Düsseldorf. Nach dem Tabubruch von Erfurt könnte die einzige schwarz-gelbe Regierung in Mitleidenschaft gezogen werden. SPD wittert ein Mobilisierungsthema.
In Joachim Stamps Kalender stand an diesem Freitag eigentlich ein Wohlfühl-Termin kurz vor dem Wochenende. Der FDP-Landesvorsitzende und NRW-Familienminister wollte den Kindergarten „Flügelnuss“ in seiner Heimatstadt Bonn besuchen. Stattdessen muss er nun zur Bundesvorstandssitzung nach Berlin, in der über das Schicksal seines Bundesvorsitzenden, Vorgängers und Freundes Christian Lindner befunden wird.
Das politische Beben von Thüringen schickt seine Ausläufer auch nach NRW, wo die einzige schwarz-gelbe Landesregierung Deutschlands eben noch ziemlich unbehelligt regierte. Der freundliche Herr Stamp, der sich viele Jahre auf kommunaler Ebene für Integrationsfragen engagierte und bis heute eher sozialliberal tickt, sieht seine Partei plötzlich als willfährige Handlanger der rechtsradikalen Höcke-AfD gedeutet. Noch am Mittwochabend nach der Wahl des FDP-Mannes Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten Thüringens versammelten sich vor der Düsseldorfer FDP-Geschäftsstelle spontan Demonstranten. Grünen-Landeschef Felix Banaszak stand mit vor der Tür und rief ins Handmikrofon, CDU und FDP müssten sich klar nach rechts abgrenzen.
NRW-FDP versucht, sich vom lavierenden Parteichef Lindner zu emanzipieren
Stamp gehörte zu jenen in der FDP, die nach der Wahl Kemmerichs recht schnell den Rücktritt des Parteifreundes und Neuwahlen forderten. Während Parteichef Lindner noch lavierte und sein Vize Wolfgang Kubicki den Tabubruch sogar bejubelte, stellte Stamp unmissverständlich klar: „Es kann keinen liberalen Ministerpräsidenten geben, der von der AfD ins Amt gewählt wird.“
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Die NRW-FDP versucht sich in diesen Stunden erkennbar von Lindner zu emanzipieren, der den Landesverband so lange geprägt hatte. Seine Flucht aus den Jamaika-Koalitionsverhandlungen 2017 hatten viele Liberale noch tapfer mitgetragen, obwohl sie die Verweigerung von Regierungsverantwortung im Bund für falsch hielten. Die Düsseldorfer FDP-Oberbürgermeister-Kandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sprach vielen aus der Seele, als sie Lindner nun aufs Korn nahm: „Es ist besser nicht zu regieren, als sich von Faschisten wie Höcke wählen zu lassen.“
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Stamp hat in seinen zweieinhalb Jahren als Minister und Stellvertreter von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) nie die Präsenz und rhetorische Brillanz Lindners entwickelt. Umfragen zeigen, dass ihn nur wenige Menschen in NRW kennen. Doch selbst politische Gegner bescheinigen dem 49-Jährigen Haltung und Integrität. Umso bitterer für Stamp, dass die NRW-FDP wohl mithaften wird für die Machtspiele von Erfurt. Sorgenvoll erinnert sich mancher ans Jahr 2011, als Partei-Vize Kubicki schon einmal analysierte, die FDP habe als Marke „generell verschissen“.
Laschet kann an einem schnellen Groko-Aus in Berlin nicht gelegen sein
Für die NRW-CDU ist die Lage kaum komfortabler. Obwohl sich Laschet klar von der Wahl Kemmerichs distanziert hatte, steht die Kombination Schwarz-Gelb nun im Ruf, nach ganz Rechtsaußen nicht dicht zu sein und „Schaden an der Demokratie“ (Grünen-Landeschef Banaszak) angerichtet zu haben. Die NRW-AfD wiederum, die seit 2017 ein Schattendasein im Düsseldorfer Landtag führte, wirkt nunmehr als Machtfaktor. AfD-Fraktionschef Markus Wagner nannte die Vorgänge in Thüringen einen „Kurzversuch gelebter Demokratie“, der nach 25 Stunden wieder beendet worden sei von „der Macht, die schon lange nicht mehr vom Volke ausgeht“.
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Die NRW-SPD gibt sich seit Mittwoch so kampfeslustig wie lange nicht. Das Paktieren der „Bürgerlichen“ mit der Höcke-AfD hat linke Lebensgeister geweckt. Mit dem „Nein zu Nazis“ ist endlich wieder ein großes Thema da, mit dem man am liebsten die Groko in Berlin beenden und die Grünen zurück ins linke Lager zwingen würde. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ringe um ihre Autorität und mit den widerspenstigen Parteifreunden in Thüringen, heißt es. Und Laschet könne bei allen Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur eine instabile Lage zum jetzigen Zeitpunkt nicht gebrauchen. Also Attacke?
Die neuen SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans besuchen an diesem Freitag die Düsseldorfer Landtagsfraktion. Man wird sie auf den Koalitionsausschuss mit der Union am Samstag einschwören.