Düsseldorf. Die SPD fährt ihr schlechtestes Kommunalwahlergebnis ein, aber Parteichef Hartmann spricht von einer „Trendwende“. Das bringt ihm Kritik ein.

Am Tag nach der Wahl setzte die NRW-SPD auf das Prinzip Hoffnung: Dass ihr historisch schlechtestes Kommunalwahl-Ergebnis durch Erfolge bei den Stichwahlen in zwei Wochen noch abgemildert werden könnte. Sollte es allerdings anders kommen, dürfte NRW-SPD-Vorsitzender Sebastian Hartmann unter Druck geraten. Seine eigenwillige Einschätzung, der Sonntag habe eine „Trendwende“ eingeleitet, ist auch in der SPD umstritten.

Offene Kritik am SPD-Landeschef ist derzeit kaum zu hören, schließlich stehen am 27. September noch wichtige Entscheidungen über die Ratshauschefs aus, zum Beispiel in Dortmund, Düsseldorf und Hamm. Einige Landtagsabgeordnete sehen aber schon den Tag nach den Stichwahlen herbei. Spätestens dann müsse dieses schlechte Wahlergebnis „schonungslos“ analysiert werden, hieß es am Montag.

Showdown beim Parteitag im November?

Dem 43-jährigen Hartmann aus dem Rhein-Sieg-Kreis droht Ungemach: Am 14. November, beim nächsten Landesparteitag der SPD in Münster, muss er erklären, wie er die Partei aus der Krise führen will. Womöglich muss er auch um seine Position kämpfen.

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Hinter den Kulissen werden nämlich schon Alternativen für den Vorsitz ausgelotet. Der Name Svenja Schulze, derzeit Bundesumweltministerin im Kabinett von Angela Merkel, fällt immer mal wieder. Die 51-Jährige aus Münster macht in Berlin einen soliden Job, war lange Wissenschaftsministerin in NRW und ein paar Monate lang SPD-Generalsekretärin in NRW.

Kutschaty könnte kandidieren: Aber er muss die Niederlage in Essen mit verantworten

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Das populärste Planspiel für eine strategische Neuaufstellung der Landespartei ist aber dieses: Der Partei- und der Landtags-Fraktionsvorsitz sollten künftig in einer Hand liegen. Dazu müsste SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty (52) im November beim Parteitag gegen den selbstbewussten Hartmann antreten. Die Macht- und Führungsfrage schwelt schon lange im größten deutschen SPD-Landesverband.

Kutschaty, der Oppositionsführer im Landtag ist und NRW-Justizminister war, geht allerdings arg gerupft aus der Kommunalwahl hervor: Er ist Vorsitzender der SPD Essen, die einst unangefochten die Geschicke dieser Stadt lenkte, dann aber schwächelte und bei der Ratswahl 2020 nur noch knapp 25 Prozent erreichte. Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) gewann in der einstigen SPD-Hochburg sogar gleich im ersten Wahlgang.

Einigkeit in der Analyse zwischen Parteichef Walter-Borjans und Hartmann

Sebastian Hartmann steht mit seiner Deutung der Kommunalwahl („Umfragen sagten uns einen dritten Platz voraus. Der Trend hat sich gedreht“) übrigens nicht allein. SPD-Bundesvorsitzender Norbert Walter-Borjans behauptete im ARD-“Morgenmagazin“ ebenfalls, seine Partei habe mit der Europawahl 2019 „das Tal durchschritten“. Damals kamen die Sozialdemokraten in NRW auf 19,2 Prozent, bei der Kommunalwahl jetzt landesweit auf 24,3 Prozent. Auf diesen Trend könne die Partei aufbauen, sagte der Kölner Landtagsabgeordnete Jochen Ott am Montag. Und er mahnte zur Geschlossenheit: „Die SPD hat nur eine Chance, wenn jetzt alle auf ein Tor spielen.“

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In all dem Katzenjammer über eine insgesamt vergeigte Kommunalwahl freut sich die SPD auch über den einen oder anderen Überraschungs-Sieger. Marc Herter, zum Beispiel, der 2018 SPD-Fraktionschef im Landtag werden wollte und nach dem Wunsch der damaligen Parteiführung auch werden sollte, aber Thomas Kutschaty knapp unterlag, gelang in Hamm als Oberbürgermeister-Kandidat ein Coup.

Marc Herter und Thomas Eiskirch gewinnen an Profil

Der 46-Jährige verwies den populären und altgedienten Hammer OB Thomas Hunsteger-Petermann (CDU) auf Platz zwei und geht jetzt in die Stichwahl. Herter ist wieder da, nachdem er 2018 beim SPD-Parteitag in Bochum mit 67,6 Prozent das schlechteste Wahlergebnis aller Vize-Parteichefs einfuhr. „Er ist eine Rampensau, ein toller Wahlkämpfer“, sagte ein Fraktionskollege über den Chef des SPD-Bezirkes Westliches Westfalen.

Gestärkt geht auch Thomas Eiskirch (49), der Bochumer Oberbürgermeister, aus der Wahl hervor. (Weitere Infos zum Wahlkampf in Bochum gibt es hier) Er wurde direkt wiedergewählt. Eiskirch war früher Landtagsabgeordneter und genoss einen guten Ruf als wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Als OB-Kandidat in Bochum war er vor fünf Jahren nicht unumstritten, schmiedete aber ein strategisches Bündnis mit den Grünen und gehört nun ebenso zu den Hoffnungsträgern der SPD wie Frank Dudda in Herne und der erst 31-jährige Felix Heinrichs, der in Mönchengladbach im ersten Durchgang der Oberbürgermeisterwahl klar vorne liegt.

Jeder in der NRW-SPD weiß jetzt, wie bitterernst die Lage ist. Herter, Eiskirch und Dudda werden mitbestimmen können, wohin die Reise geht.