Essen. Zwischen Wechselunterricht und Weihnachtsbesuchen: Die Lockdown-Verlängerung wirft in Nordrhein-Westfalen noch viele Fragen auf.
15 Seiten umfasst der Bund-Länder-Beschluss zum verlängerten und verschärften Corona-Lockdown. In NRW wird vor allem über vier Aspekte diskutiert:
1. Strengere Kontaktverbote
Ab dem 1. Dezember und bis Weihnachten werden die Kontaktbeschränkungen noch einmal verschärft auf höchstens fünf Personen aus zwei Haushalten. Ausnahme: Kinder bis 14 Jahre. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet begründete im Landtag, warum die Kontaktregeln nicht nur an den Weihnachtsfeiertagen, sondern auch zum Jahreswechsel gelockert werden (auf Treffen bis zu zehn Personen aus verschiedenen Haushalten): „Viele Menschen müssen Schichtdienst machen an Weihnachten und holen die Familienfeiern in den Tagen danach nach.“
Auch interessant
Der Ministerpräsident betonte, dass niemand befürchten müsse, dass Kontrolleure an der Tür klingeln: „Kein Mensch wird das nachzählen am Heiligen Abend unter dem Christbaum“. Er appellierte aber an alle Bürger, Kontakte so weit wie möglich einzuschränken.
Es sei wichtig, den kleinen Lockdown bis in die ersten Januartage zu verlängern, so Laschet. So sei allen Bürgern frühzeitig klar: „Es wird Weihnachten keine offenen Restaurants geben. Es wird Silvesterabend kein Silvesteressen in irgendeinem Restaurant geben.“ Die neue Maskenpflicht vor Geschäften und auf Parkplätzen diene dazu, Kunden zu schützen, die vor den Märkten in der Schlange stehen und sich unterhalten.
2. Streit um Distanzunterricht
Bei einen Infektionsgeschehen über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche sollen „weitergehende Maßnahmen“ für den Unterricht ab Jahrgangsstufe 8 (außer Abschlussklassen) „schulspezifisch“ umgesetzt werden, so Bund und Länder. Zum Beispiel mit „Hybridunterricht“ (Die Kinder lernen teils daheim, teils in der Klasse). NRW-Regierung und Opposition reklamieren kurioserweise beide, sich hier durchgesetzt zu haben.
Auch interessant
Laschet sagte, dass es damit eben nicht möglich sei, in einer Stadt oder einem Landkreis „mal eben Distanzunterricht“ einzuführen. SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty behauptete dagegen, Bund und Länder hätten sich auf den in NRW verbotenen „Solinger Weg“ zum Teilen von Klassen geeinigt. „Wenn Sie es nicht Solinger Weg nennen wollen, nennen Sie es meinetwegen Aachener Straße“, so Kutschaty zum Aachener Laschet.
In Schulen sollen verstärkt Antigen-Schnelltests eingesetzt werden. Neu ist, dass Schüler, die sich mit Corona angesteckt haben, mit ihrer ganzen Klasse sofort in eine fünftägige Quarantäne geschickt werden. Danach soll es einen Schnelltest geben. Ist der negativ, dürfen die Schüler wieder in die Schule.
3. Rätsel um Hotspot-Strategie
Laut Bund-Länder-Beschluss sollen in Gegenden mit „besonders extremen Infektionslagen“ mit über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche zusätzliche Beschränkungen verhängt werden. In NRW wären das aktuell acht Städte und Kreise. Welche Maßnahmen dort ergriffen werden sollen, will Laschet erst im Kabinett beraten.
Auch interessant
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) präsentierte dagegen für die Hotspots in seinem Bundesland bereits einen Katalog: Grundsätzlicher Wechsel von Präsenz- und Digitalunterricht in den Schulen, Alkoholverbot in der Innenstadt, Schließung von Märkten, Musik- und Fahrschulen. Nur der Lebensmittelhandel bleibt dort geöffnet.
NRW dürfte erst in der neuen Corona-Schutzverordnung zum 1. Dezember klarstellen, wie ein vertiefter Lockdown in Städten mit besonders vielen Infektionen konkret aussehen soll. FDP-Fraktionschef Christof Rasche wertete die neue Schwelle von 200 Infektionen als „kleine Kehrtwende beim Inzidenzwert“, weil künftig eine bessere Differenzierung von Maßnahmen möglich werde. Bislang lag die staatliche Eingriffsschwelle allein bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche, weil die Gesundheitsämter ab diesem Wert die Kontaktnachverfolgung nicht mehr leisten können.
Auch interessant
4. Kriselnder Koalitionspartner
„Armin, wir machen alles zusammen“, rief FDP-Fraktionschef Rasche am Donnerstag im Landtag zu Ministerpräsident Laschet auf der Regierungsbank hinüber. Diese Ergebenheitsadresse und zahlreiche Beteuerungen der schwarz-gelben Gemeinsamkeit sollten offenbar überdecken, dass Teile der FDP mit den Bund-Länder-Beschlüssen zum verlängerten Lockdown nicht einverstanden sind. Rasche selbst hatte noch Ende Oktober die Schließung von Einzelhandel, Kultur und Sporteinrichtungen als falsch gebrandmarkt und lediglich aus Koalitionsräson mitgetragen. Nun werden diese Maßnahmen sogar verschärft und bis mindestens Anfang Januar verlängert.
Inzwischen betrachtet es die FDP als „Erfolg“, dass man noch weitergehende Corona-Maßnahmen von Kanzlerin Merkel habe leicht entschärfen können. Außerdem wähnt man sich mit dem unbedingten Festhalten am Präsenzunterricht in den Schulen und dem Vorziehen der Weihnachtsferien als bundesweiter Taktgeber.