Berlin. Neunt- und Zehntklässler machen Abschlüsse unter Corona-Bedingungen. Experten sorgen sich um ihre die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Die Schultore bleiben zu, die Tafeln weiß: Seit Dienstabend ist klar, dass die meisten Schülerinnen und Schüler der Republik fürs Erste weiterhin zuhause bleiben. Seit Monaten ist der Umgang mit der Pandemie an den Schulen hart umstritten – diskutiert wird, was die Schließungen für benachteiligte Schüler bedeuten, für Kinder in der Grundschule und vor allem für die, die kurz vorm Abitur stehen.
Nur eine Gruppe bleibt dabei außen vor, sagt Jürgen Böhm, Vorsitzender des Realschullehrerverband: Die Schülerinnen und Schüler, die statt Abi den Hauptschul- oder mittleren Bildungsabschluss machen. „Der Fokus in der Debatte liegt zu sehr auf den Abiturienten“, sagt er.
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Abschlussklassen sollen Distanz- und Präsenzunterricht erhalten
Für die Schülerinnen und Schüler, die einen Hauptschul- oder mittleren Schulabschluss machen, stehen entscheidende Monate bevor: Im Frühjahr finden Abschlussprüfungen statt, anschließend folgt die Bewerbungsphase für Ausbildungsplätze.
Für Abschlussklassen sind deshalb in den Bund-Länder-Beschlüssen Ausnahmen vom Distanzunterricht vorgesehen, viele Länder setzen dies auch um: So sollen Jugendliche, die in diesem Jahr die Schule abschließen, in Bayern ab dem 1. Februar wieder im Wechsel in Distanz und Präsenz unterrichtet werden, in Niedersachsen wird für Abschlussklassen schon seit dem 11. Januar ein entsprechendes Modell umgesetzt.
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"Corona-Jahrgang" als Makel?
Trotzdem ist es ein Abschluss unter erschwerten Bedingungen, den die Jugendlichen vor sich haben – und die Sorge wächst, dass ein „verlorener Jahrgang“ entstehen könnte. So forderte der Schulleiterverband von Niedersachsen kürzlich, die Prüfungen in diesem Jahr ausfallen zu lassen, um die Jugendlichen nicht zu bestrafen.
Davon halt Joachim Maiß gar nichts: „Wenn wir ihnen nicht mal die Prüfung als Qualitätssiegel geben, dann hat dieser Jahrgang große Schwierigkeiten“, sagt er. Maiß ist Vorsitzender des Bundesverbands der Lehrkräfte für Berufsbildung, er vertritt die Lehrerinnen und Lehrer an den Berufsschulen.
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Er fürchtet, das Bemühen, es dem diesjährigen Abschlussjahrgang an den Allgemeinbildenden- und Berufsschulen einfacher zu machen, könnte den Jugendlichen mehr schaden als nützen. „Man sollte den Jugendlichen nicht den Makel des ‚Corona-Jahrgangs‘ aufdrücken.“ Helfen könne es dem Jahrgang aber, die Prüfungen zu verschieben, um mehr Zeit zum Lernen zu geben, sagt Maiß. „Das wurde letztes Jahr schon gemacht, das hat funktioniert.“
Digitales Ausstatten der Schulen dauert lang
Was hingegen nur mangelhaft funktioniert habe, seien die Bemühungen, die Schulen digital besser auszustatten: „Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass wir seit dem Sommer noch nicht zu einer flächendeckenden Ausstattung mit Endgeräten und schnellen Internetverbindungen gekommen sind“, sagt Maiß. Die Beschlüsse – wie etwa je 500 Millionen Euro vom Bund für Laptops für Schüler und Lehrer – seien da, aber die Prozesse würden viel zu lang dauern. „Das verläuft sich alles in der Bürokratie“, klagt der Vertreter der Berufsschullehrer.
Auch Ausbildungsexperten sorgen sich um die aktuellen Zehntklässler – und vor allem um deren Zukunft: „Der Lockdown und die Schulschließungen treffen diejenigen Jugendlichen besonders hart, die in diesem Sommer nach der Schule eine Ausbildung beginnen wollen“, warnt Elke Hannack, Vize-Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Gerade die letzten Wochen und Monate der Schulzeit seien für Schüler, die nach der zehnten Klasse die Schule verlassen, sehr wichtig: Hier findet normalerweise intensiver, berufsvorbereitender Unterricht statt, hier stehen die Berufspraktika an und hier können sich die Jugendlichen bei Ausbildungsbörsen und Messen über Ausbilder und Betriebe informieren und Kontakte knüpfen.
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Berufsorientierung ist im Lockdown schwierig
Im Moment falle vieles davon weg, so Hannack. Praktika sind aus Infektionsschutzgründen nur sehr eingeschränkt möglich, viele Betriebe wie Hotels, Restaurants oder Friseure sind im Lockdown. Viele Schulabgänger seien zudem bei der Ausbildungssuche auf intensive Unterstützung durch ihre Lehrer angewiesen – auch diese Hilfe sei im Moment oft schlicht weggebrochen.
Schulen, Arbeitgeber und Bildungsträger müssten dringend Wege finden, um Schüler und Betriebe auch unter Lockdown-Bedingungen zusammenzubringen. Denn: „Die Gefahr ist groß, dass gerade Jugendliche mit mittlerem Schulabschluss oder Hauptschulabschluss zu den Verlierern der Corona-Krise werden", sagte die Gewerkschafterin dieser Redaktion.
Auch der Böhm, Vertreter der Realschullehrer, sieht die Gefahr, dass hier Jugendliche ins Hintertreffen geraten könnten. Prinzipiell funktioniere Berufsorientierung auch in der Pandemie, sagt er. „Aber in den Bundesländern und Schulen, wo das schon vor der Pandemie nicht gut funktioniert hat, klappt es jetzt natürlich gar nicht. Das wird für einen Teil der Jugendlichen zum Problem." Er hofft deshalb darauf, dass der aktuelle harte Lockdown Wirkung zeigt – und die Jugendlichen anschließend möglichst schnell wieder in die Klassenzimmer zurückkehren können.
Wann es soweit sein wird, liegt in der Verantwortung der Länder. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Schultore nicht ganz so verschlossen sind, wie es die Beschlüsse der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten vermuten lassen: Noch am Dienstagabend hatte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) angekündigt, Kitas und Schulen schon vor dem 14. Februar wieder öffnen zu wollen. Am Mittwoch zog Rheinland-Pfalz nach. Dort sollen Grundschulen ab dem 1. Februar wieder in den Wechselunterricht gehen.
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