Düsseldorf. Die NRW-Grünen könnten in den Kommunen die Basis für die Macht im Land legen. Längst zeigen sie Pragmatismus statt erhobenen Zeigefinger.

Immer wieder montags vor dem Café KIT am Düsseldorfer Rheinufer. Die NRW-Grünen haben es sich zur Tradition gemacht, hier ihre Wahlsonntage Revue passieren zu lassen. Es waren schmerzhafte Rückschauen darunter wie 2017, als die Öko-Partei bei der Landtagswahl abgestraft und von den Bürgern regelrecht aus der Regierungsverantwortung gejagt wurde. Und es gab Hoffnungswerte wie das formidable Abschneiden bei der Europawahl im vergangenen Jahr, als die Grünen erstmals in die Nähe des Volkspartei-Status kamen.

An diesem Montag aber wirkten die Landesvorsitzenden Mona Neubaur und Felix Banaszak nahezu überwältigt vom Erfolg bei der NRW- Kommunalwahl. Die Grünen fuhren die mit Abstand höchsten Zugewinne ein und sind mit 20 Prozent im Landesschnitt in Schlagdistanz zur einst allmächtigen NRW-SPD gekommen, die sich inzwischen schon über den abgeschlagenen Rang zwei hinter der CDU freuen muss.

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„Das war keine Eintagsfliege bei der Europawahl“, jubelte Banaszak. Die Grünen erreichten fast überall zweistellige Ergebnisse und sind in den Universitätsstädten Köln, Bonn und Aachen sogar erstmals stärkste politische Kraft. Bei den Oberbürgermeister-Stichwahlen in zwei Wochen könnten sie mit Uwe Schneidewind in Wuppertal, Katja Dörner in Bonn und Sybille Keupen in Aachen auch erstmals Großstadt-Chefs stellen.

Trotz der Corona-Krise haben die Grünen ihre Themen auf der Agenda gehalten

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Obwohl die Grünen in NRW seit 30 Jahren eine etablierte Partei sind, war es ihnen bislang nur in den Kleinstädten Telgte und Windeck gelungen, das Bürgermeister-Amt zu erobern. Gelingt nun der baden-württembergische Weg über die Kommunen zur Macht im Land? Sybille Keupen machte am Montag das ganze Ausmaß der politischen Verschiebungen in NRW deutlich: Allein in Aachen holten die Grünen 19 Direktmandate mit zum Teil sehr jungen Kandidaten. Es wirkt so, als könnte hier CDU und SPD eine ganze Generation verloren gehen.

Trotz der alles in den Schatten stellenden Corona-Pandemie ist es den Grünen offenbar gelungen, ihre Themen auf der Agenda der Bürger zu halten. Dazu zählt zuvorderst der Klimawandel. „Die Unkenrufe, die Zeit der Grünen ist vorbei, weil Fridays for Future nicht mehr auf die Straße geht, sind widerlegt“, sagte Neubaur. Selbst durch und durch bürgerliche Haushalte werden heute eben von ihren Kindern zu einem nachhaltigen Lebensstil veranlasst. Die Partei wandelt sich zudem allmählich zum programmatischen Vollsortimenter. Auch bei Themen wie Verkehrswende und bezahlbarem Wohnen wird den Grünen inzwischen von den Bürgern einiges zugetraut.

Mehr Pragmatismus, weniger Zeigefinger - der neue Grünen-Stil zahlt sich aus

Seit 2017 ist es Neubaur und Banaszak gelungen, die Grünen aus ihrer angestammten Milieu-Nische herauszuholen. Damals war man für eine ideologische Schulpolitik und eine überbordende Umweltbürokratie abgewählt worden. Von der Gängelei ist nicht mehr viel zu spüren. Heute gibt es deutlich mehr Pragmatismus und weniger erhobenen Zeigefinger. In Wuppertal und Köln macht man bei den OB-Kandidaten sogar gemeinsame Sache mit der CDU.

Die NRW-Grünen haben sich stilistisch verändert. Im Landtag etwa gehen sie hart mit Ministerpräsident Armin Laschet ins Gericht, haben sich - anders als die Sozialdemokraten - aber augenscheinlich nicht dessen persönliche Herabwürdigung zum obersten Ziel gesetzt. Stattdessen strahlen Neubaur und Banaszak freundliche Betriebsamkeit aus. Sie sind im vorpolitischen Raum präsenter als die Kollegen der SPD. Man sieht sie mal in Abendgarderobe bei der Verleihung des Landesverdienstordens, dann wieder zwischen Managern beim Unternehmertag. Obwohl die Grünen aktuell gerade einmal mit 14 Abgeordneten im Landtag sitzen, machen sie sich in der Opposition ziemlich breit.

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Längst haben sich die lange als „links“ geltenden NRW-Grünen aus einem rot-grünen Lager herausgelöst. Das wurde auch am Montag deutlich, als Banaszak die Bündnis-Optionen in den einzelnen Städten durchging. Man werde „gestaltend Verantwortung übernehmen“ und „selbstbewusst am Verhandlungstisch“ Platz nehmen, kündigte er an. In Düsseldorf könnte CDU-Kandidat Stephan Keller in der Stichwahl mit grüner Hilfe Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) bezwingen. In Dortmund hat Andreas Hollstein (CDU) die Chance, mit einem Sieg gegen Thomas Westphal eine 74-jährige SPD-Dominanz zu beenden. Ob die Grünen dazu die Hand reichen? Die lokalen Gliederungen der Partei seien bereits angesprochen worden, berichtete Neubaur. „Es gibt Optionen.“