Berlin. Bei Lanz zeigen sich Friedrich Merz und Martin Schulz schockiert über die Thüringen-Wahl. Über die Schuldfrage streiten die Politiker.
- Schnell reagiert: Angesichts der Vorgänge in Thüringen warf Markus Lanz sein Sendungskonzept um
- Schnell waren neue Gäste gefunden, die über die Wahl Kemmerichs zum Ministerpräsidenten diskutierten
- Da waren sich sogar Friedrich Merz und Martin Schulz einig: Mit der AfD ins Amt kommen ist keine Option
Sie löste ein Beben aus: Die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen hat das Land erschüttert. Markus Lanz warf kurzerhand sein Sendungskonzept um und lud sich neue Gäste ein.
Talkshowgast Friedrich Merz hatte etwas auf dem Herzen: Die Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten in Thüringen durch Stimmen der CDU und AfD. Das Verhalten der thüringischen CDU-Abgeordneten „irritiert“ ihn „in hohem Maße“. Mit der Irritation ist er nicht allein.
SPD-Politiker Martin Schulz wetterte sogar, die FDP habe sich das Amt des Ministerpräsidenten in Zusammenarbeit mit den Rechtsextremisten dieses Landes unter Wählertäuschung erkauft.
Thüringen-Wahl ist „Missachtung des Wählers“
Zur ersten Nachlese eines denkwürdigen Tags für die deutsche Demokratie diskutieren die beiden früheren Spitzenpolitiker mit der „Spiegel“-Journalistin Melanie Amann und dem Journalisten und ehemaligen FDP-Politiker Heiner Bremer.
Letzterer scheint so wütend auf die Liberalen zu sein, dass er, wenn er sein Parteibuch nicht schon vor Jahren abgegeben hätte, es zumindest jetzt hinschmeißen würde.
Bremer verurteilt die Wahl eines Landesoberhaupts, dessen Partei mit nur fünf Abgeordneten im Parlament vertreten sei, als „Missachtung des Wählers“. Und dass sich nun alle beteiligten Parteien für ahnungslos erklären, hält der Journalist für scheinheilig: „Mir kann niemand vormachen, dass weder die CDU noch die SPD dieses Szenario nicht durchgespielt haben. So viel verstehe ich noch vom Parteileben.“
Friedrich Merz: „Linke Gewaltexzesse sind Wasser auf Mühlen der AfD“
Auch Melanie Amann, die das Hauptstadtbüro des „Spiegel“ leitet, kann keinem der Beteiligten die Überraschung abkaufen. Vor allem nicht Thomas Kemmerich (FDP), dem neu gewählten Ministerpräsidenten: „Er hätte das einkalkulieren müssen. Denn das Szenario war bekannt.“
Friedrich Merz erzählt sogar, dass man aus genau diesem Grund dem CDU-Spitzenkandidaten Mike Mohring von einer Kandidatur abgeraten habe – weil dieser wahrscheinlich Stimmen der AfD-Fraktion erhalten hätte.
Doch wer ist nun schuld an dem Schlamassel, der zu Protesten vor der FDP-Zentrale in Berlin führte? Während Schulz vor allem die FDP und ihr Aushängeschild Christian Lindner kritisiert, liegt für Merz das Problem an anderer Stelle: „Mich beschäftigt es zutiefst, dass Links und Rechts so stark werden, dass in der Mitte kein Platz mehr ist“, meint der Ex-Unionsfraktionschef. Auf der einen Seite hätte man den „unerträglichen Höcke“, auf der anderen Seite den Linkspolitiker Ramelow, der sich als Bürgerlicher tarne.
Merz schafft es nun verrückterweise, in einer Sendung über das erste parlamentarische Paktieren mit der AfD, die Linke als Ursache mit heranzuziehen und so sein bekanntes Lied von der gleichwertigen Gefahr durch Links- und Rechtsextremismus anzustimmen. „Linke Gewaltexzesse wie in Leipzig-Connewitz sind Wasser auf die Mühlen der AfD“, meint Merz.
Martin Schulz: „Der Gewinner des Tages ist Höcke“
Martin Schulz kann das so nicht stehen lassen: „Die Gefahr geht gerade nicht von brennenden Mülltonnen aus, sondern von dieser Partei“, stellt der Bundestagsabgeordnete klar. „Das ist fatal, aber ein Mord an einem Politiker wie Walter Lübcke durch die rechtsextreme Szene – das ist eine andere Gradverschiebung.“
Die Angst der CDU vor einer Zusammenarbeit mit der in Thüringen gemäßigten Linkspartei und das Liebäugeln mit dem wohl extremsten AfD-Landesverband, das „Rumeiern“ wie Merz es nennt, habe direkt zum heutigen Ergebnis beigetragen, meint Melanie Amann: „Die CDU war nicht bereit, anzuerkennen, dass das Sonderfälle sind.“
Martin Schulz fasst die Thüringen-Wahl prägnant zusammen: „Der große Gewinner des Tages ist Höcke“, sagt Schulz betroffen, „jemand der vor ein paar Jahren noch als durchgeknallter Rechtsextremer durchgegangen wäre, hat heute bestimmt, wer in Thüringen Ministerpräsident wird.“
Die gemeinsame Unterstützung eines Kandidaten mit FDP und CDU bedeutet für die Höcke-AfD vor allem eines: Legitimation, vielleicht sogar wachsender Zuspruch für den „Flügel“ durch Wähler. Liberalen und Union könnte das genaue Gegenteil bevorstehen: „Das Vertrauen in CDU und FDP ist erschüttert“, konstatiert Heiner Bremer. Denn welcher Wähler solle jetzt noch glauben, dass beide Parteien niemals mit der AfD zusammenarbeiten würden?