Münster/Ruhrgebiet. Münster hat den Klimanotstand als erste NRW-Großstadt ausgerufen – Städte wie Bochum, Bottrop oder Gladbeck zogen nach. Eine Halbjahresbilanz.

„Unsere Erde hat keine Zeit für Diskussionen“: ein typischer Plakatspruch der Fridays-for-Future-Demos. Mit Ausrufung des Klimanotstandes im Sommer 2019 schienen die Dringlichkeit auch mehrere NRW-Kommunen erkannt zu haben – darunter Münster, Gladbeck, Bottrop und Bochum. Was können die vier genannten Städte nach einem halben Jahr Notstand vorweisen?

Münster

Zum Image der grünen Fahrrad-Stadt passt es, dass Münster auch beim Klimanotstand voranging: Als erste Großstadt in NRW hat der dortige Stadtrat am 22. Mai den Notstand ausgerufen – kurz nach Tönisvorst und Herford. „Seitdem hat es erhebliche Veränderungen gegeben“, sagt Nachhaltigkeitsdezernent Matthias Peck.

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Der neue Klimaschutzplan 2030 sowie ein Paket zur Klimaanpassung sei in der Endabstimmung. An beidem habe man zwar auch vor dem Notstand gearbeitet, „aber nun werden wir Vorschläge machen, um die Klimaschutzziele schneller zu erreichen“, so Peck. Man wolle über die im Pariser Klimaabkommen festgeschriebene Klimaneutralität bis 2050 hinausgehen. Dazu erklärte Ziele der Stadt: Den ÖPNV bis 2030 auf Elektromobilität umzustellen und in den nächsten vier Jahren 36 Millionen Euro in die energetische Gebäudesanierung zu investieren.

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Den Münsteraner Friday-for-Future-Aktivisten, die inzwischen in fast jeder Ratssitzung präsent sind, ist das nicht genug. Bisher sei der Notstandsbeschluss eine „Luftnummer“, einen „Klima-Check“, mit dem die Klimaauswirkungen aller Maßnahmen standardmäßig überprüft werden, vermissen die Aktivisten bisher. „Es ist richtig, dass die jungen Leute ungeduldig sind“, sagt Peck. „Wir sind dabei, uns ein sinnvolles System für einen Check zu überlegen“. Man dürfe aber nicht jede Maßnahme – wie etwa die Einstellung neuer Erzieher – auf ihre Klimatauglichkeit überprüfen, sonst werde das System „ab absurdum geführt“.

Bochum

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Im Bochumer Rathaus erwähnt man gerne, dass man unter den zehn größten Städten in NRW bereits heute den niedrigsten CO2-Ausstoß habe – wofür allerdings erheblich die Deindustrialisierung verantwortlich ist. „Trotzdem ist klar: Der Klimanotstand war bei uns nicht der Beginn eines Denkprozesses“, sagt Stadtbaurat Markus Bradtke. Durch die Resolution habe man aber mehrere Entscheidungen neu bewertet. Beispielsweise ist das neue „Leitbild Mobilität“ radikaler ausgefallen. „Das Konzept sieht das Ende des motorisierten Individualverkehrs in Bochum vor“, sagt Bradtke – eine geplante 180-Grad-Drehung der einstigen „Autostadt Bochum“.

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Die örtliche CDU-Fraktion nennt die Notstandsresolution weiterhin einen „rein symbolischen Show-Antrag“. Zum einen wäre es laut Fraktionschef Christian Haardt wichtiger gewesen, direkt ein Maßnahmepaket fürs Klima umzusetzen, wie es seine Fraktion vorgeschlagen habe. Zum anderen habe sich durch den Notstand die Gefahr erhöht, dass das Klima „instrumentalisiert“ werde. „Tatsächlich wird, etwa von Bürgerinitiativen, direkt das Klima herangezogen, wenn man über die Ausweisung eines notwendigen Wohngebiets spricht“, kritisiert Haardt. Auf Antrag der CDU wurde die Verwaltung übrigens beauftrag, einen „Klima-Check“ zu etablieren. Vorgelegt wurde noch kein Modell.

Bottrop

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In Bottrop will man den „Klima-Check“ lieber als eine Art „Nachhaltigkeits-Check“ einführen und dazu dem Stadtrat im Dezember einen Vorschlag unterbreiten. Dazu soll laut Baudezernent Klaus Müller auch die „soziale Nachhaltigkeit“ zählen – und somit genau abgeschätzt werden, ob der Bau einer neuen Feuerwache auf einer Grünfläche, wie er in Bottrop aktuell heiß diskutiert wird, so wichtig für die Gesellschaft ist, dass damit mögliche Klimaschäden in Kauf genommen werden müssen.

BUND: Zu wenig Anstrengung

Fast 30 Kommunen in NRW haben seit Ende Mai 2019 den Klimanotstand ausgerufen. Im Ruhrgebiet sind auch Gelsenkirchen, Herne und kleinere Städte wie Hamminkeln oder Neukirchen-Vluyn dabei. Andere Städte, wie Essen, Duisburg Oberhausen oder Witten, haben zwar auf die Ausrufung des Notstands verzichtet, sich mit Alternativ-Anträgen aber zum Klimaschutz bekannt. Grund dafür ist häufig die Kritik an dem Begriff „Klimanotstand“ gewesen, der von den ablehnenden Ratsfraktionen unter anderem als „hysterisch“, populistisch“ oder „emotionalisierend“ bezeichnet wurde

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sieht vielerorts weiterhin zu wenig Anstrengungen für eine klimapolitische Wende. „Die Kommunen haben mit Anerkennung des Notstandes zwar auf den Druck von der Straße reagiert“, sagte BUND-Landessprecher Dirk Jansen mit Blick auf die Fridays-for-Future-Bewegung. „Allerdings sehe ich keinen Paradigmenwechsel“. Über Gewerbegebiete auf Grünflächen, Verkehr oder Flughafenerweiterung werde vielerorts diskutiert wie vor den Beschlüssen.

Auch Klaus Müller erlebt, dass der Klimanotstand inzwischen als „K.O-Kriterium“ gegen neue Bebauungspläne gebraucht werde. „Allerdings kennen wir das schon seit Bottrop ‚Innovation City‘ ist“, so Müller. Auch das Etikett der Innovationsstadt sei von bestimmten Gruppen als Schlagwort gegen Flächenversiegelung genutzt worden. „Man darf sich durch das Klima-Thema nicht von einer friedlichen Konsensfindung verabschieden.“ In der Praxis heißt das: In Bottrop will man vor allem den öffentlichen Raum „anders denken“ – Flächen stärker begrünen, Parkplätze konzentrieren. Müller: „Das sind Ansätze, die früher keine Breite hatten und jetzt auf fruchtbaren Boden fallen.“

Gladbeck

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„Ich verstehen, dass es vielen nicht schnell genug geht“, sagt der Gladbecker Stadtbaurat Volker Kreuzer. Mit Blick auf den Klimaschutz sei die Erwartungshaltung häufig: Heute entschieden, morgen umgesetzt. „Aber Klimaschutz ist mehr ein Marathonlauf als ein Sprint.“ In Gladbeck sei man dabei längst unterwegs: Auf fast jedem städtischen Gebäude befindet sich eine Photovoltaikanlage, viele Gebäude wurden so energetisch saniert, dass der CO2-Ausstoß beim Heizen seit 1978 um 64 Prozent reduziert wurde. Gladbeck erhielt dafür 2014 den „Kommunalen Klimaschutzpreis“.

Wofür dann noch den Notstand ausrufen? „Das hat noch mehr Rückenwind gegeben“, sagt Kreuzer. Man hat jetzt sogar ein Klima-Logo, will im nächsten Sommer unter dem Motto „Ein Jahr Klimanotstand“ eine Bürgerklimakonferenz veranstalten, um die Öffentlichkeit an einem Klimaschutzkonzept zu beteiligen. Die Klimaneutralität bis 2050 soll über vier Säulen getragen werden: Wohnen, Wirtschaft, Mobilität und Zivilgesellschaft. Und der „Klima-Check“? „Mit ihm experimentieren wir in Gladbeck bereits und wollen aus den Erfahrungen lernen“, sagt Kreuzer.