Düsseldorf. Erzieherinnen und Erzieher haben Angst, viele Eltern sind am Limit, die Politik will helfen, kann es aber nicht jedem recht machen.
NRW hält trotz der zunehmenden Belastungen für Erzieherinnen und Familien mit Kindern an der eingeschränkten Betreuung in Kitas und in der Kindertagespflege fest. „Es wird kein Betretungsverbot mit Notbetreuung geben. Die Kitas bleiben grundsätzlich geöffnet“, sagte NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) am Donnerstag im Landtag.
Der Minister appellierte aber erneut an die Familien, Kinder wegen der angespannten Pandemielage möglichst nicht in die Kitas und die Tagespflege zu schicken. Eltern sollten jetzt Eigenverantwortung zeigen und Solidarität üben. Stamp sagte, er stehe zu dem Vorwurf, dass er damit moralischen Druck ausübe.
Die Nerven sind aber nicht nur in den Familien angespannt, sondern auch in den Kindertageseinrichtungen. Im Schnitt liege derzeit in den Kitas die Inanspruchnahme von Betreuung bei 37,5 Prozent, so die NRW-Regierung. Mancherorts ist die Belastung aber viel größer.
Notbetreung für Kitas gefordert
„Uns wird gemeldet, dass durchschnittlich etwa die Hälfte aller Kinder betreut werden“, sagte Sandra van Heemskerk, Vize-Landesvorsitzende der Gewerkschaft „komba“, dieser Redaktion. In einem Brandbrief an Stamp fordert die Gewerkschaft die Einführung einer Notbetreuung bis zum 14. Februar. „Die Frustration unter Erzieherinnen und Erziehern nimmt von Woche zu Woche zu“, warnte van Heemskerk.
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Daniela Heimann, Vorsitzende des Landeselternbeirats, begrüßte, dass NRW an seinem Kurs festhält und warb um Verständnis für die Eltern. Sie machten sich die Entscheidung nicht leicht, eine Kita-Betreuung in der Pandemie in Anspruch zu nehmen. "Sie bringen die Kinder nicht, weil sie das einfacher finden, sondern weil die Betreuung anders nicht zu gewährleisten ist", sagte Heimann. Sie unterstrich, dass nach über einem Monat Lockdown bei einigen Eltern die Luft raus sei. Es brauche bis Mitte Februar eine andere Lösung.
Im Alleingang füllt NRW eine Lücke des Bundes bei der Entlastung von berufstätigen Eltern. Die vom Bund beschlossene Verdoppelung der Kinderkrankentage gilt derzeit nur für gesetzlich Krankenversicherte. Das NRW-Landeskabinett beschloss nun ein eigenes Hilfsprogramm zur finanziellen Entschädigung privat versicherter Eltern mit Kita- und Schulkindern unter zwölf Jahren.
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Die Belastungen für Familien mit Kindern und für Erzieherinnen fordern ihren Tribut. „Negativer als im Frühjahr“ seien die Reaktionen auf die Probleme bei der Betreuung, sagte NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) im Familienausschuss des Landtags. Darin spiegele sich die Stimmung. Die ganze Gesellschaft gehe nach einem Jahr Pandemie „auf dem Zahnfleisch“.
Die Stimmung ist im Keller
Es kommt fast nie vor, dass ein Politiker – wenn auch im Scherz – über den eigenen Rücktritt spricht. Dass Joachim Stamp dennoch ein Satz wie dieser über die Lippen kam, darf als Zeichen für Anspannung gewertet werden: „Wenn ich die Pandemie beenden könnte, indem ich zurücktrete, dann würde ich heute zurücktreten.“
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Stamp rechtfertigte seine „Bildungs- und Betreuungsgarantie“. Gegen ihn und NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) werde in sozialen Netzwerken gehetzt. Es gehe ihnen aber um die Bildungschancen der Kinder. Im „Katastrophenfall“ wäre er nicht der, der sagen würde, „alles geht weiter in den Kitas“.
Aus Sicht der Gewerkschaft „komba“ ist die Lage für die, die sich um die Kinder kümmern, schon längst katastrophal. Seit dem Frühjahr nehme der Frust unter Pädagogen zu.
Noch viele Kinder in den Kitas
Laut Landesregierung werden 37,5 Prozent der Kita-Kinder (Stand 19. Januar) in den Einrichtungen bereut. Zahlen zur Inanspruchnahme der Kindertagespflege liegen nicht vor, sie dürften aber – prozentual – höher liegen als in den Kitas. In manche Kitas gingen viele Kinder, andere seien fast leer.
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„komba“ erklärt, dass im Schnitt etwa die Hälfte der Kinder weiter in den Kitas betreut werden. „Und diese Zahl steigt“, sagte „komba“-Vize-Landeschefin Sandra van Heemskerk dieser Redaktion. Während der Notbetreuung im Frühjahr lag die Auslastung nur zwischen zehn und 20 Prozent. Die Kindertagespflege fühle sich von der Politik regelrecht vergessen, sagen Gewerkschafter.
Gemäß dem Bund-Länder-Beschluss gilt für die Familien bis 14. Februar ein „dringender Appell“, Kinder zu Hause zu betreuen. Die Elternbeiträge werden für Januar ausgesetzt. Der Betreuungsumfang in den Kitas wurde um zehn Wochenstunden gekürzt. Eltern dürfen ihre Kinder aber weiter betreuen lassen, ohne nachweisen zu müssen, dass sie dies benötigen. Einige andere Länder, darunter Hamburg, haben strengere Regeln.
Auch viele Eltern sind am Limit
Die Organisation des Alltags in der Pandemie geht an die Substanz. Daniela Heimann, Vorsitzende des Landeselternbeirats, begrüßte, dass NRW seinen Weg weiter geht und Eltern entscheiden könnten, ob ihr Kind seine Kita besucht oder nicht. Bislang sei nur in Einzelfällen auf Eltern Druck ausgeübt worden, den Nachwuchs selbst zu beaufsichtigen. Heimann appellierte an Kitas, sorgfältig zu prüfen, ob sie ihren Betreuungsumfang wieder erweitern können. „Manche Familien sind darauf angewiesen“, mahnte die 41-Jährige. Erste Kitas gingen bereits auf Eltern zu.
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Sorgenvoll stimmt den Landeselternbeirat der Ton zwischen Eltern, Fachkräften und Gewerkschaften in der Krise. Fronten verhärteten sich. Nötig sei ein runder Tisch. „Wir müssen einen offenen Dialog über die bestmögliche Lösung führen und schon jetzt gemeinsam gucken, wie es nach dem Lockdown schrittweise weitergehen kann.“
Kinderkrankentage für Selbstständige
NRW entlastet Freiberufler und Selbstständige mit Kinderkrankentagen für die Betreuung in der Corona-Pandemie. Das Kabinett hat ein Hilfsprogramm für privat und freiwillig gesetzlich versicherte Eltern mit Kita- und Schulkindern unter zwölf Jahren beschlossen. Der Bund hatte zuvor nur die Kinderkrankentage für gesetzlich versicherte Eltern verdoppelt, die ihre Kinder daheim betreuen.
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Entschädigt werden auch gesetzlich versicherte Eltern, deren Kinder privat krankenversichert sind. Angesetzt sind in NRW zehn Krankentage pro Kind (bei Alleinerziehenden 20). Der Tagessatz liegt bei 92 Euro. Anträge könnten ab Februar bei den Bezirksregierungen gestellt werden und gelten rückwirkend zum 5. Januar.
Ideen zur Entlastung
"komba"-Gewerkschafter fordern eine Notbetreuung statt offene Kitas. Die Liste für systemrelevante Berufe könne dafür überarbeitet werden. Zumindest sollten Eltern begründen müssen, warum sie ihr Kind nicht zu Hause betreuen. Ebenfalls angedacht: Ein Betreuungs-Wechselmodell mit festen, kleinen Gruppen. Josefine Paul (Grüne) bringt „Betreuungs-Settings“ ins Gespräch. Dabei teilen sich mehrere Familien die Betreuung.