Essen. Schüler als Lebensretter: Was in Skandinavien längst tausende Todesfälle verhindert, soll auch in NRW ab Klasse sieben Pflicht werden.
Unterricht in Wiederbelebung soll ab der siebten Klasse verpflichtend an den Schulen in NRW eingeführt werden: Das fordert der Deutsche Rat für Wiederbelebung (GRC), in dem alle großen deutschen Hilfsorganisationen zusammenarbeiten, darunter etwa das DRK, die DLRG, der ASB, die Malteser und die Johanniter.
Bislang hat die Kultusministerkonferenz den Vorstoß lediglich als Empfehlung an alle Schulen in Deutschland weitergereicht. NRW gilt bundesweit als Vorreiter: Hier wurde bereits im Schuljahr 2017/2018 ein auf drei Jahre befristetes Modellprojekt zur Laienreanimation auf den Weg gebracht. Am Projekt nehmen inzwischen landesweit mehr als 180 Schulen teil. Damit sollen junge Menschen gestärkt werden, entschlossen Wiederbelebungsmaßnahmen anzuwenden, so Schulministerin Yvonne Gebauer: „Die Bedeutung dieser Kenntnisse gehört stärker ins allgemeine Bewusstsein. Darum ist das Projekt der Landesregierung ein wichtiges Anliegen.“
Dennoch bleibt die Ausbildung in Erster Hilfe bislang freiwillig: Sowohl für die Schüler als auch für die Lehrer. Der Rat für Wiederbelebung hingegen würde die Reanimation gern verpflichtend auf den Lehrplan bringen.
„Das ist so, als würde jeden Tag ein Flugzeug mit 200 Passagieren verunglücken“
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Zwei Stunden im Jahr sind dabei nach Einschätzung des Gremiums ausreichend. „Rund 70.000 Menschen sterben jedes Jahr bundesweit in Folge eines Herz-Kreislauf-Stillstands. Das ist so, als würde jeden Tag ein Flugzeug mit 200 Passagieren verunglücken“, rechnet Professor Bernd Böttiger vor. 10.000 Menschen könnten gerettet werden, wenn die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes mit Herzdruckmassage überbrückt werden würde, weiß der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Rats für Wiederbelebung und Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin an der Uniklinik Köln. Aktuell überleben nur zehn Prozent der Betroffenen hierzulande einen Herzstillstand.
Wiederbelebung und Erste Hilfe: Jede Sekunde zählt
Gegen eine der Haupttodesursachen in Deutschland gebe es schlicht kein effektiveres Mittel als die Herzdruckmassage – und die müsse schnell erfolgen, führt Böttiger aus: „Das Gehirn stirbt nach etwa drei bis fünf Minuten, wenn es nicht mit Sauerstoff versorgt wird. Der Rettungsdienst kommt aber meist erst nach acht bis neun Minuten. Deswegen ist es so wichtig, dass Laien diese Zeit mit Herzdruckmassage überbrücken“, sagt Böttiger.
Kritik an Erste-Hilfe-System in Deutschland
Dass das in einem Großteil der Fälle nicht passiere, liege auch am bisherigen Erste-Hilfe-System in Deutschland. So sei der Inhalt vieler Erste-Hilfe-Kurse für Führerschein-Anwärter aus der Zeit gefallen kritisiert Böttiger: „So entstammt die prominente Vermittlung der stabilen Seitenlage einer Zeit, als es nicht einmal Anschnallgurte in Autos gab.“
Vor allem aber bemängelt der Mediziner den Zeitpunkt, zu dem Erste-Hilfe-Maßnahmen in Deutschland vermittelt werden: „Mit der Wiederbelebung ist es wie mit Schwimmen oder Fahrrad fahren: Was man als Kind lernt, prägt sich viel besser ein“, sagt Böttiger. So könnten schon Kinder einen Notruf absetzen. Gleichzeitig weiß Böttiger um die wirtschaftliche Bedeutung der Erste-Hilfe-Kurse, die für die Hilfsorganisationen eine wichtige Einnahmequelle seien. „Der große Erste-Hilfe-Kurs kann und soll ja weiterhin bestehen bleiben – wichtig ist aber, bei der Ausbildung von Laien-Ersthelfern so früh wie möglich anzusetzen und den Fokus auf die Wiederbelebung zu setzen“, so Böttiger. Das steigere das Überleben ebenso wie das Interesse an den längeren Kursen.
DRK-Landesverband unterstützt Forderung: „Unterricht ab der siebten Klasse sinnvoll“
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Unterstützung für seine Forderung bekommt Böttiger vom Deutschen Roten Kreuz in NRW: Erste Hilfe-Kenntnisse müssten „dringend schon in der Schulzeit ausgebildet werden und nicht erst, wenn der Führerschein beantragt wird“, so Andreas Brockmann, Sprecher des DRK-Landesverbandes Nordrhein.
Allein im Jahr 2018 habe es mehr als eine Million meldepflichtiger Schulunfälle in Deutschland gegeben. „Wenn Schüler und auch Lehrer fit für den Notfall sind, können einfache Erste-Hilfe-Maßnahmen Leben retten“, so Brockmann weiter. Außerdem könne die Anbindung an den Unterricht dabei helfen, der Ersten Hilfe einen höheren Stellenwert in der Bevölkerung zu verschaffen: „Erste Hilfe ab der siebten Klasse wäre ein erster, guter Schritt, um das Thema als selbstverständlich anzusehen und nicht als Pflichtveranstaltung.“
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Gleichzeitig stellt er klar, dass sich das DRK nicht an den Erste-Hilfe-Kursen bereichere. Die Gebühr in Höhe von rund 40 Euro pro Teilnehmer decke gerade einmal die Kosten. „Deshalb hat die Befähigung möglichst vieler Menschen zur Ersten Hilfe für das DRK höchste Priorität“, so Brockmann.
Interesse an themenspezifischen Erste-Hilfe-Kursen wächst
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Tatsächlich wachse das Interesse an Erste-Hilfe-Kursen, berichtet Brockmann: So würden in NRW jährlich 280.000 Menschen geschult. „Einen Rückgang können wir nicht feststellen, eher eine Spezialisierung der Teilnehmer“, so der DRK-Sprecher. So seien themenspezifische Kurse wie etwa die Erste Hilfe am Kind stark nachgefragt. Beim Kurz-Seminar „Fit in Erster Hilfe“ hätten sich die Teilnehmerzahlen im Vergleich zu 2015 im Jahr 2018 auf 4.342 verdoppelt. „Das zeigt uns, dass die Menschen heutzutage lieber konkrete Themen der Ersten Hilfe behandeln, die auf ihre Wünsche abgestimmt sind“, sagt Brockmann.
Auch die Malteser in NRW beobachten ein wachsendes Interesse: Wurden im Jahr 2014 noch 113.249 Teilnehmer ausgebildet, stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 122.830 neue Ersthelfer.