Essen. Ursula Gather hört als Rektorin an der TU Dortmund auf. Bei der Krupp-Stiftung trägt sie weiter Verantwortung, auch für den Thyssenkrupp-Konzern.
Die Dienstlimousine mit dem legendären, schon vom Krupp-Patriarchen Berthold Beitz genutzten Kennzeichen E-RZ 1 bleibt diesmal stehen. Zum Gespräch über ihren Abschied als Rektorin der Technischen Universität Dortmund reist Ursula Gather mit einem Volkswagen an. Geduldig lässt sie sich fotografieren und nimmt sich Zeit, über ihre zwölf Jahre an Spitze der Hochschule zu sprechen – und über das, was nun kommt. „Ich gehe mit viel Dankbarkeit – und natürlich einer gewissen Erwartung, mich verstärkt anderen Dingen zuwenden zu können“, sagt sie. Ihre schwere Amtskette aus Stahl wird Gather am 1. September im Audimax an Manfred Bayer übergeben. Wegen der Corona-Pandemie soll die Feier kleiner ausfallen als üblich.
Mit dem Abschied aus dem Rektorat endet Gathers Hauptamt, doch viele Tätigkeiten bleiben, allen voran ihr Vorsitz im Kuratorium der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Die traditionsreiche Stiftung, die auf dem Gelände der Essener Villa Hügel residiert, ist die größte Aktionärin des schwer angeschlagenen Industriekonzerns Thyssenkrupp. Im Aufsichtsrat trägt Gather Verantwortung für die Firma, die unlängst aus dem Dax abgestiegen ist. Hinzu kommen eine Reihe weiterer Aufsichtsrats-, Präsidiums-, Senats- oder Beiratstätigkeiten, etwa beim Rückversicherer Munich RE, der NRW.Bank oder in den Akademien Leopoldina und Acatech. „So viel Gestaltungshoheit zu haben, ist sicherlich ein Privileg“, sagt Gather. „Meine Aufgaben machen mir auch Spaß.“
Schon immer habe sie „mit einem straffen Zeitmanagement“ gelebt, erzählt die scheidende Rektorin. Zur Frage, ob sie jetzt ihre volle Kraft für Thyssenkrupp einsetzen wolle, sagt sie: „Da wird sich gar nicht so viel ändern. Ich habe auch während meiner Arbeit als Rektorin meine Verantwortung wahrgenommen, und ich werde es auch weiterhin tun.“
„Wo sonst soll es eine Streitkultur, eine Debattenkultur geben?“
Zwölf Jahre leitete Gather die TU Dortmund, an der sie schon seit 1986 geforscht und gelehrt hatte. Trotz zahlreicher Rufe renommierter Universitäten blieb sie dem Ruhrgebiet treu. Dabei konnte die heute 67-jährige Mathematikerin verfolgen, wie die Zahl der Studierenden in ihrer Amtszeit beharrlich stieg – um knapp 60 Prozent auf nunmehr rund 35.000. Zehn neue Studiengänge entstanden. Es gab 228 Neuberufungen seit dem Jahr 2008. Gather hat demnach drei von fünf Professorinnen und Professoren berufen, die derzeit in Dortmund tätig sind.
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Sie verankerte die Wissenschaft, die in Dortmund zuvor eher am Rande der Wahrnehmung lag, fest im Bewusstsein der Stadtgesellschaft. „Mir war und ist wichtig, dass Dortmund als Wissenschaftsstadt wahrgenommen wird“, sagt sie. Unumstritten blieb sie während ihrer Rektoratszeit dennoch nicht. Das zeigte sich auch bei ihrer Wiederwahl im Jahr 2016. Der eigene Senat verwehrte ihr zunächst die Unterstützung. Nach langen Sitzungen bis in die Nacht erhielt sie schließlich eine Mehrheit. Auch das Ergebnis einer bundesweiten Umfrage des Deutschen Hochschulverbands zum „Rektor des Jahres“, bei dem Wissenschaftler den Führungsstil der Hochschulleitung beurteilen, fiel 2013 für Gather wenig schmeichelhaft aus. Mit einer Solidaritätsadresse der Professorenschaft sollte ihr angeschlagener Ruf anschließend wiederhergestellt werden. Ihren Führungsstil beschreibt Gather mit den Worten: „Wenn nicht an einer Universität, wo sonst soll es eine Streitkultur, eine Debattenkultur geben?“
„Ich komme aus kleinen Verhältnissen“
Einen Zugang zu ihr zu finden, sei nicht leicht, sagen Menschen, die sie lange begleitet haben. Es falle ihr schwer, anderen zu vertrauen. Mit ihrer Eigenart, alle Vorgänge penibel kontrollieren und steuern zu wollen, habe sie viele Entscheidungen an sich gezogen.
Früh musste Ursula Gather lernen, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. „Ich komme aus kleinen Verhältnissen, mein Vater starb, als ich 16 Jahre alt war. Meine Mutter überließ mir Behörden- und Bankangelegenheiten. Mit Verantwortung bin ich groß geworden, das fühlt sich für mich normal an“, erzählt sie. „Als es um mein Studium ging, hat mich meine Mutter gefragt: Muss das sein?“ Sie habe geantwortet, ja, das müsse sein. „Und damit war es auch gut.“ Dass sie Mathematik studieren wollte, stand für sie früh fest. Mit 23 Jahren machte Gather ihr Diplom, mit 26 hatte sie ihren Doktortitel und ging für Forschungen in die USA.
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Mit dem Ausbruch der Corona-Krise war Gather an der Universität als Krisenmanagerin gefragt. „Mit 35.000 Studierenden sind wir eine Kleinstadt“, gibt sie zu bedenken. Akribisch kann sie beschreiben, welche Anstrengungen die Hochschule unternimmt, um Infektionen zu vermeiden.
Krupp-Förderpreis fällt in diesem Jahr aus
Das Rektorenamt in Dortmund sei natürlich ihr Hauptamt gewesen, der Kuratoriumsvorsitz bei der Krupp-Stiftung in Essen „eine genehmigte Nebentätigkeit“, betont sie. Früheren Angaben der Stiftung zufolge läuft ihr Mandat als Kuratoriumschefin bis Mitte 2022.
Auch die Krupp-Stiftung, die finanziell vom Unternehmen abhängig ist, bekommt die Konzernkrise zu spüren. „Als Stiftung kommt uns angesichts der Jahre ohne Dividende zugute, dass wir immer sehr konservativ finanziell geplant haben“, sagt Gather. Erstmals seit Jahren fällt der traditionsreiche und mit einer Million Euro dotierte Krupp-Förderpreis in diesem Jahr aus – aufgrund der Corona-Situation, wie Gather betont. „Wir haben nicht vor, den Preis abzuschaffen“, sagt sie. „Im nächsten Jahr geht es wieder weiter.“
Berthold Beitz, ihr Vorgänger bei der Stiftung, habe ihr einst mit auf den Weg gegeben: „Bleiben Sie immer unabhängig. Seien Sie nur sich selbst verpflichtet. Lassen Sie sich nie unter Druck setzen. Setzen Sie sich selbst die Ziele!“ Dies sei ein gutes Motiv, sagt Gather. „Ich fühle mich auch nicht abhängig. Von wem auch?“