Essen. Bis 2025 sollen alle Grundschulkinder einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung haben. Doch dafür fehlt es an Geld, Räumen und Personal.
Nach Ansicht der freien Wohlfahrtsverbände steht der geplante Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen zum Jahr 2025 auf der Kippe. Schon jetzt übersteige der Bedarf die Zahl der angebotenen Plätze im offenen Ganztag an Grundschulen (OGS). Auch in diesem Schuljahr gingen wieder hunderte Schüler leer aus. Ein Rechtsanspruch der Eltern auf einen Platz setze zusätzliche massive Investitionen in Personal und Räume voraus.
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Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) im Auftrag des Bundes beziffert nun erstmals den zu erwartenden Finanzbedarf. Allein für NRW geht die Prognose im Jahr 2025 von zusätzlichen Personalkosten von rund einer Milliarde Euro aus. Zusätzlich sind Investitionen in Bauten, Räumlichkeiten und Ausstattung in Höhe von mehreren Milliarden Euro erforderlich.
Zugesagten Mittel reichen „nicht ansatzweise“
Im Koalitionsvertrag hatte sich die Bundesregierung verpflichtet, einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für alle Kinder im Grundschulalter zu ermöglichen. Mit den Ländern sollen die Angebote so ausgebaut werden, dass der Rechtsanspruch ab 2025 erfüllt werden kann.
Nach Ansicht des NRW-Schulministeriums sei bereits jetzt absehbar, dass die vom Bund zugesagten zwei Milliarden Euro „nicht ansatzweise zur Deckung der erforderlichen Investitionskosten ausreichen werden“. Die Landesregierung kalkuliert allein in NRW mit Investitionskosten von „mindestens 4,4 Milliarden Euro“. Mitsamt den Personalkosten kämen demnach Ausgaben in Höhe von 5,4 Milliarden Euro auf das Land zu. Aus Sicht der Länder fehlt die finanzielle Voraussetzung für die Einführung eines Rechtsanspruchs.
NRW sieht Voraussetzungen nicht erfüllt
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Trotz der Festlegung im Koalitionsvertrag habe der Bund bisher keine finanziellen Zusagen für die dauerhafte Beteiligung an den Betriebskosten gegeben, so NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) in einer Vorlage für den Schulausschuss des Landtags. „Damit ist eine der Grundprämissen für die Einführung des Rechtsanspruchs nicht erfüllt.“
Mehr als 90 Prozent der Grundschulen in NRW sind inzwischen offene Ganztagsschulen. Im Schuljahr 2018/19 nahmen 46 Prozent der Schüler eine Ganztagsbetreuung in Anspruch, das sind etwa 320.000 Mädchen und Jungen. Der Bedarf liegt nach Angaben des Grundschulverbands und der Freien Wohlfahrtspflege, die rund 80 Prozent aller OGS-Angebote abdeckt, etwa doppelt so hoch. Vor allem in den großen Städten sei die Nachfrage groß. Nach der Prognose des DJI müssten in NRW bis 2025 knapp 260.000 neue Plätze geschaffen werden, insgesamt in Deutschland wären 1,2 Millionen neue Plätze nötig.
Fachkräftemangel verschärft die Lage
„Von Seiten der freien Träger werden wir versuchen, alles möglich zu machen“, sagt Helga Siemens-Weibring von der Diakonie Westfalen Lippe und zuständig für den Bereich Familie, Bildung, Erziehung der Freien Wohlfahrtspflege. „Aber was kann die Politik leisten? Steht das Geld zur Verfügung und können wir die nötigen Stellen besetzen?“, so Siemens-Weibring zur WAZ. Der Mangel an Fachkräften werde sich bis zum Stichtag nicht aufgelöst haben. Ihr Fazit: „Dass wir das bis 2025 hinkriegen, kann ich mir nicht vorstellen.“
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Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) erhöht den Druck auf die Landesregierung. „Ohne die nötigen Investitionen bleibe der Rechtsanspruch ein unerfüllbares Versprechen“, sagte VBE-Landesvorsitzender Stefan Behlau. NRW dürfe nicht länger auf den Bund warten. „Die Schulen brauchen Unterstützung und keine erneute Zitterpartie, wie wir es vom Digitalpakt bereits kennen.“ Er fordert das Land auf, schon jetzt Pläne vorzulegen, die gezielte Investitionen ermöglichen, sobald das Geld bewilligt ist.
Träger und Opposition fordern einen „Zukunftsplan“
Die freien Träger sowie die Opposition fordern das Land auf, sich mit den Kommunen jetzt auf den Rechtsanspruch vorzubereiten. Gefordert sei ein „Zukunftsplan“ für die Ganztagsschule. Denn seit langem kritisieren Eltern-, Lehrer- und Schulverbände einhellig, dass verbindliche Qualitätsstandards für die Betreuung fehlen. Nicht einmal die nötige Qualifikation der Betreuer und die maximale Zahl der Kinder pro Gruppe seien festgelegt. Auch die empfohlene Quadratmeterzahl pro Kind werde oft unterschritten. Mancherorts müsse das Mittagessen aufgrund von Raumnot in mehreren Schichten oder in den Klassenzimmern eingenommen werden.
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Die Bedingungen seien extrem unterschiedlich, beklagt Diakonie-Expertin Helga Siemens-Weibring. „Da OGS keine Pflichtaufgabe ist, haben es vor allem die finanzschwachen Kommunen schwer, ein entsprechendes Angebot zu bieten“, sagt sie. Von der Kassenlage der Stadt hänge es oft ab, ob sie freiwillig mehr gibt. Je ärmer die Kommune, desto höher die Elternbeiträge – diese Tendenz trage dazu bei, die Lebensverhältnisse ungleicher zu machen. Der „Wildwuchs“ bei den Beiträgen müsse zugunsten einheitlicher Sätze beendet werden, so Siemens-Weibring. „Gute OGS darf keine Glücksache sein!“
>>>> Kosten der Betreuung
Nach Berechnungen der NRW-Wohlfahrtsverbände werden für ein Ganztagsangebot pro Kind und Jahr 3250 Euro benötigt. Das Land steuert derzeit etwa 1100 Euro pro Kind bei, die Kommunen bringen mindestens den Pflichtbeitrag von 475 Euro auf. Je nach Einkommen zahlen Eltern maximal 190 Euro pro Monat für das erste Kind.