Düsseldorf. . War der Misshandlungsskandal in Flüchtlingsheimen absehbar? Dortmunds Ordnungsdezernentin hat der Landesregierung vor zwei Wochen vorgeworfen, sie beschönige die wahren Verhältnisse in den Heimen. Innenminister Jäger gab damals eine harsche Antwort, jetzt muss er haarsträubende Zustände erklären.
Vor zwei Wochen wagte es die Dortmunder Ordnungsdezernentin Diane Jägers (CDU), ernste Zweifel an der ordnungsgemäßen Unterbringungen neuer Flüchtlinge in NRW anzumelden. Die Erstaufnahme-Einrichtungen für Asylbewerber seien hoffnungslos überfüllt, das System stehe vor dem Kollaps. Von Innenminister Ralf Jäger (SPD) fing sich die Dezernentin dafür eine scharfe Rüge ein: Eine politische Beamtin dürfe sich nicht so „unsäglich“ äußern, polterte Jäger im Landtag.
Seit die Misshandlungen in NRW-Flüchtlingsheimen bekannt wurden, wird nunmehr Jäger die Beschönigung unhaltbarer Zustände vorgeworfen: „Die Landesregierung muss die Dramatik vor Ort endlich erkennen und den Kommunen helfen“, forderte Oppositionsführer Armin Laschet (CDU). Stattdessen werde bei der Aufsichtspflicht geschlampt und sogar weggeschaut, wenn „Vorbestrafte für die Sicherheit von Flüchtlingen zuständig sind“.
Alarmruf aus Dortmund
Hinter vorgehaltener Hand wird in Düsseldorf längst bestätigt, dass die Dortmunder Ordnungsdezernentin mit ihrem Alarmruf vielen aus der Seele sprach. In diesem Jahr wird sich die Zahl der Flüchtlinge, die Schutz in NRW suchen, auf rund 40 000 fast verdoppeln. Tendenz steigend. Die 14 Erstaufnahme-Einrichtungen des Landes sind mit 5134 Plätzen deutlich überbelegt. Krankheiten wie Mumps, Masern und Windpocken grassieren.
Bis November müssen 2500 weitere Plätze geschaffen werden. Die Bearbeitung und Prüfung der Asylanträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verzögert sich immer weiter. Derweil stockt die Verteilung der Flüchtlinge auf kommunale Bleiben – auch wegen örtlicher Bürgerproteste. Es rächt sich, dass die Kapazitäten auf allen behördlichen Ebenen seit dem Asylkompromiss der 90er-Jahre abgebaut wurden.
Land auf Betreiber angewiesen
Besonders unter Druck steht die Bezirksregierung Arnsberg als zuständige Landesstelle bei der Erstaufnahme. Die dortigen Beamten arbeiteten angesichts der Flut an Asylanträgen „Oberkante Unterlippe“, heißt es. Nachdem man jahrelang mit den beiden Einrichtungen Hemer und Schöppingen ausgekommen ist, müssen nun 14 Unterkünfte von Kerken bis Bad Salzuflen geleitet werden.
Als Betreiber mit der Zuständigkeit für Verpflegung, Reinigung, Betreuung und Sicherheit stehen einzig und allein der Malteser Hilfsdienst, das Deutsche Rote Kreuz und das nun ins Zwielicht geratene Essener Privatunternehmen European Homecare zur Verfügung. Selbst wenn die Landesregierung wollte, könnte sie sich nicht über Nacht von der Firma trennen, die seit 1989 Wohnheime für die öffentliche Hand betreut und für sechs Erstaufnahme-Einrichtungen zuständig ist.
Bis 1000 Euro im Monat je Bett
Die nicht einmal schlecht dotierte Flüchtlingsbetreuung (angeblich 700 bis 1000 Euro je Betreuungsplatz im Monat) sei „keine Lizenz für ein Geschäft mit der Not der Menschen und zur Missachtung von Standards“, sagte Grünen-Expertin Monika Düker und forderte: „Wir brauchen mehr Kontrollen.“
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Innenminister Jäger muss sich die Frage gefallen lassen, ob man zu leichtfertig Verantwortung delegiert hat. „Er ist offensichtlich mit der Aufgabe, menschenwürdige Bedingungen für Flüchtlinge in den Landeseinrichtungen zu gewährleisten, überfordert“, kritisierte FDP-Fraktionsvize Joachim Stamp.
Jäger wehrt sich: Mit dem Unternehmen European Homecare, das „überwiegend seriöse Arbeit“ abliefere, werde man „in einen kritischen Dialog treten“. Es existierten vertraglich klar vorgegebene Richtlinien. Dass Subunternehmen eingesetzt werden dürfen wie die Nürnberger Sicherheitsfirma SKI mit den zweifelhaften Wachleuten, war offenbar nicht ausgeschlossen. „Aber auch die“, so Jäger, „müssen die Leistung erbringen.“ Am Dienstag will NRW-Innenminister Ralf Jäger weitere Maßnahmen vorstellen, kündigte eine Ministeriumssprecherin an.