Essen/Düsseldorf. Lehrerverbände und Elternvertreter fordern eine Reduzierung des Unterrichtsstoffs. Schülervertreter wünschen sind jedoch eine andere Lösung:

Angesichts steigender Infektionszahlen und zuletzt rund 50.000 NRW-Schülern in Quarantäne fordern Eltern und Gewerkschaften das Schulministerium auf, die Lehrpläne an den Schulen zu kürzen und den Stoff zu reduzieren. „Wir müssen dringend über eine Anpassung der Lehrpläne sprechen“, sagte Maike Finnern, Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW in NRW, dieser Redaktion. „Wir haben kein normales Schuljahr“, sagte sie. „Es gibt Schulen, wo ganze Jahrgänge in Quarantäne geschickt wurden. Andere sind bislang gar nicht betroffen.“ Die Voraussetzungen für die Schüler seien daher landesweit sehr unterschiedlich.

Auch durch die Hygienemaßnahmen gehe viel Unterrichtszeit verloren. Zudem müssten die Prüfungsformate angepasst werden, meint Finnern. „Zentrale Prüfungen am Ende der Klasse 10 kann es dieses Jahr nicht geben.“ Bei den kommenden Abiturprüfungen sollte es mehr Freiheiten bei der Aufgabenauswahl geben.

Unterdessen steigt die Zahl der durch Coronafälle und Quarantäne betroffenen Schulklassen . Nach Angaben der Landesregierung befanden sich zum Stichtag 4. November an landesweit 552 Schulen Schülerinnen und Schüler auf Anordnung der Gesundheitsbehörden in Quarantäne und werden digital unterrichtet. Die Zahl der Schulen, an denen noch regulärer Präsenzunterricht stattfindet, sank binnen einer Woche um mehr als zehn Prozentpunkte auf zuletzt 87,5 Prozent. In den Tagen nach dieser Erhebung dürfte sich die Entwicklung weiter verschärft haben.

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Viele Eltern blicken angesichts des versäumten Schulstoffs besorgt auf die kommenden Abiturprüfungen. Täglich bekomme er die untragbare Situation an den Schulen vor Augen geführt, stöhnt der Vater einer 17-Jährigen Tochter, die im kommenden Jahr Abitur machen will. „Die Lehrkräfte versuchen krampfhaft, den Stoff im Eiltempo nachzuholen. Das führt zu kompletter Überforderung und extremer psychischer Belastung der Schüler“, meint der Düsseldorfer. Aus Sorge um das Abitur im nächsten Jahr startete er die Online-Petition „Abitur 2021 nur für Überflieger?“ Darin fordert er die Landesregierung auf, die Inhalte entsprechend der Lockdown-Phasen zu reduzieren.

Was sagen die Verbände?

Stefan Behlau, Landesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) erinnert daran, dass die Schüler „seit März unter erschwerten Bedingungen lernen“. Die Lehrer täten alles dafür, dass die Schüler dadurch keine Nachteile erfahren, nicht nur in den Abschlussklassen. „Die Fokussierung auf die Abschlüsse ist einerseits verständlich, aber sie verkürzt auch den Blick auf das, was Schule leistet“, so Behlau. Falls es zu Änderungen bei den Prüfungen kommen sollte, um Nachteile auszugleichen und die Vergleichbarkeit zu erhalten, „sollte dies auf jeden Fall auch transparent und schnellstmöglich den Schulen mitgeteilt werden, damit diese entsprechend handeln können“, erklärt der Gewerkschafter.

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Rückendeckung bekommt er von Maike Finnern, Vorsitzende der GEW in NRW. Eine Debatte über eine Anpassung der Lehrpläne sei dringend nötig. Die Politik müsse eingestehen, dass bereits jetzt ein regulärer und konzentrierter Unterricht angesichts von Intervall-Lüften und Maskenpflicht kaum möglich sei . Ein erweiterter Aufgabenpool für die Abiturprüfungen sei zwar richtig, „aber reicht das aus?“ fragt sie. „Es muss für die Schulen mehr Freiheiten bei der Auswahl der Prüfungsaufgaben geben.“ Schüler, die womöglich schon mehrfach in Quarantäne waren, haben andere Voraussetzungen als jene, die gar nicht betroffen waren. Dem müsse Rechnung getragen werden.

Was sagen die Eltern?

Die Landeselternschaft der Gymnasien spricht sich gegen eine Absenkung des Niveaus bei den Abi-Prüfungen aus und wendet sich an alle Schulminister der Bundesländer: „Wir fordern Erklärungen und die Zusicherung, dass die Schulabschlüsse der kommenden Jahrgänge kein Corona-Etikett bekommen.“ Klar sei, dass die vielen Wissenslücken, die in der Krise entstehen, nur mit großem Aufwand wieder geschlossen werden könnten. Die Politik in NRW und in den anderen Ländern könnte diese Wissenslücken von oben „verordnen“.

Das aber ist aus der Sicht der Gymnasialeltern „brandgefährlich“, wie Vorsitzender Dieter Cohnen und seine Kollegen sagen. „Als Kulturgesellschaft eröffnen wir nun ein Hauen und Stechen unter den Fächern, wer wieviel streichen muss. Sind die Kernfächer Mathematik, Deutsch und Englisch sakrosankt? Können Religion, Musik und Kunst „wegfallen“?“, fragt der Verband.

Anke Staar von der Landeselternkonferenz NRW sagt: „Wir müssen uns ehrlich machen: Geht es jetzt trotz Corona einfach weiter mit Standardprüfungen oder schauen wir auf das, was die Schüler in diesem Krisenjahr tatsächlich lernen können?“

Was sagen die Schüler

„Wir sind strikt gegen eine Anpassung der Lehrpläne“, sagt Sophie Halley vom Vorstand der Landesschülervertretung. Dabei bestehe das Risiko, dass Stoff gekürzt werde, der zuvor noch nicht im Unterricht behandelt wurde, der aber für die Abiturprüfungen relevant sein könnte. „Deswegen machen wir den Vorschlag, den Lehrkräften mehr Klausurvorschläge zu geben, unter denen sie auswählen können“, so Halley. Zudem sollten Schüler dann aus vier statt aus drei Klausurvorschlägen wählen können. „Die nächsten Abiturprüfungen werden für die Schüler sicher schwieriger werden. Viele werden mit Angst in die Klausuren gehen“, befürchtet Halley.

Was sagen die Schulpsychologen?

Der Landesverband der Schulpsychologen in NRW mahnt , das Recht der Kinder auf Bildung und Förderung in der Coronakrise nicht zu vernachlässigen. Eine zu große Zahl von Kindern finde in den Phasen von Quarantäne oder Schulschließungen nicht die nötige Unterstützung durch Lehrer und Eltern. „Die Folge sind massive Lernrückstände mit negativen Folgen für die Bildungsbiographie“, so der Verband in einem Positionspapier. Das Recht auf Bildung müsse „mindestens einen so hohen Stellenwert haben wie der Infektionsschutz“.