Ruhrgebiet. Das Revier macht Ernst mit der Klimaanpassung. Das Ziel: Weltweite Vorbildregion werden - zum Beispiel mit “Schwamm-Straßen“.

Bochum, die erste „Schwamm-Stadt“ im Revier? Was nach einem eigenartigen Konzept klingt, könnte die Stadt zum Vorreiter in der Anpassung an den Klimawandel machen: „Der Boden soll sich bei Regenfall vollsaugen wie ein Schwamm, das Wasser verzögert über die Bäume wieder abgeben – und damit im Sommer für Abkühlung sorgen,“ erklärt Marko Siekmann vom Bochumer Tiefbauamt. Möglich machen sollen das spezielle unterirdische Systeme im Wurzelbereich des Baumes.

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Mehr Wasser in die Städte: Ursula Heinen-Esser (CDU), NRW Umweltministerin, und Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft, präsentierten ihre Ideen für ein klimagerechtes Ruhrgebiet. Dazu gehört auch eine Investition in den Nahverkehr.
Von Michael Kohlstadt und Christopher Onkelbach

Bisher ist das nur ein Pilotprojekt. Aber perspektivisch sollen alle Vorbehaltsstraßen in Bochum zu „Schwamm-Straßen“ werden. Und es ist nicht nur Bochum. Die gesamte Region will Pionier in Sachen Klimaanpassung werden, sich zur „klimaresilienten Region mit internationaler Strahlkraft“ mausern. Auch dieser Name – das gibt selbst Uli Paetzel als Chef der Emschergenossenschaft (EGLV) zu – ist „noch nicht besonders smart“. So sperrig der Titel, so groß die Dimensionen der Klima-Projekte, die unter dem Etikett künftig in der Region vorangebracht werden sollen.

Gewappnet gegen Starkregen und Hitze

Die „klimaresiliente Region“ ist dabei so etwas wie die zweite Episode der EGLV-Initiative „Wasser in der Stadt von morgen“. Über die vergangenen Jahre hat sich eine Ruhrgebietsstadt nach der anderen der „Zukunftsinitiative“ angeschlossen und als Unterzeichner des Programms vor allem Regenwasserschutz- und Begrünungsprojekte in den eigenen Stadtgrenzen vorangetrieben. Grüne Naherholungsgebiete hat man geschaffen – zum Beispiel auf dem Außengelände des Recklinghausener Prosper-Hospitals oder im Essener Univiertel. Anderswo hat man Regenwasser großflächig natürlich versickern lassen statt ins Abwasser zu leiten, Schulhöfe begrünt statt zu asphaltieren. Stets dabei der Hintergedanke: Gewappnet zu sein gegen Starkregen und Hitze, die der Klimawandel mit sich bringt.

Daniel Schranz, Oberbürgermeister der Stadt Oberhausen (li.), Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft, und Sabine Lauxen, Umweltdezernentin in Oberhausen pflanzen - wie auch Vertreter aller anderen 15 Emscher-Städte - einen Obstbaum, der im Frühjahr in den Städten eingepflanzt werden soll.
Daniel Schranz, Oberbürgermeister der Stadt Oberhausen (li.), Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft, und Sabine Lauxen, Umweltdezernentin in Oberhausen pflanzen - wie auch Vertreter aller anderen 15 Emscher-Städte - einen Obstbaum, der im Frühjahr in den Städten eingepflanzt werden soll. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

„Mit dem Kirchturmdenken soll jetzt aber Schluss sein“, sagt EGLV-Sprecher Ilias Abawi. Heißt: Die Klimaanpassung soll viel mehr über die Stadtgrenzen hinaus gedacht werden. Und sie soll sich nicht mehr nur in einzelnen Projekten zeigen, sondern großflächig gedacht werden, also bezogen auf die gesamte Infrastruktur einer Stadt. Ermöglichen soll das ein millionenschweres Förderprogramm, welches in den „Ruhrkonferenzen“ entwickelt wurde und vom Landeskabinett am 5. November „allerhöchstens dann nicht umgesetzt wird, wenn es mit dem Teufel zugeht“ – so die Erwartungen von EGLV-Chef Paetzel.

Natürliches Vorfluter-System im Bach

Die Rathäuser warten deswegen gar nicht mehr auf die Freigabe der Fördersumme, um schon mal gemeinschaftlich – und groß – zu denken. Beim fünften Experten-Forum der „Wasser in der Stadt von morgen“-Initiative werden sich am 30. Oktober Stadtspitzen verschiedener Revierstädte und über 250 Beamte von Umwelt- bis Bauamt austauschen, um mögliche Klima-Projekte der Zukunft zu konkretisieren.

Besprochen werden sollen dann Projekte wie die „Schwamm-Stadt“. Oder wie ein Vorhaben aus Essen, bei dem seit Jahren überlegt wird, wie man ein Wohngebiet auf einer Brachfläche am Rhein-Herne-Kanal im Essener Norden entstehen lassen kann. „Problematisch ist die Entwässerung des Areals“, erklärt Ludger Wegmann von der Wasserwirtschaft.

Jetzt will man ein natürliches Vorfluter-System in einen Bach planen, „was sich bislang aufgrund der Kosten verboten hat“, so Wegmann. Die Förderung vom Land soll es möglich machen – und auch die Nachbarstadt mit ins Boot holen. „Der Schurenbach, um den es geht, liegt auf Gelsenkirchener Gebiet.“

Sport und Regenwasser zusammendenken

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In Gelsenkirchen dagegen überlegt man, wie man mit der Fördersumme Sport und Regenwasser zusammendenken kann: Trimm-dich-Pfade sollen dort künftig vom Abwasser abgekoppelt werden – also so gestaltet werden, dass das Regenwasser dort natürlich versickern kann. „Wir wollen Themen zusammendenken, die man bisher nicht miteinander verknüpft hat“, sagt Tobias Unterbäumer von der Gelsenkirchener Abwassergesellschaft.

Zur Schau gestellt wurde das große Denken im Miteinander bereits am Montag im neuen Oberhausener Job-Center, im „größten Dachgeschoss-Gewächshaus Europas“, wie Oberbürgermeister Daniel Schranz stolz verkündete. Dort trafen sich Vertreter aller Ruhrgebietsstädte, um ein beispielhaftes Klima-Projekt zu begutachten: Im Jobcenter werden auf 1000 Quadratmetern Kräuter, Salate und Erdbeeren angebaut, ausschließlich mit Regenwasserbecken im Keller bewässert und anschließend auf dem Markt nebenan verkauft. Die Zukunft des Ruhrgebiets? Kräutergarten im Dachgeschoss, „Schwamm“ unter der Erde