Essen. Die SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet ziehen eine positive Bilanz. Fürs Revier habe man viel erreicht. Ein Problem bleibt ungelöst.

16 Abgeordnete der SPD vertreten das Ruhrgebiet im Bundestag. Keine andere Partei kann so viele gewählte Mandatsträger aus dem Revier nach Berlin schicken. Mit neuem Spitzenpersonal stehen Partei und Fraktion dort im andauernden Umfragetief weiter unter Druck. Auch die Groko-Frage lauert. Was konnten die Ruhr-Parlamentarier politisch durchsetzen? Wo liegen künftige Hürden? Darüber sprachen WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock und die Redakteure Lutz Heuken, Michael Kohlstadt und Christopher Onkelbach beim Redaktionsbesuch der Abgeordnetengruppe.

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Welche Bilanz zieht die Ruhr-SPD-Gruppe nach zwei Jahren Groko in Berlin?

Die Ruhr-SPD ist im Parlament stärker aufgestellt als manche komplette SPD-Landesgruppe, mithin nicht ohne Einfluss im Kreis der 152 Köpfe zählenden SPD-Bundestagsfraktion. Die Abgeordneten ziehen denn auch eine insgesamt positive Bilanz. „Wir 16 sind zufrieden“, sagt ihr Sprecher Michael Groß. Der Recklinghäuser listet auf: Der Soziale Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose sei auf den Weg gebracht worden, die Stellen seien nicht nur bei Kommunen und Verbänden, sondern in einigen Städten zu über 50 Prozent bei Wirtschaftsunternehmen entstanden. Groß: „Das ist für uns ein Riesenerfolg.“ Als klares Plus fürs Ruhrgebiet verbuchen die Abgeordneten zudem, dass der Altschuldenschnitt für Kommunen in aller Munde ist und Geld für die Ertüchtigung der im Revier so bedeutsamen Schifffahrtskanäle fließt. Auch bei der Kohlehilfe reklamieren die SPD-Politiker den Erfolg für sich. Groß: „Beim Ausstieg aus der Steinkohleverstromung haben wir – und nicht die Landesregierung – dafür gesorgt, dass eine Milliarde für die betroffenen Standorte ins Ruhrgebiet fließt.“

Die SPD-Bundestagsabgeordneten im Gespräch mit WAZ-Redakteuren in der WAZ-Zentralredaktion in Essen.
Die SPD-Bundestagsabgeordneten im Gespräch mit WAZ-Redakteuren in der WAZ-Zentralredaktion in Essen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Was sagt die Ruhr-SPD zur neuen Parteiführung?

Das Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als neue Parteispitze ist auch für die Ruhr-Abgeordneten noch ein unbeschriebenes Blatt. Als ehemaliger NRW-Finanzminister kommt der Kölner Walter-Borjans immerhin aus dem selben Landesverband. Saskia Esken hatte Michael Groß bisher nur als Flurnachbarin im Fraktionsgebäude erlebt. Auch für René Röspel war die Wahl der Baden-Württembergerin „eine Überraschung“. Der Hagener kennt allerdings Eskens hohe Digital-Kompetenz. „Die Entscheidung der SPD ist da und die neue Führung hat viele Erwartungen zu erfüllen. Wir als Fraktion helfen“, beschreibt Michelle Müntefering die Situation. Die Herner Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin im Außenministerium betonte zudem, dass die Fraktion mit Rolf Mützenich ebenfalls einen neuen Chef habe. Nun werde es darauf ankommen, dass Fraktion und Partei konstruktiv zusammenarbeiten. Michael Groß mahnt die neue Parteiführung, sich auf Wesentliches zu konzentrieren. „Wir haben ein tolles Sozialstaatskonzept. Da würde ich mir wünschen, dass weniger über Tempo 130 geredet wird. Tarifbindung, Pflege, Gesundheit – das sind die Themen, an denen die SPD sich messen lassen sollte“, so der Recklinghäuser.

Im Revier ist die SPD immer noch eine Art politischer Platzhirsch. Bundesweit steckt die Partei im Umfragetief. Was ist jetzt zu tun?

Frank Schwabe sieht die SPD durch die neue Parteispitze gestärkt. „Die SPD ist lange als Partei mit windelweichen Positionen wahrgenommen worden. Mit unserer neuen Parteiführung haben wir die Chance, dass sich dieser Eindruck wieder ändert“, so der Castrop-Rauxeler. Für René Röspel ist die SPD immer noch Volkspartei. „Ja, wir verlieren an Grüne und AfD. Wir müssen aber klar machen, dass Volkspartei zu sein nicht nur eine prozentuale Frage ist. In meinem Ortsverein ist der Azubi genauso wie der Professor Mitglied. Da sind wir ein Spiegelbild der Gesellschaft“, so der Hagener. Auch Axel Schäfer, langgedienter Bundestagsabgeordneter aus Bochum, verbreitet Aufbruchsstimmung: „Die SPD muss die Partei sein, die klar macht: Wir wollen den Fortschritt gestalten und trotzdem niemanden zurücklassen.“

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Wie blicken die Ruhr-Abgeordneten auf den Koalitionspartner?

Hier finden die SPD-Vertreter teils deutliche Worte. „Das sind Graupen bei der Union“, sagt Mahmut Özdemir wenig schmeichelhaft über die Groko-Kollegen von CDU und CSU. Der Duisburger gibt ein Beispiel: „Wir kämpfen für mehr Bundesmittel für den Fernstraßenbau in NRW und am Ende stehen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU und sein NRW-Amtskollege Hendrik Wüst von der CDU da und tun so, als sei das Unions-Geld.“ Das Revier sei die wichtigste Wirtschaftsregion dieses Landes, so Özdemir. „Und wir müssen mit dem Brecheisen für alles kämpfen.“ „Wenn es uns nicht gelingt, neben Gewerbe auch Industrie anzusiedeln, sehe ich schwarz für das Ruhrgebiet“, pflichtet Michael Gerdes (Bottrop) bei. Auch Michael Groß findet: „Das Ruhrgebiet hat keine starke Lobby in der Union.“

Wie ist der Diskussionsstand bei der Altschuldenhilfe für hoch verschuldete Kommunen?

Bei dem Thema reklamiert die Ruhr-SPD die Urheberschaft für sich. Der Ball liege jetzt aber im Feld der NRW-Landesregierung. „Wir gehen davon aus, dass wir im Bund ausgereizt haben, was geht. Nun ist das Land gefragt. Der Bund schafft es alleine nicht“, sagt der Essener Dirk Heidenblut. Und Michael Groß ergänzt: „Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat sich in der Regierung durchgesetzt und bereits mehrfach die Übernahme von 50 Prozent aller kommunalen Altschulden durch den Bund in Aussicht gestellt. Wir reden hier von der Hälfte von 45 Milliarden Euro. Nun sind die Länder, in denen die betroffenen Städte liegen, am Zug.“ Es sei Aufgabe des Landes, hier die Solidarität der kommunalen Familie herzustellen.