Bochum. Fast 30 Jahre lang leitete Prof. Thomas Stützel den Botanischen Garten der Ruhr-Uni Bochum. Er gehört zu den bedeutendsten Anlagen Deutschlands.
Wenn ein Zypressengewächs auf den eigenen Namen getauft wird, dann mag das für einen Botaniker ein kleiner Höhepunkt in seinem Forscherleben sein. Stuetzeliastrobus lautet der Name der Pflanzengattung, und Thomas Stützel fühlte sich durchaus geehrt. Denn er hatte intensiv die Entwicklung der Zapfen erforscht. Doch die nach ihm benannte Gattung existiert nur noch als Versteinerung. „Die wächst nicht mehr“, lacht Stützel. „Aber es gibt auch lebende Pflanzen, die nach mir benannt sind“, sagt er. Zum Beispiel Albuca stuetzeliana, eine Zwiebelpflanze aus Südafrika.
Thomas Stützel, Professor für Evolution und Biodiversität der Pflanzen an der Ruhr-Uni Bochum, leitete fast drei Jahrzehnte lang den Botanischen Garten der Ruhr-Uni. Er übergibt sein Amt nun an seinen Nachfolger Prof. Dominik Begerow, ein Spezialist für Pflanzenparasiten. Stützel, der bis heute seinen näselnden schwäbischen Singsang nicht abgelegt hat, hatte zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn nichts im Sinn mit Bochum. In Ulm studierte und habilitierte er und bewarb sich auf jede vakante Botanik-Professur in Deutschland.
Mit 15.000 Pflanzenarten einer der größten Botanischen Gärten
Ein alter Professur habe ihm geraten: „Herr Kollege, wenn ein Ruf kommt, dann nimmt man den an, auch wenn er aus der Besenkammer kommt.“ Also fuhr er nach Bochum. „Für einen Baden-Württemberger ist die Geographie nördlich der Main-Linie nicht so wichtig. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartet“, gibt er zu. Das war 1992. Er ist geblieben -- und will auch seinen Ruhestand hier verbringen. „Das sagt doch alles, oder?“, grinst er.
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Von dem Botanischen Garten der Uni, den er seither leitet, war er sofort begeistert. „Er gehört zu den zehn größten in Deutschland“, sagt er und meint damit nicht die 14 Hektar große Anlage, sondern die Zahl der dort wachsenden Arten. 15.000 Pflanzenarten beherbergt die Anlage, hinzu kommen zahlreiche, zum Teil selten gewordene Tierarten. Und kein anderer Botanischer Garten der Welt besitzt so viele Zypressengewächse.
Seltene Pflanze in Brasilien entdeckt
Stützel baute den Garten aus, gliederte ihn in vier verschiedene Klimazonen der Erde mit ihren unterschiedlichen Vegetationen. „Wir befinden uns jetzt im Wüstenhaus und stehen gerade in den trockenen Gebieten Südamerikas“, erklärt er Besuchern. „Afrika ist auf der anderen Seite“, sagt er und zeigt hinüber. „So lernt man im Botanischen Garten immer auch ein bisschen Geographie.“
Stützel steigt die schmalen Stiegen eines beinahe zugewucherten Gewächshauses hinauf und zeigt auf mehrere Dutzend kleine, schmalblättrige Pflanzen in dunklen Plastiktöpfchen. „Das sind ganz seltene Dinger. Ich habe sie in Brasilien entdeckt“, sagt er nicht ohne bescheidenen Stolz. Es sind junge Exemplare der Art „Paepalanthus thomasianus“, ein Wollstängelgewächs, das nun seinen Vornamen trägt.
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Das Besondere daran erschließt sich dem unbedarften Betrachter überhaupt nicht. Nun, sie bilden kleine Kavernen, um das Regenwasser aufzufangen, zugleich sind die Blätter zart behaart, zeigt Stützel. Normalerweise gibt es in der Natur nur eine der beiden Varianten. „Wir wollen herausfinden, warum diese beides haben.“ Zudem bilden sie auf langen Stängeln ganz zauberhafte kleine weiße Knopfblüten…
Freude an der Arbeit in der Natur
Hager und drahtig ist Stützel all die Jahre geblieben. Und auch seinen schwäbischen Humor hat er nicht verloren. Auf seine prägnanteste Veröffentlichung angesprochen, sagt er grinsend: „Merkblatt M 162 der deutschen Gesellschaft für Wasserwirtschaft.“ Für diese Auftragsforschung hatte er untersucht, wie unterirdische Rohre durch Pflanzenwurzeln geschädigt werden können. Richtig ausgedrückt: „Einwurzelungs-Verhalten von Rohrleitungen“. Alltag eines Botanikers.
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Vielleicht ist es seinen Forschungsobjekten, den langsam wachsenden Pflanzen und Bäumen, geschuldet, dass er gern an Bewährtem festhält. Sein Buch „Botanische Bestimmungsübungen“ ist nach der dritten Auflage wohl ein Standard-Werk. Bis zuletzt krabbelte er mit Studenten durchs Deilbachtal zur Analyse von Pflanzen und Tieren in Fließgewässern. Achtung: Gummistiefel sind mitzubringen. Andere Unis machen das längst nicht mehr.
Der Garten als wissenschaftliches Schaufenster der Uni
Beliebt sind auch seine Kurse „Biologie für Nicht-Biologen“. „Es ist interessant, wenn Sie einem Theaterwissenschaftler die Grundlagen des Gemüseanbaus beibringen wollen. Das fördert die Bodenhaftung.“ Teilnehmer aller Fakultäten kann er bei seinen stets ausgebuchten Kursen begrüßen. Ein Ingenieur mag sich dann mehr für den Aufbau von Schachtelhalmen interessieren – das gleicht ja einem Werkstück aus Karbon! So dient der Botanische Garten als Schaufenster für alle wissenschaftlichen Disziplinen der Uni. Selbst Anglisten schauten herein für die Ausstellung „Die Pflanzenwelt im Werk von William Shakespeare“.
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Stützel beobachtet, wie Mitarbeiter des Botanischen Gartens mit Wasserschläuchen und Gießkannen hantieren. „Wegen der Trockenheit verbringen sie einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit Wässern.“ Natürlich sei das der Klimawandel. „Die Dürren werden immer schlimmer, niemand kann mehr die Augen vor den sterbenden Wäldern verschließen.“
Pilze werden den Klimawandel überstehen
Das bekümmert ihn als Forscher und Mensch. Das Klima der Erde kann kippen und dann könnten Veränderungen sehr rasant einsetzen. „Ob der Mensch dafür gerüstet ist? Pflanzen und Pilze werden jedenfalls durchkommen.“ Optimismus eines Botanikers.
Bevor es soweit ist, hat Thomas Stützel als Pensionär noch etwas vor. Seit Jahren ärgert er sich über einen unlesbaren und 1000 Seiten dicken botanischen Standard-Wälzer. „Ich möchte ein Buch zur Einführung in die Morphologie auf nur 100 Seiten schreiben – auf Englisch und Portugiesisch. Das ist eine spannende Aufgabe.“ Träume eines Botanikers.