Essen/Düsseldorf. Zahl der Infizierten steigt auf über 1000. Heimbetreiber fordern: Leere Hotels sollen Quarantäne-Patienten aufnehmen, um Heime zu entlasten

Die Situation in den Alten- und Pflegeheimen in NRW wird wegen der Coronakrise immer dramatischer. Nach jüngsten Zahlen des NRW-Gesundheitsministeriums sind in 151 vollstationären Pflegeheimen insgesamt 1078 Bewohnerinnen und Bewohner mit dem Coronavirus infiziert. Zudem hätten sich rund 780 Mitarbeiter in 213 Einrichtungen angesteckt. In 68 vollstationären Pflegeheimen gab es 174 Todesfälle.

Betroffen seien auch 112 ambulante Pflegedienste, in denen infizierte Patienten festgestellt wurden. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) warnte vor „sehr gefährlichen“ Entwicklungen in den Seniorenheimen. „Es zeichnet sich immer stärker ab, dass wir uns viele Gedanken um die alten Leute machen müssen“, sagte Laumann am Dienstag im Landtag. Von den mehr als 600 am Coronavirus Verstorbenen seien 82 Prozent älter als 70 Jahre.

Zahl der infizierten Mitarbeiter steigt sprunghaft

Die Coronakrise führe dazu, dass sich immer mehr Pflegekräfte infizierten und somit für den Dienst in den Heimen vorübergehend nicht zur Verfügung stünden. „Etwa 1400 Mitarbeiter von stationären Altenheimen befinden sich in Quarantäne. Hier steigen die Zahlen sehr sprunghaft an“, sagte Laumann. In NRW gibt es rund 2800 stationäre Pflegeeinrichtungen, darunter etwa 2200, die ausschließlich stationäre Pflege anbieten. Laumann kündigte an, am Mittwoch mit den Betreibern von Pflegeheimen über das weitere Vorgehen und neue Schutzmaßnahmen zu sprechen.

Vor diesen Gesprächen forderten Heimbetreiber ausreichende Schutzkleidung für die Pflegenden sowie deutlich erweiterte Tests für die Bewohner und das Personal. „Manche Einrichtungen sind gut ausgestattet, anderen fehlt es an den nötigsten Dingen“, sagte Christine Strobel, NRW-Landesbeauftragte des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) dieser Redaktion. Es fehle Einheitlichkeit und Transparenz bei der Verteilung des dringend benötigten Materials. „Es ist inzwischen Schutzmaterial vorhanden, doch die Verteilung läuft schlecht“, so Strobel.

Betreiber fordern: Alle Bewohner und Pflegekräfte testen

Zudem sollten jetzt bevorzugt sämtliche Bewohner und Angestellten der Pflegeheime getestet werden. „Die Heime müssten vorrangig behandelt werden, so schnell wie möglich auch durch Eigentests“, sagte Strobel. Dadurch könnten drastische Maßnahmen wie die Einrichtung von Quarantäne-Bereichen und Isolierstationen vermieden werden. Dies bringe die Heime personell an ihre Grenzen und gehe zu Lasten der Betreuung und Versorgung der Bewohner.

Der Verband schlug zudem die Einrichtung „kommunaler Quarantäne-Häuser“ vor, um die Heime zu entlasten. Diese könnten zum Beispiel in leerstehenden Hotels untergebracht werden und Risikopersonen für 14 Tage aufnehmen. „Darüber werden wir am Mittwoch mit dem Minister reden“, so Strobel, deren Interessenverband in NRW rund 1700 Einrichtungen angehören.

NRW will rasch erste Schritte einleiten

An eine Lockerung des Besuchsverbots glaubt die Bpa-Landesbeauftragte vorerst nicht. „Die Infektionszahlen gehen seit März nach oben. Das Besuchsverbot für Therapeuten und Angehörige kann noch nicht gelockert werden“, sagte Christine Strobel.

Laumann will das neue NRW-Epidemiegesetz sofort in der Praxis anwenden und „noch in dieser Woche die ersten Schritte einleiten“. Zuvor hatte der Landtag das Gesetz in einer kurzen Sondersitzung mit großer Mehrheit verabschiedet und direkt im Anschluss die Voraussetzung für dessen Anwendung geschaffen: Einstimmig stellten die Abgeordneten eine „epidemische Lage von landesweiter Tragweite“ fest.

Register soll freiwillige Helfer auflisten

Es müsse nun festgestellt werden, wo es in NRW außerhalb der Krankenhäuser Beatmungsgeräte gebe, so Laumann. „Das hat mit Beschlagnahme noch gar nichts zu tun, aber wir müssen wissen, wo diese Geräte sind“, erklärte der Minister. In Kürze beginne auch die Arbeit am „Freiwilligenregister“, in dem Menschen aufgelistet werden, die bei der Bewältigung der Krise helfen wollen und können.

„Wir sind mit Sicherheit nicht über dem Berg, sondern mitten in einer der größten Herausforderungen unseres Gesundheitssystems“, rief Laumann den Abgeordneten zu.​