Berlin. Ministerin Schulze (SPD) will die Wirtschaft nach der Corona-Krise klimafreundlich wieder aufbauen – und warnt vor falschen Schlüssen.

Vor ein paar Wochen noch das überragende Thema, ist der Klimawandel aus der derzeitigen öffentlichen Debatte nahezu verschwunden. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) schildert am Telefon, worauf es jetzt ankommt.

Was macht Ihnen gerade am meisten Sorgen, Frau Umweltministerin?

Svenja Schulze: Es geht jetzt um die Gesundheit der Menschen. Wir alle machen uns Sorgen, wie wir durch diese Krise kommen – und ob unser Gesundheitssystem auf so viele Corona-Infizierte eingestellt ist. Wer die Bilder aus Italien sieht, begreift die Dramatik.

Wird der Klimaschutz zur Randerscheinung wie nach der Finanzkrise 2008/09?

Die Koalition ist beim Klimaschutz ja eine ganze Ecke weitergekommen im letzten Jahr. Schauen Sie nur, wie viele Gesetze wir im Bundestag auf den Weg gebracht haben und wie viele neue Förderprogramme es gibt. Es stehen 54 Milliarden Euro bereit, die für Klimaschutzmaßnahmen genutzt werden oder noch genutzt werden können. Das ist eine andere Situation als nach der Bankenkrise. Es ist absolut richtig, dass wir jetzt mit ganzer Kraft gegen Covid-19 kämpfen. Die langfristigen Krisen werden wir dabei nicht aus dem Blick verlieren.

Was wird aus dem Jahrhundertprojekt Green Deal und dem Ziel, die Europäische Union bis 2050 klimaneutral umzubauen? Regierungen in Osteuropa fordern schon, den Green Deal zu vertagen und sich nur noch auf die Corona-Krise zu konzentrieren.

Der Klimawandel geht nicht einfach weg. Die heißen Sommer, der Starkregen, das Abschmelzen der Pole – wir müssen weiter an Lösungen arbeiten, gerade auf der europäischen Ebene. Davon wollen wir auch die Staaten in Osteuropa überzeugen. Und auch der internationale Klimaprozess geht weiter, denn auch hier müssen wir über die nächsten wichtigen Schritte diskutieren. Dazu bietet sich im April die nächste Gelegenheit beim Petersberger Klimadialog, den wir im Umweltministerium gerade als digitale Veranstaltung vorbereiten. Nach der Corona-Krise wird man noch klarer sehen, wie wichtig Klimaschutz als Treiber für Innovation und Beschäftigung ist. Jetzt sind Solidarität und Zusammenarbeit gefragt. Abschottung und Nationalismus helfen weder im Kampf gegen Corona noch im Kampf gegen Klimawandel und Naturzerstörung.

Es wird Programme geben zur Wiederbelebung der Konjunktur. Erwarten Sie dabei einen grünen Schwerpunkt?

Jetzt geht es darum, den Unternehmen zu helfen, die akut besonders leiden. Und längerfristig darf man keine falschen Weichen stellen. Als Umweltministerin lege ich Wert darauf, dass Konjunkturprogramme der Nachhaltigkeit dienen. Wir müssen die Wirtschaft so wieder aufbauen, dass sie klimaverträglich und damit auch zukunfts- und wettbewerbsfähig ist.

Der Shutdown wird das Klima erst einmal entlasten: Flugzeuge bleiben am Boden, die Industrie drosselt ihre Produktion. Haben Sie eine Vorstellung, wie groß dieser Effekt sein wird?

Klimaschutz durch Wirtschaftskrise – das ist nicht wirklich ein Konzept. Die Emissionen gehen jetzt zurück, aber das ist nicht nachhaltig. So entstehen keine moderneren Strukturen, keine klimafreundlichen Alternativen. Das ist ein kurzfristiges Phänomen, das uns nicht weiterhilft. Was uns weiterhelfen würde, wäre zum Beispiel ein Schub beim Ausbau der erneuerbaren Energien.

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    Für einige Zeit sinkt die Schadstoffbelastung der Luft. Halten Sie es für notwendig, an Diesel-Fahrverboten und Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen festzuhalten?

    Das entscheiden die lokalen Behörden. Und wie gesagt: Ich warne davor, kurzfristige Effekte mit langfristigen Entwicklungen zu verwechseln. Welche langfristigen Verhaltensmuster die Corona-Krise in der Bevölkerung auslöst, ist offen.

    Im Kampf gegen das Virus geben Virologen den Takt der Politik vor. Wünschen Sie sich, dass Klimaforscher ähnlich ernst genommen werden?

    Klimaforscher werden doch sehr ernst genommen. Und sie haben viel bewegt – bis hin zum Pariser Abkommen und jetzt auf EU-Ebene dem European Green Deal.

    Die Jugendbewegung „Fridays for Future“ sieht das etwas anders.

    Als Umweltministerin setze ich mich immer dafür ein, dass die Bekämpfung des Klimawandels schneller geht. Das ist doch klar. Daran ändert sich auch in der Corona-Krise nichts.

    Der oberste Seuchenforscher Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, hat zuletzt mehr Distanz zu exotischen Tierarten gefordert – und eine Eindämmung des illegalen Tierhandels. Ein guter Ansatz, um die Verbreitung neuartiger Viren zu unterbinden?

    Da hat er völlig recht, auch wenn der illegale Tierhandel nur ein kleiner Teil des Problems ist. Die Menschen sind insgesamt in weiten Teilen der Welt den Tieren zu nahe gekommen, indem sie zum Beispiel in Urwälder vordringen und Ökosysteme zerstören. Eine starke Naturschutzpolitik, die weltweit für den Erhalt von vielfältigen Ökosystemen eintritt, ist daher ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung von Seuchenursachen. Das mag für manche noch überraschend klingen, aber in der Wissenschaft ist der Zusammenhang gut belegt.

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