzkatheterlabore gibt, die alle dasselbe machen.

Ist die Krankenhausfinanzierung nach Fallpauschalen noch zeitgemäß?

Brink: Nein. Heute werden 100 Prozent der Kosten in den Krankenhäusern über die Leistungen für die behandelten Patienten finanziert, auch Kosten für Gebäude, Energie, medizinisches Personal. In dieser Systematik brauchen wir stets hohe Fallzahlen, um das bezahlen zu können. Wenn weniger Patienten kommen zum Beispiel wegen der Pandemie oder die neue Krankenhausplanung in NRW die Patientenströme verändert, bleiben viele Kosten ungedeckt. Das widerspricht dem Ziel der Daseinsvorsorge. Damit die Krankenhäuser nicht mehr auf hohe Patientenzahlen angewiesen sind, muss ihre Finanzierung nach der Bundestagswahl geändert werden.

Zur Person:

Jochen Brink (64) stammt aus Gütersloh und ist Geschäftsführer des evangelischen Klinikverbundes Valeo mit Häusern in Hamm, Lippstadt, Münster und Gronau. Seit 2013 ist er Präsident der Krankenhausgesellschaft NRW.