Essen. . Vor zehn Jahren schlossen sich die drei Universitäten im Ruhrgebiet zu einer Allianz zusammen. „Gemeinsam besser“ lautet seither das Motto.
Lange Zeit beherrschte der Konkurrenzgedanke das nahe Nebeneinander der großen Universitäten im Ruhrgebiet. Man neidete sich Erfolge, Gelder, Forscher und Studenten. Die Rivalität beherrschte das Verhältnis, fast wie bei den Fußballvereinen oder den Kommunen. Das hat sich grundlegend geändert, seit die Unis Duisburg-Essen, Bochum und Dortmund vor genau zehn Jahren beschlossen, eine Universitäts-Allianz zu bilden, die UA-Ruhr. Das Jubiläum wird am 13. Juli in der Bochumer Jahrhunderthalle groß gefeiert. Was hat sich durch die Allianz verbessert, welche Ziele haben die Unis, vor welchen Herausforderungen stehen sie? Darüber sprachen wir mit den Rektoren Ursula Gather (TU Dortmund), Ulrich Radtke (Duisburg-Essen) und Axel Schölmerich (Ruhr-Uni Bochum).
Frage: Sie haben es jetzt mit einer neuen Wissenschaftsministerin zu tun, Frau Isabel Pfeiffer-Poensgen. Ist Ihnen die Dame bekannt?
Radtke: In Ihrer bisherigen Funktion als Chefin der Kulturstiftung der Länder ist sie eine bekannte Persönlichkeit. Bisher hatten wir mit ihr aber noch keine Berührungspunkte. Im Koalitionsvertrage der schwarz-gelben Landesregierung ist die Bildung prominent vertreten, das ist ein positives Signal. Auch der Ressortzuschnitt Wirtschaft und Innovation ist ein interessanter Ansatz. Wir werden sehen, wie die Ankündigungen in konkrete Politik umgesetzt werden.
Gather: Für diese Region sind Wissenschaft und Hochschulen unglaublich wichtiger Treiber für den Aufschwung. Es ist gut, dass die Politik hierauf einen Schwerpunkt legen will.
Frage: Was hat sich seit Gründung der Universitäts-Allianz vor zehn Jahren verändert?
Radtke: Der Schritt war richtig. Dadurch hat sich auch die Sichtweise auf die Region verändert, sowohl von außen als auch von innen. Wir werden als Partner stärker wahrgenommen, von Kommunen und der Wirtschaft. So sind wir etwa bei Innovation City vertreten und Mitglied im Initiativkreis Ruhr. Für die Konzerne in der Region sind wir ein gleichwertiger Partner geworden. Vor zehn Jahren wäre keiner auf die Idee gekommen, uns anzusprechen.
Schölmerich: Wir sehen die Allianz auch als Modell für die im historischen Rückblick geringe Zusammenarbeit der Städte im Ruhrgebiet. Das heißt nicht, dass der Wettbewerb entfällt. Auch die Unis stehen weiterhin im Wettbewerb um Studierende und Forscher. Dennoch erkennen wir gemeinsae Interessen. Gemeinsam ist vieles möglich, was zuvor nicht ging.
Gather: Die Universitäts-Allianz ist ein bundesweites Vorbild. Eine vergleichbare Hochschul-Kooperation gibt es weder in Berlin, noch in München oder im Rhein-Main-Gebiet. Gemeinsam haben wir sechs große Forschungsverbünde, sogenannte Sonderforschungsbereiche einwerben können.
Radtke: Für jeden dieser SFB fließen über die gesamte Laufzeit von zwölf Jahren rund 25 bis 30 Millionen Euro Forschungsmittel an die Unis. Dadurch können Dutzende wissenschaftliche Mitarbeiter eingestellt werden. Das ist wirkliche Substanz, die nachaltige Effekte bewirkt. Jede Uni für sich alleine könnte solche großen Projekte nicht stemmen. Auch Mercur, ein Förderprojekt der Stiftung Mercator, ist für uns sehr bedeutsam. Für gemeinsame Projekte unserer drei Unis werden in zehn Jahren 44 Millionen Euro bereit gestellt. Dadurch konnten bereits viele gemeinsame Vorhaben angeschoben werden.
Frage: Wie möchten sie die Kooperation weiter ausbauen?
Schölmerich: Wir haben in Bochum sehr viel in die Nachwuchsforchung investiert, das wollen wir über die drei Unis ausrollen. Gemeinsam haben wird über 10 000 Doktoranden. Bei vielen Studenten wurde die UA-Ruhr oft als Sparmodell missverstanden. Aber wir wollen keine Studiengänge schließen oder die Studenten auf die Autobahn schicken, um zwischen den Unis zu pendeln. Bei uns reisen eher die Dozenten. Zwar hat jeder Standort hochspezialisierte Masterprogramme, etwa in den Materialwissenschaften, die man nur gemeinsam anbieten kann. Aber das ist die Ausnahme. Die grundständigen Bachelorstudiengänge soll man weiter an einem Standort studieren können. Es gibt noch viele Möglichkeiten. Wir können uns noch besser ergänzen und gemeinsame Angebote entwickeln.
Frage: Ist das Ruhrgebiet ein Standortnachteil für die Hochschulen?
Gather: Nein, eher ein Standortvorteil! Das Ruhrgebiet hat eine hohe Attraktivität. Das ist mit anderen Hochschulstädten nicht vergleichbar. 60 Prozent der Absolventen bleiben in der Region. Wir können Studenten, Forschern und ihren Familien eine Menge bieten. Denken Sie nur an das dichte Kulturangebot. Der einzige Standortnachteil ist das Image, das das Ruhrgebiet immer noch hat.
Radtke: Ja, man muss die Leute erst einmal gewinnen und die Vorurteile überwinden Das ist ein hartes Stück Arbeit. Wir haben eben im Vergleich mit Heidelberg oder München sehr junge Unis. Unser Hauptproblem ist vielleicht: Wir sind zu nüchtern. Wir reden nicht groß über die Erfolge der UA Ruhr. Wir könnten mehr für uns werben.
Frage: Womit kann das Revier als Wisenschaftsregion punkten?
Radtke: Hier gibt es ein sehr enges Umfeld von Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Diese Region kann vielen Absolventen attraktive Arbeitsplätze bieten. Durch unsere enge Vernetzung mit der Wirtschaft schaffen wir das besser, als andere das können. Das ist ein echtes Plus.
Gather: Wer in der Logistik etwas werden will, kommt nach Duisburg oder Dortmund, alle drei Unis sind stark im Maschinenbau.
Radtke: Und unsere Erziehungswissenschaften sind bundesweit spitze.
Frage: Nirgendwo in Deutschland muss ein Professor so viele Studenten betreuen wie in NRW. Was fordern Sie?
Radtke: Ja, das ist ein Grundproblem. Wir vertrauen auf die Aussagen im Koalitionsvertrag. Das Problem ist der Politik bekannt. Wir erwarten, dass man die Ressourcen sinnvoll einsetzt.
Schölmerich: Man muss auch bedenken: Wir sind eine Metropolregion, die eben auch viele Studenten anzieht. Seit 2008 hat sich die Zahl der Studiernden um 60 Prozent erhöht. Dafür müssen auch Gebäude und Stellen geschaffen werden.
Radtke: Wir haben bei der Aufnahme so vieler Studenten eine gesellschaftliche Verantwortung wahrgenommen. Man muss aber auch ehrlich sagen: Eigentlich war das „einer über den Durst“. Wenn wir die Betreuungsquote von vor 20 Jahren erreichen wollten, müssten wir doppelt so viele Professoren haben wie heute. Das ist unrealistisch. Aber es zeigt, wie hoch die Belastung ist, die die Unis bewältigen müssen.
Schölmerich: Bei allen Klagen über zu wenige Professorenstellen und ein schlechtes Betreuungsverhältnis verlassen hervorragend ausgebildete junge Menschen die Unis, unsere Doktoranden sind überall gefragt. Die Situation macht mich daher nicht besonders nervös.
Gather: Nicht nur Personal fehlt, es gibt auch einen enormen Sanierungsstau bei Hochschulgebäuden und Infrastruktur. Dabei geht es nicht nur ums Geld. Es fehlt an Planungskapazitäten. Der für den Hochschulbau in NRW zuständige Landesbetrieb BLB kommt mit dem Bauen nicht nach. In Dortmund hat sich beispielsweise die Fertigstellung des Ersatzbaus für Physik und Chemie um drei Jahre verzögert. Jedes Jahr bauen wir im Sommer ein großes Hörsaalzelt auf.
Frage: Wie kann man da Abhilfe schaffen?
Gather: Die wenigen Gebäude, die wir selbst gebaut haben, sind alle pünktlich fertig geworden.
Frage: Streben heute zu viele Abiturienten an die Unis?
Radtke: Nein, wir freuen uns über jeden, der sich für ein Studium entscheidet. Jeder, der qualifiziert ist, muss eine Chance haben, eine akademische Ausbildung aufzunehmen. Wir würden aber nie bewerten, was mehr wert ist, ein Studium oder eine Berufsausbildung. Das muss jeder für sich entscheiden. Aber wir haben die Verpflichtung, jedem, der studieren will, einen Platz und eine hochwertiges Lehrangebot zu bieten.
Gather: Eine bessere Beratung der jungen Menschen in der Schule oder beim Studienstart wäre aber nötig. Das würde die Abbrecher-Quote senken, die Zahl der Fachwechsler reduzieren und den Studienerfolg erhöhen.
Schölmerich: Ein nulltes Semester oder ein Orientierungsjahr für Studienanfänger wäre eine gute Idee. Das käme der gewandelten Studienrealität an unseren Unis entgegen. Die zwei zusätzlichen Semester müssten aber vom Land finanziert werden.
(Schölmerich: Wir wollen viele begabte Leute für ein Studium interessieren, deshalb schicken wir ja auch Talentscouts an die Schulen, um Leute zu finden, die zu uns passen und sich ein Studium zutrauen, auch wenn sie nicht den familiären Hintergrund haben. Das benötigt aber eine intensive Betreuung.)
Frage: Die UA Ruhr verfügt über Verbindunsgbüros in New York, Moskau und in Brasilien. Wir wichtig ist der internationale Austausch für die Revier-Unis?
Schölmerich: Die Verbindung zu Wissenschaftlern in anderen Ländern ist enorm wichtig und läuft sehr gut. Auch mit Russland, wo es zum Teil hervorragend ausgestattete naturwissenschaftliche Labore gibt. Aber oft ist es auch nicht leicht, Kontakte zu bestimmten Ländern zu halten.
Gather: Ein Dialog mit dem Ausland ist auch friedensbewahrend. Länder, die den wissenschaftlichen Austausch pflegen, bleiben in lebendigem Kontakt.
Radtke: Die Zahl der amerikanischen Studenten in Deutschland steigt, hier kann man frei arbeiten. Gerade jetzt, in Zeiten von Fakenews und Populismus sind wir Wissenschaftler aufgefordert, über die Freiheit der Wissenschaft zu reden und ihre Bedeutung zu unterstreichen. Die USA haben gezeigt, dass es ein Problem ist, wenn eine große Gruppe in der Gesellschaft Fakten schlicht ablehnt. Das darf hier nicht passieren.
Frage: Die neue Landesregierung plant, von Studenten aus Nicht-EU-Ländern 1500 Euro Studiengebühren zu verlangen. Ist das ein Rückschlag in Ihren Bemühungen um Internationalisierung?
Radtke: Man muss abwarten, wie das geregelt wird. Klar ist: Die Betreuung von ausländischen Studierenden kostet zusätzliches Geld. Aber jede Einschränkung aus sozialen Gründen ist abzulehnen, wenn etwa Studenten aus ärmeren Ländern und Familien der Zugang erschwert wird. In Baden-Württemberg sind die Gebühren für Ausländer jedenfalls ein Sparmodell, das Geld darf nicht in den Landeshaushalt fließen.
Schölmerich: Es wäre von der neuen Landesregierung klug, sich die Auswirkungen der Gebühren in Baden-Württemberg anzusehen. Wobei zu bedenken ist, dass nicht alle Studenten aus verarmten Ländern kommen.
Gather: Es kommt darauf an, solche Beiträge sozial zu gestalten, etwa über Stipendienmodelle. Studienbeiträge, die die richtige Gruppe betreffen, sind nicht grundsätzlich falsch. Man kann auch über Modelle nachgelagterer Studiengebühren nachdenken.
Frage: Wo steht die UA Ruhr in zehn Jahren?
Schölmerich: Wir gehen zuversichtlich in die Zukunft. Die Allianz wird sich weiter entwickeln. Jeder wird seine Stärken ausbauen und zugleich wird die Zusammenarbeit enger werden. Eine Fusion wollen wir nicht. Ich hoffe, dass wir unsere Leistungen in der Spitzenforschung noch deutlich steigern können. Davon wird auch die Region enorm profitieren.
Gather: Wenn eine Fee käme, würde ich mir mehr Erfolge beim bundesweiten Exzellenz-Wettbewerb wünschen. Schön wären auch zehn statt bisher 6 gemeinsame Sonerforschungsbereiche.
Radtke: Alles richtig. Aber die Knallernachricht ist doch, dass wir es schon zehn Jahre geschafft haben. Das ist die längste Uni-Kooperation, die die Republik je gesehen hat.