Essen. Was die Neuordnung des deutschen Fernstraßennetzes bringt: Ein Gespräch mit Stephan Krenz, erster Chef der neuen Bundesautobahngesellschaft

Autobahnen sind Bundessache, geplant und verwaltet wird das deutsche Fernstraßennetz jedoch seit jeher in den Bundesländern. Das ändert sich ab Januar. Die neue Bundesautobahngesellschaft in Berlin steuert das viertgrößte Autobahnnetz der Welt dann erstmals zentral. Wir sprachen mit dem Chef der neuen Gesellschaft, Stephan Krenz.

Die Deutschen und ihre Autobahnen – das ist ein sehr besonderes Verhältnis. Was fällt Ihnen dazu ein?

Stephan Krenz: Autobahnen sind ein Teil unseres Gemeinwesens, ja unserer Kultur und deshalb ein absolut gesellschaftlich relevantes Thema mit einem hohen Emotionsfaktor. Im Ausland sind unsere Fernstraßen geradezu berühmt. Man spricht anerkennend von der „German Autobahn“. Und gerade in der Corona-Krise zeigt sich: Die Autobahnen sind das Rückgrat der Versorgungssicherheit der ganzen Republik. Alle wichtigen Güter werden darüber transportiert.

Der Autobahnbau wird nun erstmals in der Nachkriegsgeschichte zentral verwaltet. Was kommt da auf uns zu?

Es ist eine große Reform. Planen, Bauen, Finanzieren, der Betrieb und die Verwaltung des über 13.000 Kilometer langen Autobahnnetzes führen wir aus der Verantwortung von 16 Bundesländern in einer zentralen GmbH des Bundes zusammen. Das betrifft 15.000 Mitarbeiter, 1800 IT-Systeme und derzeit rund 4650 Planungs- und Bauprojekte in ganz Deutschland. Bis 1. Januar 2021, also in acht Monaten, müssen die Strukturen der neuen Gesellschaft stehen. Es ist ein Kraftakt, aber er wird klappen. Trotz Corona.

Zehn Niederlassungen statt bisher 16

Eine weitere große Bundeseinrichtung mitten in Berlin? Entsteht da nicht ein neuer Wasserkopf am Regierungssitz?

Nein. Bundesweit haben wir zehn Niederlassungen statt bisher 16 Straßenbauverwaltungen der Länder. Und die neue Gesellschaft wird in etwa so viele Beschäftigte haben wie die bisherigen Länderbetriebe zusammen. Bei den Ingenieursstellen wollen wir allerdings aufstocken. Angesichts der Aufgaben, die vor uns liegen, besteht gerade in diesem Bereich Bedarf.

Wo liegt der Vorteil gegenüber der bisherigen Länder-Lösung?

Bisher hat der Bund das Geld gegeben und die Länder haben es ausgegeben. Das war nicht immer optimal. In manchen Bundesländern gab es bei der Umsetzung von Planung und Bau noch Luft nach oben. Nun wollen wir das Niveau insgesamt nach oben ziehen, uns an den Besten orientieren. Unsere Gesellschaft kann als GmbH zudem schneller und flexibler handeln als Behörden, Ämter und Ministerien. Der Autobahnbau in Deutschland wird effizienter werden.

Verkehrszentralen sollen vernetzt werden

Was hat der Autofahrer davon?

Entscheidungen müssen nicht 16 Mal einzeln getroffen werden, sondern liegen künftig in einer Hand. Das betrifft etwa Innovationen wie die Ausstattung von Strecken für autonomes Fahren. Ein anderes Beispiel ist das Verkehrsmanagement. Es gibt acht sehr gut funktionierende Verkehrszentralen im Bundesgebiet, etwa in Leverkusen und in Hamburg. Für den jeweiligen Ballungsraum wird das Verkehrsgeschehen dort optimal betreut. Doch die Standorte sind nicht miteinander vernetzt, die Korridore zwischen den Ballungsräumen werden nicht überwacht. Das merkt jeder, der auf der A1 zwischen dem Rhein-Ruhr-Raum und Hamburg unterwegs ist. Das wollen wir ändern. In Frankfurt bauen wir dazu eine zentrale Verkehrsstelle auf, die die Arbeit der acht anderen koordiniert.

Eine zentrale Vergabestelle für Großaufträge im Straßenbau – da muss sich die Bauindustrie künftig warm anziehen, oder?

Vor einigen Tagen haben wir erste Gespräche mit den Vertretern der deutschen Bauindustrie geführt. So einen Runden Tisch mit der gesamten Baubranche hat es im Autobahnbau noch nie gegeben. Das werden wir fortsetzen. Wir versprechen uns davon bessere Absprachen, eine einheitliche Vergabe, aber auch die Vermeidung von langwierigen Rechtsstreitigkeiten bei Baumängeln. Besser ist es, man regelt so etwas in einem gemeinsamen Gespräch. Natürlich kann man nicht alles verhindern. Ärgerliche Vorkommnisse wie jetzt bei der Rheinbrücke Leverkusen wird es immer geben.

Kann die Bundesautobahngesellschaft künftig die Preise diktieren?

Wir wollen das wirtschaftlichste Angebot, nicht das billigste. Natürlich wollen wir Synergien heben und technische Normen vereinheitlichen. Heute ist der Asphalt in Schleswig-Holstein ein anderer als der in Brandenburg. Das werden wir künftig anders machen. Selbstverständlich werden wir auch den Hebel nutzen, den ein größeres Auftragsvolumen mit sich bringt. Sei es bei Bauprojekten, sei es bei Bestellungen für unseren Fuhrpark. Da wollen wir auch mit der Automobilindustrie reden.

Straßenverkehr wird weiter zunehmen

Wird es neue Autobahnen in Deutschland geben?

Das deutsche Autobahnnetz ist eines der größten der Welt. Bis auf einige Lückenschlüsse und kleinere Maßnahmen wird es keinen weiteren Neubau geben. Das ist politisch so gewollt. Wir fokussieren uns also auf den Ausbau, Erhalt und das Verkehrsmanagement. Das ist dringend geboten.

Warum?

Sämtliche Prognosen sagen uns, dass der Straßenverkehr künftig weiter wachsen wird. Selbst wenn es im Zuge der Verkehrswende gelingen sollte, deutlich mehr Menschen und Güter per Bahn zu transportieren, wird es auf den Autobahnen also voller. Darauf müssen wir reagieren. Wir müssen den Sanierungsstau im Fernstraßenbau auflösen, auf stark belasteten Strecken die Kapazitäten durch zusätzliche Fahrspuren erhöhen und uns mit intelligenter Verkehrssteuerung beschäftigen. Ich denke da an Sensoren in den Fahrbahnen, an Telematik, aber auch an die Verknüpfung mit den Fahrzeug-Navis. Wir können nicht alles Google Maps überlassen.

Haben Sie dafür genug Geld?

Die Bundesmittel für den Fernstraßenbau sind angemessen. Uns stehen jährlich rund fünf Milliarden Euro für Investitionen auf den Autobahnen zur Verfügung. Wichtig ist, dass die Straßenbaumittel nachhaltig sind und mittelfristig an die Preisentwicklung angepasst werden.

>>>>> Info:

Autofahrer in NRW werden noch über 2030 hinaus mit Großbaustellen auf Autobahnen leben müssen. Davon geht die Niederlassungsleiterin Westfalen der neuen Bundesautobahngesellschaft, Elfriede Sauerwein-Braksiek aus. Das Verkehrsaufkommen lasse es nicht zu, überall gleichzeitig zu bauen, sagte Sauerwein-Braksiek. Die bisherige Straßen.NRW-Direktorin wechselte im April als Chefin der Niederlassung in Hamm zur neuen Autobahngesellschaft. Diese ist künftig für das Autobahnnetz vom hessischen Gießen bis Leer (Niedersachsen) zuständig. Das rheinische NRW-Autobahnnetz wird von Krefeld aus gemanagt.