Dortmund. Manfred Bayer, neuer Rektor der TU Dortmund, will Erstsemester besser auf Studium vorbereiten. Zudem sollen 300 Dauerstellen eingerichtet werden.
In Jeans und Hemd eilt Manfred Bayer auf seine Besucher zu und begrüßt sie lässig mit einem Corona-Ellenbogencheck. Mit dem neuen Rektor der TU-Dortmund zieht ein anderer Stil in die Universität ein, akademischer Dünkel liegt ihm offensichtlich fern. Er sei nicht so der seriöse Typ, scherzt er. Der Physiker löst Ursula Gather ab, die zwölf Jahre die TU leitete. Der gebürtige Franke ist „Dortmunder aus Überzeugung“, besitzt zwei Dauerkarten für den BVB und vermisst im Ruhrgebiet nur seine geliebte fränkische Bratwurst. Gleichwohl weiß der 54-Jährige genau, auf welchen Kurs er die Uni führen will.
Prof. Bayer, Sie haben das Büro von Frau Gather ja ganz unverändert übernommen?
Manfred Bayer: Ja, warum nicht. Die Möbel sind ja noch nicht durchgesessen. Warum soll ich alles neu machen, nur weil ich jetzt Rektor bin?
Der Campus ist beinahe menschenleer. Wie verändert die Coronakrise die Uni?
Wir arbeiten mit aller Kraft daran, die Studierenden wieder auf den Campus zu bringen. Aber natürlich beachten wir wie alle Hochschulen die Corona-Maßnahmen. Wenn es einen Infektionsfall geben würde, könnte das an der Uni große Kreise ziehen, davor haben wir natürlich Angst.
Wie wird das Wintersemester ablaufen?
Große Vorlesungen mit 800 Leuten wird es nicht geben können. Solche Veranstaltungen müssen komplett digital ablaufen. Wir werden ein Hybrid-Semester erleben, also eine Mischung aus Online- und Präsenzveranstaltungen. Seminare und Übungen mit 30 bis 50 Leuten werden aber in Präsenzform stattfinden. Ich hoffe, dass wir irgendwann wieder alle Studenten auf dem Campus sehen werden.
Die Erstsemester stehen vor einem schwierigen Studienstart. Wie unterstützen Sie die Studienanfänger?
Bei den Präsenzveranstaltungen haben sie Vorrang. Die Erstsemester sollen sich und die Uni kennenlernen. Dazu bieten die Fachschaften auch Orientierungswochen an. Auf dem Campus bauen wir fünf große Zelte auf, wo es WLAN gibt und die Studierenden zwischen den Präsenzveranstaltungen mit ihrem Laptop auch Online-Vorlesungen verfolgen können. Es wird insgesamt wieder mehr Leben auf dem Campus geben. Aber wenn in einem Hörsaalgebäude früher 2000 Studierende Veranstaltungen besuchen konnten, sind es heute maximal 350.
Fehlt Ihnen der Studienbetrieb?
Ja, absolut. Ich habe die Studenten noch nie so vermisst wie im letzten Sommersemester. Man sitzt vor seinem Computer und bekommt kein Feedback. Wenn ich im Hörsaal stehe, sehe ich an den Gesichtern, ob die Studenten mich verstanden haben oder ob ich komplett unverständlich spreche. Das kriegen Sie am Bildschirm gar nicht mit. Zudem ist es viel anstrengender als im Hörsaal.
Viele Studienbeginner haben auch ohne die Coronakrise Probleme in den ersten Semestern. Muss die Uni sie besser vorbereiten?
Wir verlieren immer noch zu viele Studierende. Wenn die jungen Leute an die Uni kommen, verfügen sie über ganz unterschiedliche Vorkenntnisse. Die Vorkurse sind ein bewährtes Angebot, aber das reicht oft nicht, um Defizite aufzuarbeiten. Ich plädiere daher für ein sogenanntes nulltes Semester. Dafür könnte man die Zeitspanne zwischen Schulabschluss und Semesterbeginn nutzen.
Also eine Art Studium vor dem Studium?
Ja, das könnte den Start enorm erleichtern. Aber es geht ja nicht nur um den Lernstoff, sondern auch um das Kennenlernen der Uni, der Stadt, der Kultureinrichtungen. Die Studenten sollen sich hier heimisch fühlen. Ich weiß, dass auch andere Unis im Ruhrgebiet darüber nachdenken. Aber ich finde auch, dass sich die jungen Leute mehr zutrauen und Schwierigkeiten durchstehen sollten. Wer es einmal auf den Berg geschafft hat, weiß, dass er auch andere Schwierigkeiten im Leben meistert.
Wird nach der Coronakrise der Unibetrieb wieder so sein wie früher?
Nein, ich denke, wir werden nie mehr zu der Uni zurückkehren, wie sie vor Corona war. In Zukunft werden wir sicher 20 bis 30 Prozent digitale Formate haben. Es ist ja auch sinnvoll, Einführungskurse, die an vielen Hochschulen ähnlich ablaufen, professionell aufzuzeichnen und allen zur Verfügung zu stellen. Wir haben an der TU ja auch ein paar Rampensäue, die das gut rüberbringen.
Auch interessant
Welches Ziel haben Sie Ihrem Rektorat gesetzt?
Wir wollen vor allem die Studienbedingungen verbessern und das Lehrpersonal erhöhen. Bei der Betreuungsrelation zwischen Professoren und Studierenden ist Dortmund ja ziemlich am Ende der Liste. Ich bin mit der Ansage angetreten, mehr Stellen zu schaffen. Wir wollen daher etwa ein Viertel der Stellen wissenschaftlicher Mitarbeiter als Dauerstellen einrichten. Das wären rund 300 Stellen. Es geht dabei um Mitarbeiter, die gute Lehre leisten und in der Forschung international sichtbar sind. Solche Leute sind enorm wertvoll für die Entwicklung von Fakultäten. Dafür braucht man Planungssicherheit, die wir mit dem Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ nun haben.
Sollten die vielen Hochschulen im Ruhrgebiet nicht enger zusammenarbeiten?
Die TU Dortmund gehört seit 2007 mit Bochum und Duisburg-Essen zur Universitäts-Allianz Ruhr. Ich finde, wir können stolz darauf sein, was wir erreicht haben. Ich weiß nicht, ob in München oder Berlin die Studierenden an einer anderen Uni Seminare besuchen und Leistungsnachweise bekommen können, wie es hier möglich ist. Auch in der Forschung arbeiten wir enger zusammen. Wir sind ein Verbund mit rund 1300 Hochschullehrern und 120.000 Studierenden - als Hochschulregion gehören wir zu den Top-Fünf in Deutschland. Die Möglichkeiten sind riesig, wir müssen das Potenzial aber noch besser ausschöpfen.
Auch interessant
Sollten sich die drei großen Unis nicht zusammenschließen, um schlagkräftiger zu sein?
Dann wären wir mit einem Schlag die größte Uni in Deutschland. Aber dieses Riesengebilde müsste man auch steuern können. Nein, denselben Effekt erreichen wir, wenn wir in der Uni-Allianz enger zusammenarbeiten.
Haben es Wissenschaftler im Ruhrgebiet schwerer als andere an altehrwürdigen Unis?
Wenn ein Forscher aus dem Ruhrgebiet einem renommierten Fachjournal eine gute Forschungsarbeit zur Veröffentlichung anbietet und zugleich jemand aus Harvard oder Stanford – welches Paper wird dann wohl angenommen? Die Editoren fragen: Ich kenne Harvard, aber wo ist Dortmund? Ich sage immer, wir müssen besser sein als die anderen, um wahrgenommen zu werden. Das ist leider so. Wir sollten daher mehr gute internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Region locken, denn sie könnten nach ihrer Rückkehr als exzellente Botschafter für unsere Universität und die Region dienen.
Auch interessant
Fühlen Sie sich als Franke im Ruhrgebiet heimisch?
Bevor ich hierher kam, dachte auch ich, alles wäre grau hier. Aber ich habe mich sofort heimisch gefühlt. Ich bin Dortmunder aus Überzeugung. Ich weiß, dass unser Image nicht das beste ist. Manchmal fehlt uns das Selbstbewusstsein, auf die Erfolge hinzuweisen und stolz darauf zu sein. Aber ich finde, das Leben ist hier viel entspannter als in Frankfurt, München oder Berlin.
>>>> Zur Person:
Im Alter von 36 Jahren kam Manfred Bayer im Jahr 2002 an die TU Dortmund und übernahm die Professur für „Experimentelle Physik mit dem Schwerpunkt Spektroskopie von kondensierter Materie“. Bayer gilt als herausragender Wissenschaftler und publizierte regelmäßig in hochrangigen Fachjournalen.
Der Physiker erhielt mehrere Auszeichnungen, ist international gut vernetzt und pflegt insbesondere die Zusammenarbeit mit St. Petersburg als Sprecher des ersten deutsch-russischen Sonderforschungsbereichs der Deutschen Forschungsgemeinschaft.