Düsseldorf. NRW startet eine Kampagne gegen „moderne Sklaverei“. Frauen und Männer werden mit grausamen Methoden ausgebeutet.
NRW-Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) hat sich wie zuvor schon die Frauen in der CDU (Frauen-Union NRW) gegen ein generelles Prostitutionsverbot ausgesprochen. Mit dem so genannten „Nordischen Modell“, das den Kauf sexueller Dienste zum Straftatbestand macht, würden Prostituierte komplett ins Dunkelfeld geschoben, sagte Scharrenbach am Montag bei der Vorstellung einer Kampagne gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution. Das „Nordische Modell“ würde die Hilfe für Opfer von Menschenhandel erschweren.
Die Ministerin forderte zudem Korrekturen am seit 2017 geltenden deutschen Prostituiertenschutzgesetz. Es habe nicht dazu beigetragen, auch nur einen einzigen Fall „moderner Sklaverei“ in dem Gewerbe zu verhindern oder aufzudecken. Bund und Länder müssten die Reform des Prostituiertenschutzgesetz endlich gemeinsam angehen. Das von einem Gericht verfügte Ende des in der Coronakrise eingeführten Sex-Verbots in NRW müsse respektiert werden, so Scharrenbach.
Besondere Aufmerksamkeit richtete Scharrenbach am Montag auf das Thema Menschenhandel und Zwangsprostitution.
„Moderne Sklaverei im 21. Jahrhundert“
Sklaverei dürfte aus der Sicht vieler Bürger ein Phänomen aus anderen Zeiten oder fernen Ländern sein. Aber der Menschenhandel blüht auch hier, mitten in Nordrhein-Westfalen, Tag für Tag. NRW-Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) spricht von „moderner Sklaverei im 21. Jahrhundert“, unter der hierzulande mutmaßlich mehrere Tausend Frauen und Männer leiden, darunter auch Minderjährige. Mit der neuen Kampagne „Exit.NRW“ rückt die Landesregierung den Menschenhandel und seine schlimmen Folgen in die öffentliche Wahrnehmung.
„Loverboy führt eine 17- und eine 19-Jährige der Prostitution zu“. Fälle und Schlagzeilen wie diese lassen von Zeit zu Zeit erahnen, was sich im Schattenreich des Menschenhandels ereignet. Die „Loverboy-Methode“, also das Vorspielen einer Liebesbeziehung mit dem Zweck, ein Opfer in die Prostitution zu drängen, gehört zu den typischen Maschen der modernen Menschenhändler. Das organisierte Verbrechen, manchmal sogar die eigene Familie sind in diese Taten verstrickt. Die Methoden: Vergewaltigung, Freiheitsentzug, Passabnahme, Schläge, Drohungen.
Expertin Andrea Hitzke: „Manche Opfer sind schwerst-traumatisiert“
Was Menschenhandel und Zwangsprostitution anrichten, davon kann Andrea Hitzke, die Leiterin der Beratungsstelle „Mitternachtsmission“ in Dortmund, berichten. „Viele dieser Frauen oder auch Männer stehen unter einem enormen psychischen Druck, manche sind schwerst-traumatisiert“, sagt sie. Oft seien die Opfer auch körperlich krank, ungewollte Schwangerschaften häufig.
Wie viele Zwangsprostituierte gibt es in NRW? Der Antwort auf diese Frage kann man sich nur mühsam annähern. Ministerin Scharrenbach nennt zunächst Zahlen der Vereinten Nationen, denen zufolge jährlich etwa 1,6 Millionen Mädchen und Frauen in die Fänge von Menschenhändlern geraten. Eines der Hauptziele: Deutschland. Das „Lagebild Menschenhandel und Ausbeutung“ des Landeskriminalamtes (LKA) zählt für das Jahr 2018 insgesamt 131 Opfer und 154 Tatverdächtige, darunter 40 Frauen, die sich als „Anwerberinnen“ und „Ausbeuterinnen“ betätigen. Aber das sind nur die Fälle, die der Polizei bekannt wurden. Die meisten Opfer trauen sich aber nicht, ihre Peiniger anzuzeigen, sagt Andrea Hitzke. Die acht Fachberatungsstellen, die in NRW Opfern von Menschenhändlern mit Rat und Tat zur Seite stehen, berieten zwischen 2017 und heute etwa 3450 Frauen.
Die jüngsten Opfer sind erst 14 Jahre
Zwischen 14 und 40 Jahre alt ist das Gros der Hilfesuchenden. Viele von ihnen kommen aus Nigeria, Gambia und anderen westafrikanischen Staaten, andere aus Südosteuropa, insbesondere aus Albanien, Rumänien und Bulgarien. Jedes fünfte Opfer von Menschenhändlern in NRW hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Jede zweite Zwangsprostituierte gehört der Altersgruppe 18 bis 25 Jahre an.
Beratungsstellen wie die Dortmunder Mitternachtsmission, Solwodi (Duisburg), Nachtfalter (Essen), die Diakonie Mark-Ruhr (Hagen) sowie das Eine-Welt-Zentrum Herne können Frauen und Männer, die sexuell ausgebeutet werden, sehr gut helfen, versichert Andrea Hitzke. Zur Unterstützung gehöre die „gesicherte Unterbringung“ in speziellen Wohnungen, die es den Opfern ermöglichen, den Kontakt zu den Ausbeutern abzubrechen. Den meisten, die die Beratungsstellen aufsuchen, gelinge tatsächlich die Flucht aus der Ausbeutung. Im internationalen Maßstab sind die Erfolgsaussichten allerdings gering. Nur jedes 100. Opfer werde aus den Zwängen des Menschenhandels befreit, so die Vereinten Nationen.
Plakat: „16 Mal täglich zum Sex mit Freiern gezwungen“
Am Montag, einen Tag nach dem „Europäischen Tag gegen Menschenhandel“ startete NRW eine Plakat- und Infokampagne zu dem bisher eher vernachlässigten Thema. Diese Art der Ausbeutung und modernen Sklaverei müsse „aus der Tabu-Ecke unserer Gesellschaft“ geholt werden, betonte Scharrenbach. Die Menschen dürften nicht wegsehen. Das Motto: Besser ein Hinweis zu viel, als einer zu wenig.
Etwa 2000 Großflächenplakate in zehn Großstädten und weitere Informationsangebote machen auf Unterstützungsangebote und Auswege aufmerksam. Ein „Hilfetelefon“ ist unter der Nummer 08000 116 016 rund um die Uhr für Opfer von Gewalt, Menschenhandel und Zwangsprostitution erreichbar. Anonyme, kostenlose Beratung stehe auch dauerhaft online unter www.Exit.NRW zur Verfügung, nicht nur in Deutsch, sondern auch in Englisch, Französisch, Bulgarisch und Rumänisch, erklärte die Ministerin.
Eines der drei Plakat-Motive zeigt eine junge Frau in Abwehrhaltung und den Text „16 Mal täglich zum Sex mit Freiern gezwungen“. Angst, Scham und Verzweiflung prägen auch die beiden anderen Motive. Die Plakat-Kampagne endet am 28. Dezember.