Düsseldorf. . Die Schleusen sind marode, die Poller bröckeln, die Pumpen streiken. Jetzt schlägt die Industrie Alarm und ruft die Bundesregierung um Hilfe.
Von maroden Straßen, Brücken und Schienen ist oft die Rede, aber kaum einer macht sich Gedanken über den Zustand der Schifffahrtskanäle. Es lohnt sich aber, hier genau hinzusehen. Denn an den diesen für das Industrieland NRW so wichtigen Wasserstraßen herrsche ein massiver „Pflegenotstand“, warnen Binnenschifffahrt, Hafenbetreiber sowie die Chemische Industrie.
Die Schleusen sind zum Teil uralt, Poller bröckeln, Pumpen streiken, Fachpersonal fehlt, Brücken sind zu niedrig, Firmen können nicht zuverlässig Waren auf die Reise schicken. Und so ertönt ein lauter Hilferuf, den die dafür zuständige Bundesregierung erhören soll: „Ohne Schleusensanierung fällt die Wirtschaft ins Wasser“.
Flickschusterei an den Kanälen
Besonders arg trifft der Sanierungsstau den Wesel-Datteln-Kanal im nördlichen Revier und am Niederrhein. Sechs Schleusen gibt es hier, deren Zustand ist mangelhaft, was übrigens für die meisten Bauwerke an den in die Jahre gekommenen künstlichen Wasserstraßen zutrifft. Der Wesel-Datteln-Kanal wurde 1930 eröffnet, durch den Dortmund-Ems-Kanal fließt schon seit 120 Jahren Wasser. Flickschusterei prägt die Bauwerke dort.
Besonders die Poller, von denen viele noch aus der Kaiserzeit stammen und an denen die Schiffe in den Schleusen befestigt werden, bröseln. So sehr, dass vielerorts nicht mehr, wie früher üblich, zwei Schiffe pro Schleusung vertäut werden können, sondern nur noch eines. Erste Hilfe leisten nun am Wesel-Datteln-Kanal so genannte „Festmacher“ – Männer, die Schleusenvorgänge beschleunigen „Dass nun an sämtlichen Kanalschleusen an 365 Tagen im Jahr Festmacher ihren Dienst verrichten sollen, womöglich über Jahre, das ist Mangelverwaltung in höchster Vollendung“, wettert Roberto Spranzi vom Bundesverband der Binnenschiffer.
Weniger Waren wegen maroder Schleusen
Der üble Zustand der Bauwerke am Wesel-Datteln-Kanal soll dafür gesorgt haben, dass im vergangenen Jahr die Menge der dort transportierten Waren um 24 Prozent auf nur noch 13,4 Millionen Tonnen zurückging. Mit der langen Trockenheit 2018soll das wenig bis gar nichts zu tun gehabt haben, versichern neben Spranzi auch Arndt Glowacki vom Bundesverband der Binnenhäfen und Gerd Deimel vom Verband der Chemischen Industrie in NRW. 2018 sei ein „verheerendes Jahr“ für diesen Kanal gewesen, sagt Roberto Spranzi. Es könnte noch schlimmer kommen. Denn am Rhein-Herne-Kanal soll die Schleuse Wanne-Eickel neu gebaut werden, und das bedeutet noch mehr Belastung für den Wesel-Hamm-Kanal.
„Es ist fünf vor zwölf. Es kann jederzeit zu einem gravierenden Schaden bis zum Totalausfall von Schleusen kommen“, sagte Gerd Deimel am Mittwoch im Landtag. Sollte nur die Hälfte der Transportkapazität des Wesel-Datteln-Kanals ausfallen, würde der Verkehr auf Schienen und Straßen – wenn diese Güter überhaupt dort transportiert werden könnten – kollabieren. Die Menge entspräche 900.000 Lkw-Fahrten oder 15.000 Güterzügen. Das Schadensrisiko sei riesig, die Investitionen des Bundes in die Schleusen und Kanäle dagegen viel zu gering.
„NRW hätte Hilfe verdient.“
Binnenschiffer, Industrie und Hafenbetreiber fordern den Bund zu massiven Investitionen, zum Schaffen zusätzlicher Ingenieurstellen und zum Erstellen eines Krisen- und Notfallplans für den Ausfall von Wasserstraßen auf. NRW müsse viel mehr als bisher in Berlin für die Sanierung der maroden Schleusen trommeln, verlangt Gerd Deimel. Andere Bundesländer hätten mehr Engagement gezeigt. Und beim Ausbau des Elbe-Lübeck-Kanals habe der Bund zuletzt so vorbildlich gehandelt, wie es NRW verdient hätte. Denn auf jedem der großen NRW-Kanäle werde im Jahr bis zu 20-mal mehr transportiert als auf der Wasserstraße zwischen Lauenburg und Lübeck.