Essen/Ahlen. Trotz Lockdowns werden die Kitas immer voller: Kita-Leiterin beklagt in offenem Brief ans Familienministerium die Fokussierung auf Schulen.
Trotz des Appells aus dem Familienministerium, Kita-Kinder möglichst zu Hause zu betreuen, wird es in den Einrichtungen in NRW immer voller: In Kamp-Lintfort nahmen zum Wochenstart bereits etwa die Hälfte der Eltern die Betreuung in Anspruch. Ganz ähnlich ist das Bild im Kreis Olpe, in Duisburg und in Mülheim.
Während die Präsenzpflicht an Schulen aufgehoben wurde und mindestens bis Ende Januar nur Distanzunterricht erteilt wird, belässt es die Landesregierung für die mehr als 10.000 Kitas im Land bei einer Bitte.
"Warum gilt die Kontakt-Minimierung nicht für Kitas?"
Für Dr. Susanne Jonas, Leiterin des Familienzentrums Arche Noah in Ahlen, ist es unverantwortlich, den Kitas allein die Verantwortung zuzuschieben - für die Betreuung der Kinder ebenso wie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kindertagespflege. In einem offenen Brief an Familienminister Joachim Stamp hat die 55-Jährige am Wochenende ihrem Ärger Luft gemacht: "Warum gilt die so vehement vertretene Struktur der Kontakt-Minimierung nicht für Kitas?", fragt sie darin.
Die Kitas einfach zu öffnen und dadurch unkontrolliert Kontakte zuzulassen, hält sie für fahrlässig. Es gebe nicht einmal ein Betretungsverbot für die Einrichtungen: Dadurch könnten sich allein in ihrem Familienzentrum mit insgesamt 72 Betreuungsplätzen zeitweise bis zu 100 Personen gleichzeitig aufhalten.
"Die Politik hat es für die Schulen geregelt und die Kitas bleiben im Regen stehen", kritisiert Jonas. Dabei gehe es ihr nicht darum, alle Kindertagesstätten einfach zu schließen. Vielmehr fehle aber ein kluges Konzept, um Familien mit kleinen Kindern individuell zu entlasten: "Manchen Eltern würde es schon reichen, wenn sie etwa das Mittagessen oder Spielmaterialien und - anregungen bei uns abholen könnten", sagt Jonas.
Tatsächlicher Betreuungsbedarf kann kaum kontrolliert werden
Abweisen kann sie die Kinder ebensowenig wie den tatsächlichen Betreuungsbedarf zu kontrollieren. "Warum wurde hier gemeinsam mit den Kitas kein Punktesystem oder ein ähnliches Instrument entwickelt, um eine gerechte und pandemie-konforme Lösung zu finden?", fragt sich Susanne Jonas. Auch eine Rückkehr zu den Regeln der Notbetreuung im vergangenen Jahr sei denkbar gewesen - mit Berücksichtigung sozial schwacher Familien oder Alleinerziehender.
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Die seit Montag gültige Reduzierung der regulären Betreuungszeit um jeweils zehn Wochen-Stunden bringe kaum etwas: Denn die Zusammensetzung der Erzieherinnen und Kinder in den jeweiligen Gruppenräumen ändere das schließlich nicht.
"Ein Spiegel dessen, wie unser Land mit frühkindlicher Bildung umgeht"
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Dass es für Schulen klare Regeln gibt, für Kitas aber nicht, ist für sie ein weiterer Spiegel dessen, "wie unser Land mit frühkindlicher Bildung umgeht". Diese Geringschätzung habe sie schon lange vor Corona gewurmt - ein Grund, warum Jonas in Heilpädagogik promovierte: "Ich konnte die Abwertung nicht mehr ertragen, wenn ich erwähnt habe, in einer Kita zu arbeiten.
Dieser Bereich hat einen viel höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft verdient", sagt Jonas, "nicht nur zu Pandemie-Zeiten". Auf eine Antwort aus dem Familienministerium wartet sie noch.
Familienminister Stamp verteidigt Appell an Eltern
In einer Sondersitzung des Landtags am Dienstagnachmittag verteidigte Familienminister Joachim Stamp den Appell an die Kita-Eltern. Um die Pandemie zu meistern, sei Eigenverantwortlichkeit gefragt.
Eine Rückkehr zur Notbetreuung nur für Kinder von Eltern aus systemrelevanten Berufen schloss er aus. Dies habe im vergangenen Jahr zu vielen Neiddebatten geführt und sei nicht zielführend. Vielmehr gelte es, individuell zu schauen, ob eine Kita-Betreuung zwingend gebraucht werde. Dies lasse sich nicht am Beruf festmachen.
Erzieherin aus Gelsenkirchen: Jede Menge Leerlauf
Für eine Erzieherin aus Gelsenkirchen, die anonym bleiben möchte, ist eben diese fehlende politische Regel ein Problem: "Bei uns sind aktuell mehr als doppelt so viele Erzieherinnen als Kinder. Dadurch haben wir jede Menge Leerlauf." Zeit, die sinnvoller genutzt werden könnte, wie die Erzieherin findet: "Von uns wären einige bereit, etwa bei der Corona-Kontaktnachverfolgung mitzuhelfen."
Nicht zuletzt könne das dabei helfen, das Personal in den Kitas und so das Infektionsrisiko zu verringern. Dieser Aspekt komme ihr in der Betreuungsdebatte oft zu kurz: "Zwar gelten bei uns Maskenpflicht und Mindestabstände. 1,50 Meter Abstand ist aber kaum einzuhalten, außerdem benutzen wir die gleichen Toiletten und Räume."
Zwar habe es seitens der Kita eine Abfrage unter den Eltern gegeben, wer wirklich eine Betreuung brauche: Da aber anders als im vergangenen Jahr theoretisch jeder sein Kind bringen könne, müsse auch das gesamte Personal vorgehalten werden. Für die Erzieherin nicht nachvollziehbar: "Wir brauchen dringend eine bessere Planbarkeit und mehr Infektionsschutz für die Kitas."