Bochum. Die Botanik an der Ruhr-Uni Bochum richtet sich neu aus. Genomforschung ist der neue Trend. Christopher Grefen macht den Anfang mit der Erdnuss.
Das erklärte Ziel von Christopher Grefen ist die Luftnuss. Das mag sich für das gewöhnliche Erdnuss-Publikum lustig anhören, aber als Normalverbraucher kennt man ja nur die geröstete Ware. Eine Erdnuss an der Pflanze haben die wenigsten einmal gesehen – was zum einen daran liegt, dass die Erdnuss im rohen Zustand giftig ist und fast nur verarbeitet eingeführt wird, zum anderen wächst sie eben in der Erde. Oder vielmehr neigen sich ihre Blütenstiele nach der Bestäubung zielsicher dem Boden entgegen und bohren die Fruchtknoten hinein. Wenn man die Erdnuss nun dahin bringen würde, das zu unterlassen und an der Luft zu reifen … das hätte ungeheure wirtschaftliche Folgen. Denn die Ernte würde einfacher und die Ausbeute höher.
Aber es wäre eben auch ein extremer Eingriff in das natürliche Verhalten der Erdnuss, weswegen der neue Bochumer Botanik-Professor sagt: „Das wird mich bis zu meiner Pensionierung beschäftigen.“ Gleich drei genetische Schalter gilt es zu finden und zu verstehen, bevor seine Luftnuss greifbar werden kann: Die Erdnuss kann die Schwerkraft wahrnehmen, das Licht und Berührung. Er betreibt also genetische Grundlagen-Forschung an der Ruhr-Uni. Sie hat den 44-jährigen Molkularbiologen vor einem Jahr aus Tübingen geholt, um hier einen neuen Schwerpunkt zu setzen. Neue Gewächshäuser inklusive.
Die Technik ist erschwinglich geworden
Die Pläne sind noch nicht so gereift, dass man über Geld und Bauzeit sprechen kann, aber klar ist laut Dekan Dominik Begerow, designierter Leiter des Botanischen Gartens: „Das ist zukunftsweisend.“ Eine weitere Professur soll dazu kommen. Das angesammelte Grundlagenwissen dränge nun zur Anwendung, dies sei der große Trend in der Botanik. Denn Technologien der Genanalyse sind günstig geworden und die noch junge CRISPR/Cas-Methode ermöglicht die gezielte Manipulation von Erbgut. „Vor fünf Jahren hätten wir noch gesagt, es ist zu teuer.“
Aber auch die Neuausrichtung erfordert natürlich Investitionen, denn mit genetisch veränderten Pflanzen darf nur in separaten Gewächshäusern gearbeitet werden. Auch wenn eine Erdnuss ihr Erbgut hier ohnehin nicht natürlich verbreiten könne, erklärt Grefen. Schließlich wächst der Fruchtknoten im Boden und die Pflanze selbst verträgt unser Klima nicht.
Die Ruhr-Uni hat ohnehin nicht vor, selbst und im Alleingang eine kommerzielle Luftnuss zu produzieren. „Das Projekt ist so ambitioniert, dass es von der Industrie nicht gefördert würde“, erklärt Grefen. So kommt es, dass sich wahrscheinlich nur zwei Forschungsgruppen weltweit mit dem Thema beschäftigen, während die Wirtschaft sich auf einfachere Themen wie Allergiefreiheit und Resistenzen gegen Krankheiten und Parasiten fokussiert. Grefen glaubt zudem, dass er andere Ideen hat, die „nicht im Feld sind“.
15 Jahre für die Acker-Schmalwand
Das kommt daher, dass er 15 Jahre seines Forscherlebens der Acker-Schmalwand gewidmet hat. Die gilt als Modellpflanze, da sie ein sehr kleines Genom besitzt, sich rasch vermehrt und es auch verschmerzt, wenn der Forscher mal das Gießen vergisst. An ihr erproben die Botaniker ihre Methoden, denn: Man weiß nur, ob eine Theorie stimmt, wenn man sie überprüft hat.
Grefen legt einige Blätter seiner ersten Pflanzen zur Seite. „Die Erdnuss ist unglaublich schnell“, sagt er. Will sagen: in Zeitrafferaufnahmen wedelt sie ordentlich mit den Blättern. Aber selbst ein Mensch nimmt Veränderungen wahr – mit etwas Geduld. Aus Grefens Sicht sind es sehr empfindsame Rezeptoren, die die Pflanze reagieren lassen.
Tatsächlich ist jetzt eine Nuss oberirdisch gereift. Aber wahrscheinlich war sie nur stark beschattet von den Blättern. Denn noch hat Grefen die Pflanzen noch nicht manipuliert, zunächst will er Material züchten und sich mit den Haltungsbedingungen vertraut machen.
Im Botanischen Garten kann man eine Erdnusspflanze anschauen
Anbauen dürfte man eine Luftnuss nach jetzigem Recht übrigens nicht in der EU. (Der Forscher hat naturgemäß eine positivere Haltung zum Thema Gentechnik.) Aber was man an Diesel sparen würde, wenn der Acker bei der Ernte nicht mehr gepflügt werden müsste, hebt Grefen hervor. „Vor allem bei der Handernte in Afrika geht viel verloren, weil Früchte im Boden bleiben. Die Erdnuss macht das natürlich mit Absicht.“ Sie will sich ja vermehren. Aber das gilt natürlich nicht mehr für Kulturpflanzen, die ohnehin von Menschen angebaut werden.
Einen Schaukasten mit Erdnusspflanzen samt Wurzelwerk für Besucher gibt es übrigens auch. Allerdings ist er recht versteckt im langen Gang, der die Forschungsgewächshäuser verbindet. Da der Botanische Garten mit seinen Sumpfzypressen und Mammutbäumen ohnehin einen Ausflug lohnt, könnte man hier dennoch vorbeischauen und staunen, was für eine faszinierende Pflanze man normalerweise so gedankenlos knabbert.
>> Info: Die Erdnuss ist wirtschaftlich bedeutend
Die Erdnuss, ursprünglich in den Anden beheimatet, ist wirtschaftlich sehr bedeutend und steht mit 47 Millionen Tonnen Produktionsmenge (inklusive Schale) an 30. Stelle aller Nutzpflanzen. Unter den Ölfrüchten stellt sie gar die Olive (21 Millionen Tonnen) bei weitem in den Schatten.
Größte Produzenten sind zwar China mit 36 Prozent und Indien mit 20 Prozent. Jedoch exportieren sie weniger als die USA (7 Prozent).
Der Verzehr im rohen Zustand ist nicht zu empfehlen, erklärt der Bochumer Botanik-Professor Christopher Grefen. Denn über Pilze im Boden und während der Lagerung bilden sich oft Aflatoxine, starke Schimmelpilzgifte. Der Röstvorgang eliminiert diese vollständig.